Hier findet sich das Wissen der Welt: Blick in die Stiftsbibliothek Kremsmünster in Österreich Foto: Massimo Listri/Taschen

Ein wuchtig-prächtiger Bildband des Taschen-Verlags kürt die schönsten Bibliotheken der Welt. Neben den Schatzkammern des Wissens in Rom, Florenz, Paris, Cambridge oder New York haben es auch die Klosterbibliotheken von Wiblingen und Bad Schussenried in das Buch geschafft.

Stuttgart - Wer Bibliothek sagt, muss auch Umberto Eco sagen. Schließlich hat selten ein Buch die Bibliothek als Ort des (unbequemen) Wissens so vehement gefeiert, wie Ecos „Der Name der Rose“. Die Bibliothek eines Benediktinerklosters in den Apenninen wird darin zum labyrinthischen Abbild der Welt, zum Zentrum eines mittelalterlichen Krimiplots. Und die Bücher, die sich in den Regalen verstecken, sind geeignet, eine Weltordnung zum Einsturz zu bringen.

Solchen Bibliotheken, die das Gedächtnis der Welt darstellen, setzt auch Massimo Listris grandioser, übergroßer Bildband „Die schönsten Bibliotheken der Welt“ ein Denkmal. Es ist eine spektakuläre Reise durch die „Schatzkammern aller Reichtümer des menschlichen Geistes“ (Gottfried Wilhelm Leibniz): von der Biblioteca di Palazzo Guicciardini in Florenz über die Codrington Library in Oxford und die Klosterbibliotheken von Wiblingen und Bad Schussenried bis zur Morgan Library in New York. Listri zeigt mit genauem Blick immer wieder eine Überwältigungsarchitektur. Da sind die Universitätsbibliotheken, die sich als mit Büchermassen bewaffnete Wissensbastionen inszenieren; die Bibliotheken im Vatikan, die ihre Schätze vor neugierigen Blicken in kostbaren Truhen verstecken; die Klosterbibliotheken mit ihren Deckenfresken, bei denen man nie genau weiß, wo die Bücher aufhören und der Himmel anfängt.

Eine Reise um die Welt und in die Vergangenheit

Listri zeigt opulent eingerichtete Wissenspaläste und reist damit nicht nur um die Welt, sondern auch in die Vergangenheit, hat doch die Bibliothek als kulturelle Instanz an Bedeutung verloren. Denn zu den gesellschaftlichen Umbrüchen, die die Digitalisierung mit sich bringt, gehört, dass sie eine wesentliche Kulturtechnik obsolet macht: das Sammeln.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass das Sammeln auch abseits von altehrwürdigen Palästen, Klöstern und Universitäten eine überaus gefragte Kulturtechnik war – mitunter mit ganz profanen, romantischen Hintergedanken: Über viele Generationen hinweg lebten Jungs in dem Glauben, Mädchen mit dieser Kulturtechnik beeindrucken zu können – zum Beispiel mit ihrer Briefmarken-, Schallplatten- oder Büchersammlung. Solche pubertären Rituale sind heute archaisch. In Zeiten, in denen man seine Briefe nur noch per E-Mail verschickt, sind Postwertzeichen aus der Mode gekommen. Keiner würde auf die Idee kommen, damit zu prahlen, 35 Millionen Songs in seiner Musiksammlung zu haben, weil jeder, der einen Spotify-Account hat, genau die gleiche Zahl Lieder besitzt. Und obwohl sich bei der Literatur anders als bei Musik, Filmen und TV-Serien das digitale Abo- und Flatratemodell noch nicht durchgesetzt hat, weiß jeder, der mit seinen Billy-Regalen und Bücherkisten schon ein paar Mal umziehen musste, früher oder später den E-Reader und eine Entrümpelung der Hausbibliothek zu schätzen.

