Henning Mankell Foto: dpa

Henning Mankell hinterlässt mit „Die schwedischen Gummistiefel“ einen unverhohlenen Altersroman, in dem zwei Dinge immer präsent sind: die Erinnerung und der Tod.

Stuttgart - Eines schickt Henning Mankell voraus: „Dies ist eine für sich allein stehende Fortsetzung des Romans „Die italienischen Schuhe“. Der erschien 2007 und erzählt, wie ein von einem Kunstfehler gebeutelter Chirurg auf einer Schäreninsel lebt, wo ihn eine frühere Liebe aufsucht, die todgeweihte Harriet. Sie stirbt, aber Fredrik Welin kehrt ins Leben zurück, weil er zum ersten Mal seiner Tochter Louise begegnet, von der er nichts wusste.

„Die schwedischen Gummistiefel“ ist der letzte abgeschlossene Roman des 2015 verstorbenen Mankell. Schon der Titel ist eine Parallele, und wieder ist das Schuhwerk Metapher und Leitmotiv: Im Vorläuferroman waren die Maßschuhe, das Geschenk eines italienischen Schuhkünstlers, Sinnbild für eine gelungene Übereinstimmung mit sich selbst: An einen Schuh, der wie angegossen sitzt, denkt man nicht – so verhält es sich auch mit dem Leben. Gummistiefel sind weit weniger elegant, aber ebenfalls Symbol – für die Versöhnung mit den Gesetzen des Lebens.

Es ist also schon von Vorteil, die Vorgeschichte zu kennen. Ansonsten müsste man sich sehr wundern, warum der als Ich-Erzähler auftretende Fredrik Welin anfangs so sehr auf den Regentretern herumreitet. Nachdem sein Haus abgebrannt ist, steht er nur mit zwei linken Stiefeln da. Ein neues, vollständiges Paar muss her, ein schwedisches, keine billige Importware. Das Haus ist nur noch eine „verkohlte Ruine“, nichts ist davon übrig bis auf einen der Spanner, die in den italienischen Lederschuhen steckten: „In diesem Augenblick verstand ich, dass ich wirklich alles verloren hatte. Nichts von meinem siebzigjährigen Leben war verblieben.“

Die Tochter bleibt rätselhaft wie der Vater

Der Verlust der Heimstatt nötigt den Alten, der jeden Morgen ins kalte Meer steigt, zur Lebensbilanz. Was bleibt? Ist mein Leben zu Ende? Welche Menschen sind mir nah? Was weiß ich über sie, über mich? Gibt es etwas, was über die eigene endliche Existenz hinausreicht? Kurz: „Wollte ich das Haus wiederaufbauen?“ Diese Fragen sind die Leitplanken, innerhalb derer sich der Erzählstrom bewegt. Und so sind in den „Schwedischen Gummistiefeln“, unverhohlen ein Altersroman und gefärbt von der schweren Krankheit des Autors, zwei Dinge immer präsent: die Erinnerung und der Tod.

Von der Ruine aus begleitet man den Eigenbrötler in kurz angebundenen Beschreibungen, wie er sich im Wohnwagen einrichtet, wie Erinnerungen an Kindheit und Jugend aufsteigen, wie er mit Festlandbewohnern verkehrt. Eine Sonderrolle spielt der ehemalige Bootspostbote Janssen, den er ewig kennt, ohne wirklich etwas über ihn zu wissen. So geht es ihm im Grunde auch mit seiner Tochter Louise, die in Paris lebt und rätselhaft bleibt wie der Vater. Sie besucht ihn, um unangekündigt zu verschwinden. Und es gibt eine junge Lokaljournalistin, in die er sich – Mankell verkneift sich diese klischeehafte Vorhersehbarkeit nicht –, verliebt.

Der Brand ist Anlass für eine kriminalistische Suche; der Ich-Erzähler will herausfinden, wer der Brandstifter ist, aber er gerät selbst unter Verdacht. Dennoch hat man, auch wenn der Krimiroutinier Mankell es versteht, eine latente Spannung aufzubauen, in keinem Moment das Gefühl, einen Kriminalroman in der Hand zu haben. Die magere äußere Handlung, die Welin in der zweiten Hälfte nach Paris zu seiner Tochter führt, wird immer wieder mit knappen Reflexionen und melancholischen Erkenntnisschüben überhöht. „Mir blieb nur das Alter. Schließlich würde auch das zu Ende gehen, und dann blieb nichts mehr.“ Sätze dieser Art gibt es zuhauf. So erlebt man einen alten Mann, der auf sich schaut und nichts beschönigt: Was er sieht, ist das Alter, der Tod, das Verlangen nach Zukunft. Der Gesellschaftskritiker, der politisch Engagierte, der Mahner, der Mankell immer auch in seinen Krimis war – hier ist er weitgehend verstummt.

Mankells Roman steht für sich allein

Mankell hat Mühe, seinen Roman mit Handlung im Hier und Jetzt zu füllen. Immer wieder muss er aus der Vergangenheit schöpfen: „Als ich jung war“, „Ich erinnerte mich“ – phasenweise reiht sich ein Erinnerungs-Exkurs an den nächsten, stilistisch oft ohne jede Eleganz aneinander gekettet.

Nichtsdestotrotz löst Mankell seine Ankündigung ein: Sein letzter Roman kann für sich allein stehen. Er entwickelt mit dem Lauf, den die Dinge nehmen, eine eigene Botschaft. Die ist nicht neu und, wenn man so will, banal – ganz einfach, weil sie zutiefst menschlich ist.