Maria Alyokhina Foto: AFP

Massentaugliche Systemkritik statt rebellischem Feminismus: Bei einem Auftritt im Frankfurter Mousontourm wird schnell klar, dass die russische Punkband Pussy Riot nicht mehr Pussy Riot ist.

Frankfurt - Auf einmal sind sie da. Ohne Ankündigung, ohne Begrüßung stehen sie auf der Bühne und Pussy Riot beginnen im Frankfurter Mousonturm mit ihrer Show. Inmitten eines interessierten, älteren, vorwiegend deutschen Publikums, das sich diese Stimme des Protests aus Moskau einmal anhören möchte. Von feministischem Aufstandsaktivismus ist man hier weit entfernt, der Name Pussy Riot hat angezogen. Was an musikalischer Qualität geboten wird, ist erst mal Nebensache.

Durch ihren Auftritt „A Punk Prayer“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau 2012 und ihre anschließende Verhaftung haben die Aktivistinnen der feministischen Punkband internationale Bekanntheit erlangt. Damals waren die Frauen in die Kirche eingedrungen und hatten gegen Staat und Kirche protestiert. Der Richterspruch, der sie wegen „Rowdytums“ und „Anstachelung zu religiösem Hass“ zu zwei Jahren Straflager verurteilte, wurde von westlichen Politikern, Medien und Künstlern scharf kritisiert. Von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wurden die beiden inhaftierten Frauen Maria Alyokhina (Masha) und Nadeschda Tolokonnikowa (Nadia) als politische Gefangene anerkannt. Kremlkritische Medien feierten sie als Ikonen des Widerstands gegen Wladimir Putin.

Zuletzt distanzierten sich die ursprünglichen Mitglieder von Pussy Riot jedoch deutlich von Alyokhina und Tolokonnikowa. In einem offenen Brief kritisierten sie, dass sich die beiden ausschließlich für die Rechte von Gefangenen einsetzten und dabei die ursprünglichen feministischen Ziele außer Acht ließen. Ihre Arbeit sei nicht länger kompatibel mit denen einer Gruppe, die für radikale politische Statements und provokative Kunst stehe.

Nur noch Maria Alyokhina ist übrig geblieben

In Frankfurt ist von den alten Bandmitgliedern nur noch Maria Alyokhina übrig geblieben. Das hält die Veranstalter jedoch nicht davon ab, sie unter dem so populär gewordenen Namen „Pussy Riot“ anzukündigen. Dabei stehen der Ticketverkauf, die Legalität ihres Auftritts und der Anteil an Männern in ihrer Show allem entgegen, was Pussy Riot einmal ausmachte. Die bunt gehäkelten Sturmmasken werden nur als Alibi für die alte Marke noch einmal hervorgekramt.

Maria Alyokhina hat heute ein anderes Ziel als noch 2012. Mit ihrer Show, die auf ihrem gerade erschienen Buch „Riot Days“ basiert, will sie das Unrecht, das an den Strafgefangenen begangen wird, sichtbar machen. Sie will das System Putin beenden. Und sie will ihren ganz eigenen Beitrag dazu leisten. Deswegen steht sie auf der Bühne in Frankfurt. Deswegen tourt sie um die Welt. Den Punk, den Feminismus, den Aktionismus hat sie abgelegt. All das ist massentauglich gemachter Systemkritik gewichen.

Statisch und aufrecht stehen sie und ihre drei Bandkollegen auf der Bühne, monotone Sprechgesänge schallen zu Bässen, Saxofon und Schlagzeug durch den Raum. Die Lautstärke, der Rhythmus, die Dynamik sind elektrisierend, sie ziehen in Bann und reißen mit. Die Kraft und die Wucht dieser so zierlichen Frau sind unübersehbar. Sie hat etwas Gerades, Aufrechtes an sich, ihr schmaler Körper strahlt Stärke und Kampfgeist aus. Auf ihren Lippen liegt ein fast unsichtbares Lächeln, in dem Stolz verborgen liegt, mit Putin abzurechnen. Und es wird klar: Hier drin soll eine kleine Revolution geschehen.

Für einen kurzen Moment wird es nahezu still

In kurzen, packenden Erinnerungsfetzen jagen einen die vier auf der Bühne rasant von den Anfängen der rebellischen Mädchengruppe über ihren Auftritt in der Christ-Erlöser-Kirche bis zu ihrer Verhaftung, Verurteilung und ihrer Zeit im Strafgefangenenlager, unterlegt mit Filmsequenzen auf einer Leinwand. Darüber laufen die englischen Übersetzungen der Texte mit, die die Band einem zu der kraftvollen Musik entgegenbrüllt. Sie verlangt dem Publikum viel ab. Selbst für schnelle Leser ist es unmöglich, die englische Übersetzung in ihren abrupten Wechseln ganz zu erfassen, und man tut gut daran, „Riot Days“ vorher zu lesen, um die Macht des Ganzen zu verstehen, um mitgenommen zu werden von dem Sog, den die Musiker erzeugen und nicht irgendwann auszusteigen. Ein Bild jagt das nächste, untermauert von Bässen, die durch Menschen brechen. Die russischen Worte, die kaum jemand versteht, hämmern auf die Zuschauer ein.

Eindrücklich bleibt der Moment, in dem es für einen kurzen Augenblick nahezu still wird in dem sonst so lauten Raum. Alyokhina erzählt von ihrem Gefangenentransport und wie sie an einer Ampel aufstand und hinaussah. „Wenn du an einem solchen Transporter vorbeikommst“, sagt sie leise, „schau gut hin. Vielleicht steht dort jemand hinter den Gittern und beobachtet dich.“

Der Schluss kommt so plötzlich wie der Beginn. „Freiheit gibt es nicht, wenn du nicht jeden Tag um sie kämpfst“, sagt Maria Alyokhina. Für einen Moment herrscht Stille. Dann brandet nach sechzig Minuten frenetischer Applaus auf. Auch im Publikum fühlt man sich für einen Abend ganz wunderbar revolutionär.

Wieder ein Lächeln. Dieses unerschrockene, unerbittliche Lachen ist ihre stärkste Waffe. Ihr Lachen erhebt sie über das System. Ihr Lachen macht sie unbesiegbar. Und wenn sie doch verliert, dann mit dem überlegenen Lächeln einer Kämpferin im Gesicht.