Digitalisierung und die Erinnerungskultur

Man muss heute nichts mehr sammeln, nichts mehr besitzen, sein Haus nicht mehr mit Regalen vollstellen, weil im Internet, in der Cloud, bei Netflix, Amazon und Spotify ja alles jederzeit zur Verfügung steht. Wer sich die entsprechenden Abos nicht leisten kann oder wer gerade keine Internetverbindung hat, steht allerdings plötzlich ohne Musik, ohne Serien, ohne Filme, ohne Bücher – ohne Kultur da. Und vielleicht erkennt er dann, dass es doch keine so gute Idee war, alle Bücher, Schallplatten und DVDs zu Sperrmüll zu erklären.

So bequem es ist, auf Literatur, Filme, Serien und Musik nur noch digital und über Flatrateangebote zurückzugreifen, so gefährlich ist dies auch. Zum einen, weil die Digitalisierung als Nebeneffekt eine geringere Wertschätzung der Werke mit sich bringt, da ja jeder Song, jedes Album, jedes Buch, jeder Film, jede Serie nun per Mausklick jederzeit verfügbar ist. Ein Buch auf seinen E-Reader zu laden oder sich einen Song auf Spotify anzuhören ist etwas ganz anderes, als in eine Buchhandlung oder einen Plattenladen zu gehen, um sich ein Buch oder eine Platte zu kaufen.

Zum anderen könnte die Digitalisierung der Medien auf die Erinnerungskultur ähnlich verheerende Auswirkungen haben wie einst die Verschriftlichung. Wenn all das, was die Gesellschaft zusammenhält, was unsere Werte ausmacht, nur noch auf irgendwelchen Servern gespeichert ist, verflüchtigt sich nach und nach das Wissen, man verlässt sich auf die digitalen Daten und vergisst, sich zu erinnern.

Gesammelt wird heute nicht mehr in Bibliotheken

Nach dem Ende des Zeitalters des Sammelns wirken die grandiosen Bibliotheken, die Massimo Listri fotografiert, wie Rudimente einer längst vergangenen Zeit, wie verstaubte Museen des Wissens. Sie versprechen uns zwar eine Bestandsaufnahme des gesellschaftlichen Status quo und dienen unserer kulturellen Selbstversicherungen. Sie sind aber nicht mehr Teil unserer alltäglichen Praxis: Wer leistet sich heute noch einen Brockhaus, wenn er Wikipedia haben kann?

Von Umberto Eco stammt auch das wunderbare Buch „Die unendliche Liste“, in dem er zeigt, wie die Kulturgeschichte die Welt immer wieder neu mit Listen, Büchern und Bibliotheken zu katalogisieren versucht hat. Ist dieses Kapitel der Menschheitsgeschichte im digitalen 21. Jahrhundert tatsächlich vorüber? Natürlich nicht.

In Wirklichkeit wird schließlich weiterhin gesammelt, weiterhin wird die Welt katalogisiert – allerdings gründlicher und unmoralischer als das die Enzyklopädisten der Aufklärung machten. Und selbstverständlich sind die Serverfarmen, in denen heute Konzerne wie Facebook, Google oder Amazon das Weltwissen sammeln, nicht so prächtig wie die Bibliotheken von Florenz, Madrid, Wien oder Paris.

Die schönsten Bibliotheken der Welt

Diese Bibliotheken werden in dem Buch als die schönsten Bibliotheken im deutschsprachigen Raum gewürdigt:

Deutschland

Klosterbibliothek Ottobeuren, Ottobeuren

Klosterbibliothek Metten, Metten

Klosterbibliothek Wiblingen, Ulm

Fürst Thurn und Taxis Hofbibliothek und Zentralarchiv, Regensburg

Stiftsbibliothek Waldsassen, Waldsassen

Bibliothekssaal Kloster Schussenried, Bad Schussenried

Klosterbibliothek Fürstenzell, Fürstenzell

Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar

Schweiz

Stiftsbibliothek Sankt Gallen, St. Gallen

Österreich

Stiftsbibliothek Kremsmünster, Kremsmünster

Stiftsbibliothek Admont, Admont

Stiftsbibliothek Melk, Melk

Stiftsbibliothek Seitenstetten, Seitenstetten

Stiftsbibliothek Zwettl, Zwettl

Österreichische Nationalbibliothek, Wien

Universitätsbibliothek der Akademie der bildenden Künste, Wien