Polizeiarbeit auf dem Schirm: Markus Lang verantwortet den Social-Media-Auftritt des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. Kuriose Meldungen aus dem Polizeialltag gibt es auch in unserer Bildergalerie. Foto: factum/Granville

Die Polizei hat die Sozialen Medien für sich entdeckt. Mittlerweile sind alle zwölf Präsidien im Land online. Doch andere Nationen sind schon viel weiter.

Ludwigsburg - Ein Selbstmord auf den Schienen bei Freiberg am Neckar. Ein Räuber, der einer Seniorin auf dem Weg zur Kirche in Kornwestheim die Handtasche raubt. Und ein ausgebrannter Mercedes auf der A 81. „Heute musste ich mich kaum um eigenen Content kümmern“, kommentiert Markus Lang die tragischen Vorkommnisse. Lang verantwortet den Social-Media-Auftritt des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. Sein Schreibtisch ist voller Monitore: Zwei Smartphones in Ladestationen, ein Tablet und zwei große Monitore helfen ihm dabei, den Überblick über all die Ereignisse zu behalten, die die Polizei und die Bürger interessieren.

 

Das Polizeipräsidium Ludwigsburg ist seit Juni auf Facebook, seit Anfang Oktober 2016 auf Twitter. Damit ist Ludwigsburg das letzte der zwölf Polizeipräsidien in Baden-Württemberg, das online geht. Bis zu drei Personen pro Präsidium kümmern sich um Tweets, Posts und Co. Social Media hat sich in den vergangenen Jahren zu einem unverzichtbaren Instrument der Polizei entwickelt, sei es, um die Bevölkerung zu informieren, zu warnen, oder für eine Fahndung. Und ein bisschen Unterhaltung muss eben auch sein. Denn es sind nicht nur Tragödien, die gepostet werden: „Wenn wir nur noch schlimme Dinge posten würden, dann wollen uns die Leute irgendwann nicht mehr sehen“, sagt der Kriminaloberkommissar. Deswegen gibt es auch ab und zu Videos von Kollegen, wie sie mit ihrem Polizeihund spielen, oder Imagefilme von Polizei-Einrichtungen, wie beispielsweise einen Film des Landeskriminalamts über sein Bombenentschärfungsteam.

Ehestreit wegen Wirsingsuppe

Markus Lang hat auch eine eigene Rubrik auf Facebook entwickelt: #BestofPolizeialltag. Da geht es beispielsweise um einen verhexten Mann, einen Ehestreit wegen einer Suppe oder einen renitenten Senior, der fälschlicherweise davon überzeugt ist, sein Gebiss in einer Zahnarztpraxis vergessen zu haben. „Ich war selbst knapp zehn Jahre lang im Streifendienst. Bei vielen Dingen, die ich dort erlebt habe, dachte ich mir: „Die besten Geschichten kann man sich nicht ausdenken.“ Jetzt untersucht Lang die Einsatzberichte seiner Kollegen auf Kurioses, um es mit Menschen auf Facebook und Twitter zu teilen.

Polizei Stuttgart als Pionier

Begonnen hat die Medienarbeit im Netz mit Stuttgart 21: Eine Projektgruppe der Polizei Stuttgart startete Ende 2011 mit eigenem Twitter-Account, denn die Demonstranten organisierten sich hauptsächlich über den Kurznachrichtendienst. Stuttgart war damals Pionier, nur die Polizei Hannover verfügte bereits über einen Facebook-Account in Deutschland. Der habe aber nur zur Unterhaltung gedient, erinnert sich Renato Gigliotti. In Stuttgart habe man die Bevölkerung auch über Polizeieinsätze aufklären wollen, sagt der Pressereferent im Innenministerium. Er hat die Gruppe damals geleitet. Der Twitter-Account der Polizei Stuttgart verzeichnete im Verlauf der vergangenen drei Jahre einen Anstieg von 3000 auf 52 500 Follower.

Doch so richtig Fahrt nahmen die Social-Media-Aktivitäten der Polizei in Baden-Württemberg erst nach einem tragischen Ereignis in Bayern auf: Der Amoklauf in München im Juni 2016 habe gezeigt, dass die sozialen Medien für die Polizei heutzutage „absolut notwendig“ seien, sagt Günter Hones von der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen. Jedes Medium werde anders bespielt: Während Twitter eher Informationen von einem Einsatz, beispielsweise einer Demo, liefere, begleite Facebook den Polizeialltag und biete Hintergründe.

Der Beamte als seine eigene Pressestelle

Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hinterher, was die Nutzung sozialer Medien durch die Polizei angeht. Sebastian Denef vom Fraunhofer-Institut in Berlin forscht seit Jahren zu diesem Thema. Er sieht Deutschland in Europa im Mittelfeld.130 öffentliche Polizei-Accounts hat er in Deutschland gezählt. In den Niederlanden seien es 2300. Teilweise twittere dort der einzelne Beamte aus seinem Zuständigkeitsgebiet, und die Einwohner können ihm folgen. Der Beamte ist quasi seine eigene Pressestelle. Durch die engere Interaktion steige auch das Vertrauen in die Polizeiarbeit, so Denef.

In Deutschland sei dafür die größte Barriere nicht die Technologie, sondern die Organisationsstruktur der Polizei: „Alles läuft zentralisiert und abgesegnet über die Pressestelle.“ Hinzu kämen Bedenken wegen des Datenschutzes und das Problem, sich von der bürokratischen Behördensprache zu lösen und individueller zu schreiben.

Denefs Beobachtung im internationalen Vergleich: „Je mehr die Polizei sich aus dem digitalen Raum verabschiedet, desto aktiver werden die Bürger.“ Soll heißen: Die Bürger fangen selbst an, Polizist zu spielen. Ein Beispiel hierfür seien die Versuche der Bevölkerung, die Attentäter des Boston-Marathons im Jahr 2013 zu identifizieren.

Humorige Beiträge erreichen besonders viele Menschen

Die Polizei hierzulande verwendet die sozialen Medien ebenfalls als Mittel zur Fahndung. Der Post, mit dem das Bundeskriminalamt Anfang Oktober nach einem Kinder-Vergewaltiger fahndete, erreichte 1,1 Millionen Nutzer auf Facebook, ehe er – nach Fahndungserfolg – gelöscht wurde. Die Entscheidung zur öffentlichen Fahndung mit einem Foto des vierjährigen Opfers habe die Staatsanwaltschaft getroffen, sagt eine BKA-Sprecherin. Vorausgegangen war ein intensiver Abwägungsprozess als letzte Maßnahme zur Identifizierung des Täters.

Besonders viele Menschen erreiche die Polizei auch mit humorigen Beiträgen, ist Markus Lang vom Polizeipräsidium Ludwigsburg überzeugt: Bei knapp 4000 Abonnenten auf Facebook sehen manchen Post aus dem #BestofPolizeialltag bis zu 100 000 Leute. Und sein Vorrat an kuriosen Polizeieinsätzen ist noch lange nicht erschöpft: „Allzu konkret will ich noch nicht werden, es soll ja noch überraschend sein. Aber in den kommenden Meldungen wird es um Fleischkäse, Bananenstücke in einer Mikrowelle und um eine romantische Hund-Huhn-Beziehung gehen.“