Es ist die Rede von 170 000 Menschen, die durch die WM ihr Zuhause verloren haben. Foto: dpa

Gerd Rathgeb , der Vorsitzende von Poema Stuttgart, macht in Stetten auf die Schattenseiten der Fußball-WM in Brasilien aufmerksam.

Stetten - Die halbe Welt schaut derzeit nach Brasilien zur Fußball-Weltmeisterschaft. Aber die Bilder und Fotos, die Gerd Rathgeb nach Stetten mitgebracht hatte, bekommen die Fans nicht zu sehen. Es sind Szenen von aufgebrachten Demonstranten, die Straßen blockieren, von Abbrucharbeiten in Favelas und von Menschen, die fassungslos zuschauen, wie ihre Hütten und Häuser zerstört und sie in schnell errichtete Ersatz-Einheitshäuser in Gegenden ohne Infrastruktur zwangsumgesiedelt werden.

Es sei die Rede von 170 000 Menschen, die durch die Fußball-WM ihr Zuhause verloren haben, berichtete der Vorsitzende von Poema Stuttgart am Mittwoch bei der Veranstaltung von Allmende Stetten im Rahmen der Reihe „500 Jahre Armer Konrad – 500 Jahre Widerstand“. Während große Firmen viel Geld mit der WM verdienten, hätten die Armen nichts davon und könnten sich auch keine Tickets leisten, sagte der Brasilien-Experte. „Selbst die kleinen Händler rund um die Stadien wurden verjagt, damit die WM-Sponsoren zum Zuge kommen.“ Der Internationale Fußballverband FIFA diktiere die Regeln, und die brasilianische Regierung pariere.

Die Zuhörer wollen mehr erfahren über den Landraub für Soja, Biotreibstoffe und Fußball

Gut 40 Interessierte im Café Gugelhupf wollten mehr erfahren über den Landraub für Soja, Biotreibstoffe und Fußball. Schließlich habe „alles, was dort passiert, auch mit uns zu tun“, sagte Gerd Rathgeb, der seit zehn Jahren der Organisation vorsteht, die einst Willi Hoss, der ehemalige grüne Bundestagabgeordnete mit einigen Freunden gegründet hat, um Kleinbauern in Brasilien zu unterstützen und den Regenwald zu schützen. Poema finanziert Material für Pumpen und Rohrsysteme, um an sauberes Grundwasser zu gelangen, hilft Gegenden ohne Stromanschluss mit Solarlampen und dem Bau von Solaranlagen sowie bei der Gesundheitsvorsorge in Dörfern und Reservaten Amazoniens.

Verheerend wie die Folgen der Fußball-WM sind die Konsequenzen im Amazonasgebiet, dem größten noch zusammenhängenden Regenwald, der 20 Prozent der weltweiten Süßwasservorräte speichert und der Lebensraum von rund 200 000 Indigenen ist. Holzwirtschaft, Viehzucht und Fleischproduktion, aber auch der Anbau von Soja und Palmöl, die Gier nach Mineralien, Öl, Gas und Gold sowie der Bau von Mega-Staudämmen wie dem 10 Milliarden Euro teuren Belo Monte am Fluss Xingu gefährden das Ökosystem, sagte Gerd Rathgeb. „Doch für die Landwirtschaftslobby sind Indigene, die sich gegen diese Zerstörung wehren, Fortschrittsverweigerer.“

Großgrundbesitzer haben sich das Land der Indios angeeignet, um riesige Plantagen anzulegen

Brasilien hat genauso viele Rinder wie Einwohner, ungefähr 200 Millionen. „Wo einst Regenwald war, ist jetzt ein Rinderwald.“ Großgrundbesitzer haben sich das Land der Indios angeeignet, um riesige Sojaplantagen anzulegen. Auch Gen-Soja werde dort angepflanzt und das meiste davon als Futtermittel verarbeitet, sagte Gerd Rathgeb. „Deshalb ist der Fleischkonsum eines der zentralen ökologischen Themen der Welt, und jetzt kommt mit Biotreibstoffen die nächste Etappe in der Vertreibung der Kleinbauern. Der Kampf um Boden und Nahrung hat jetzt richtig begonnen.“