Der Mann, der sich in einen Wolf verwandelt – Szene aus dem Siegerfilm „Untamed“ der Französin Juliette Viger Foto: Festival


Nach sechs Tagen ist am Sonntag das Stuttgarter Trickfilm-Festival zu Ende gegangen. Die Hauptpreise gehen an die Polin Marta Pajek und die Französin Juliette Viger. Ihre Animationsfilme zeigen, was sich in Realfilmen kaum zeigen lässt. Auch andere Trick-Künstler haben dieses Privileg ausgekostet.

Stuttgart - Z

wei Frauen und ihre Geschichten sind die Gewinnerinnen am Sonntagabend im Gloria-Kino: Die polnische Animationskünstlerin Marta Pajek hat den Grand Prix des Stuttgarter Trickfilm-Festivals (15 000 Euro) erhalten, die Französin Juliette Viger den Lotte-Reiniger-Preis (10 000 Euro). Pajeks 2D-Zeichentrick in „Impossible Figures and other Stories II“ ist ein assoziativer Ritt durch die Gefühlszustände ihrer Protagonistin: In Spiegelungen und vor sich wandelnden Tapetenmustern versucht sie, ein vom Tisch fallendes Ei aufzufangen in einem Haus, dessen sich ständig verändernder Grundriss immer wieder von oben zu sehen ist. So gerät sie in einen Dschungel, der freilich mehr ist als ein pflanzliches Phänomen. Sie arbeitet sich an Männern ab – und zum Schluss erscheint ihr ein haariges Monster. Stilistisch präzise, inhaltlich konsequent hat Marta Pajek ein Juwel geschaffen.

In Juliette Vigers „Untamed“ kämpft eine Frau damit, dass ihr Liebster, der Jazz-Trompeter Erik Howl, zum Wolfwesen geworden ist, das die Nachbarn terrorisiert, deren Katze verspeist und den Maulkorb verweigert. Popularität ist tückisch, der Mann daran zerbrochen. Wie sensibel aber seine Seele ist, die er hinter der Barbarei zu verstecken sucht, hört man seinem einfühlsamen, an Chet Baker erinnernden Jazz an, mit dem der französische Trompeter Yoann Loustalot sich sehr empfiehlt.

Kinderfilme haben beim Stuttgarter Festival ihren festen Platz. Den Preis für den besten Kurzfilm in dieser Sparte hat die Norwegerin Trine Vallevik Håbjørg gewonnen mit ihrem Empathiestück „When I Hear the Birds Sing“. Sie hat Kinder in einem Flüchtlingscamp in Liberia interviewt, die von der Elfenbeinküste fliehen mussten, als dort 2010 ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. In flächiger Animation träumen sie davon, Fußballer zu werden oder Arzt, eine Familie zu gründen und ein normales Leben zu führen nach all den traumatischen Erlebnissen. Plastisch wird die Sinnlosigkeit des Kriegs in diesen von Unschuld erfüllten Erzählungen gezeigt.

Monster mit Kinderseele

Den Preis für die beste nationale Kinder-Animationsserie bekam das Ludwigsburger Studio Soi für die „Das Schöne und die Biest“, eine wie gewohnt köstliche Folge von „Trudes Tier“. Darin spricht das monströse Tier mit der Kinderseele, das bei Trude wohnt, für die Rolle der Belle in „Die Schöne und das Biest“ vor – natürlich vergeblich, weil den Theatermachern die Fantasie fehlt. Der Preis für die beste internationale Kinderserie ging an die Folge „Burrito“ von „We Bare Bears“. Da entwickelt Grizz wegen einer traumatischen Erfahrung in seiner Kindheit eine unnatürliche Liebe zu einem Riesen-Burrito.

Alles ist nichts beim Film ohne eine gute Geschichte, darum verleiht das Trickfilm-Festival auch den Deutschen Animationsdrehbuchpreis. Diesmal machten Juliette Alfonsi und Matthias Drescher das Rennen mit „The Journey of the Elephant Soliman“. Darin verschlägt es einen jungen Inder des 16. Jahrhunderts und seinen Elefanten nach Europa, wo eine österreichische Prinzessin sie rettet. Entwickelt hat den Stoff das Film- und Fernsehlabor Ludwigsburg, gegründet von Absolventen der dortigen Filmakademie.

Golfball im All

Schwarzer Humor gehört zum Trickfilm. In „Happy End“, dem Sieger im Studenten-Wettbewerb Young Animation, erzählt der Tscheche Jan Saska in schönem Sepia-2D-Zeichentrick in umgekehrter Kapitelreihenfolge, wie ein Stein auf der Straße eine Kettenreaktion auslöst: Jäger ballern wild und saufen zur Blasmusik, bis sie einen grausigen Fund machen, ein Bauer hört im Traktor Metal und schluckt Bier, bis er etwas überfährt, einem Punk knallt eine Leiche durchs Autodach. Die Auflösung ist pfiffig, der rasante Kurzfilm strotzt vor komödiantischer Energie.

Nicht weniger originell: die fette High-End-3D-Animation in „Asteria“ von Alexandre Arpentinier, Mathieu Blanchys, Lola Grand, Tristan Lamarca, Thomas Lemaille und Jean-Charles Lusseau aus Frankreich, den Gewinnern des Amazon Audience Award. Ein Raumschiff landet auf einem Felsen im All, zwei Astronauten rammen eine Fahne der geeinten Menschheit in den Boden, doch zahlreiche Außerirdische mit Stielaugen haben etwas dagegen. Als einer der Astronauten einen roten Leuchtball an den Kopf bekommt, eskaliert die Situation in ein komisches Gebalge ohne Überlebende. Bald setzt ein Riesenraumschiff ein wurmartiges Wesen ab, das einen Griff zückt, der aussieht wie der Griff eines Laserschwerts aus „Star Wars“. Indes: es entfaltet sich ein Laser-Golfschläger, der zu dem roten Leuchtball gehört.

Die Satire kommt auf den Punkt und genau richtig im Zeitalter destruktiver, gleichgültiger Egomanen, die glauben, die Welt gehöre ihnen.