Ein Polizist und ein Feuerwehrmann stehen am 20.12.2016 in Berlin vor einem beschädigten LKW. Bei einem möglichen Anschlag war ein Unbekannter tags zuvor mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gefahren. Foto: dpa

Der Neuropsychologe Thomas Elbert von der Universität Konstanz erklärt, was einen Attentäter antreiben kann, wahllos zu morden.

Konstanz – - Die Gewalt von Attentätern ist schwer zu begreifen. Einer, der sich mit der Aggression und Gewalttätigkeit von Menschen beschäftigt, ist der Neuropsychologe Thomas Elbert von der Universität Konstanz. Der 56-Jährige sagt, dass insbesondere junge Männer unter gegebenen Umständen ein regelrechtes Verlangen entwickeln können, Menschen zu töten. Und er erklärt, wie man sich aus dieser Gewaltspirale befreien kann.
Herr Elbert, woher kommt diese Kaltblütigkeit, mit der Attentäter wahllos töten?
Generell gibt es bei solchen Attentaten zwei Erklärungsansätze: Es gibt Menschen, die sich erniedrigt und beschämt fühlen – und zeigen wollen, was sie für ein toller Hecht doch sind. Sie laufen dann Amok. Dabei nehmen sie in der Regel auch ihren eigenen Untergang in Kauf. Das ist bei Selbstmordanschlägen häufig der Fall. Die zweite Erklärung, die bei dem Attentat von Berlin am wahrscheinlichsten ist: Man möchte einen Gegner bekämpfen, ihn fertigmachen – insbesondere in dem man seine wertvollsten Symbole raubt oder zerstört.
Wie ist das auf den Attentäter von Berlin zu übertragen?
Der Weihnachtsmarkt ist ein typisches Symbol der deutschen Lebensart und der Kultur. Diese Werte wollte der Täter treffen – und somit nachhaltig beeinflussen. Das war wohl sein Ziel. Denn wenn es nur darum gegangen wäre, Menschen zu morden, dann hätte es wohl einfachere und effektivere Methoden gegeben.
Was treibt diese Leute an, dass sie ihre Wut in eine solche Tat umsetzen?
Es gibt zwei Zyklen der Gewalt, die ineinandergreifen. Einer dieser Zyklen ist für jeden nachvollziehbar: Fühlt man sich bedroht, will man sich wehren, der Hass keimt auf und man schlägt zurück. Und jetzt kann etwas in Gang kommen, was besonders bei jungen Männern zu beobachten ist, die etwa durch Hassprediger genährt worden sind: Das Zurückschlagen fühlt sich gut an. Dieses positive Gefühl resultiert nicht etwa aus der Erleichterung, das Bedrohungsgefühl überwunden, den Feind bekämpft zu haben. So zeigt sich in verschiedenen Untersuchungen, dass dieses Zuschlagen den Menschen in einen positiven, ja sogar rauschartigen Zustand versetzen und so zu einem belohnenden Erlebnis werden kann. Es geht dann nicht mehr allein darum, den Feind zu bekämpfen. Er soll auch gequält werden. Wir haben Kämpfer untersucht, die uns sagten, dass Töten für sie zum aufregenden Vergnügen geworden ist. Es bildet sich also eine positive Rückmeldeschleife: Je mehr man schlägt, quält oder gar tötet, umso positiver erlebt man es.
Bei den Attentätern handelt es sich oft um junge Männer. Spielen Alter und Geschlecht bei der Ausübung von Gewalt eine Rolle?
Beides sind wichtige Faktoren: Jeder Mensch lernt im Laufe seines Lebens moralische Regeln – und will sie auch verinnerlichen, um sie dann umzusetzen. Dazu ist es notwendig, Situationen bewerten und richtig einschätzen zu können. Ein Erwachsener, etwa 20- bis 25-Jähriger, lässt sich viel schwerer zum Töten überreden. Anders sieht das bei jüngeren aus, insbeosndere bei den 15- bis 17-Jährigen. Hier gelingt es eher noch, moralische Hemmschwellen auszuhebeln – etwa durch Hass. Der Feind wird dann entmenschlicht, als Ungeziefer oder als Ungläubige bezeichnet und als eine anhaltende Bedrohung dargestellt. Gleichzeitig ist diese Zeit nach der Pubertät auch eben das Alter, in dem die Jugendlichen ihre kämpferischen Fähigkeiten ausprobieren. Höchstwahrscheinlich spielen auch die Geschlechtshormone eine Rolle. Wir wissen, dass die Motivation zur Jagd – sei es auf Tiere, Menschen oder sei auch nur nach dem besten Bild auf Safaris durch die Zugabe von männlichen Geschlechtshormonen, insbesondere Testosteron gesteigert werden kann. Frauen dagegen neigen insgesamt weniger zu dieser lustbetonten Form der Aggression. Ausnahmen bestätigen hier die Regel.
Sie haben bei Ihrer Arbeit mit vielen Menschen gesprochen, die in Krisengebieten sich an Morden und sogar Völkermorden beteiligt haben. Was sind das für Menschen, die sich zu diesen Gewalttaten haben anwerben lassen?

Es handelt sich hierbei um Menschen, die fast ausschließlich eine schwierige Kindheit hatten und häufig selbst körperliche Gewalt erfahren haben. Meist fehlt ihnen im Alltag eine richtige Perspektive. Sie sind frustriert und oft hilflos, ihre Situation selbst zu ändern. Sie beginnen alles zu hassen, was natürlich die Bereitschaft, sich an dieser Gesellschaft zu rächen, eher fördert. Und sie wurden überwiegend als Jugendliche oder Kinder rekrutiert.

Kann man diese Menschen auch aus dieser Spirale wieder befreien?
Das ist in vielen Fällen gelungen – aber immer nur, wenn sich auch die Umwelt der Betroffenen geändert haben. Es bedarf einen Rollenwechsel: der Kämpfende muss in die Zivilgesellschaft eingegliedert werden und dort auch Fuß fassen können. Aber dennoch bleibt etwas zurück – nämlich die Erfahrung, dass Töten und die Jagd auf Menschen lustvoll sein kann. Das gemeinsame Kämpfen in Gruppen ist ein sozialer Akt, der zumindest Männern Spaß machen kann. Diese Erinnerung bleibt den Kämpfern für den Rest ihres Lebens.
Ist Töten also mit einer Sucht zu vergleichen?
In gewisser Weise ja. Die Leute, mit denen wir gesprochen haben, gaben zu, immer wieder mal dieses Verlangen zu spüren. Das ist vergleichbar mit ehemaligen Rauchern, die es zwar geschafft haben, keine Zigarette mehr anzurühren – aber sich noch genau an das positive Gefühl erinnern, dass sie früher beim Rauchen einer Zigarette empfunden haben.
Was kann unsere Gesellschaft beitragen?
Die erste Präventionsmaßnahme vor Gewalt ist es, selbst keine anzuwenden. Das fängt schon damit an, dass man Kinder durch Schläge misshandeln darf. Haben Kinder schon früh fortgesetzt Gewalt erfahren müssen, hat das teils verheerende Folgen: Jungs schlagen zurück, sobald sie können. Zweitens: Gerade weil Gewalt im Kindesalter so prägend ist, sollte man besonders bei den jungen Flüchtlingen, die ohne Eltern oder andere Verwandte nach Deutschland gekommen sind, psychologische Screenings durchführen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass ein Junge aus Afghanistan oder aus Nigeria sich nur mit friedlichen Mitteln nach Europa durchschlagen hat können. Unseren Untersuchungen zu Folge, haben sie auf ihrer Flucht häufig viel Gewalt erlebt und auch selbst Gewalt ausüben müssen. Dass diese Jugendliche sich nicht in diesen Strudel der Gewalt hineinziehen lassen, muss verhindert werden. Dafür gibt es kurze Untersuchungsprotokolle. Und eigentlich sehen EU-Regeln dieses für alle Flüchtlinge auch vor. Doch bislang ist das in Baden-Württemberg noch nicht noch nicht umgesetzt worden. Ein Fehler, wie ich finde. Denn diese Flüchtlingen muss man umgehend auffangen und ihnen helfen, hier im Land Fuß zu fassen. Andernfalls bekommen wir ein großes Problem.