Charlie Brown mit Snoopy Foto: Twentieth Century Fox Film Corporation

Am 2. Oktober 1950 erschien der erste „Peanuts“-Comicstrip des US-Zeichners Charles M. Schulz. Dass seine Kinderfiguren um den ewigen Verlierer Charlie Brown immer noch funktionieren, zeigt die neueste, aktuell in den Kinos laufende Film-Adaption.

„Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern“, schrieb der irische Schriftsteller Samuel Beckett einst, und in diesem Sinne ist Charlie Brown ein klassischer Beckett-Schüler. Wobei man bei den immer neuen Versuchen des „Peanuts“-Protagonisten, Drachen fliegen zu lassen, einen Football zu treffen (den die fiese Lucy immer im letzten Moment wegzieht), ein Baseball-Match zu gewinnen oder das Herz eines kleinen rothaarigen Mädchens zu erobern, kaum von besserem Scheitern sprechen kann, denn der Grad der Misserfolge bleibt deprimierend konstant – der Fortschritt besteht bei dem ewigen Pechvogel eher darin, auch in der Niederlage die Würde zu bewahren, oder kurz: sich mit den Widrigkeiten und Ungerechtigkeiten des Seins arrangieren zu lernen.

Schon dies ist ein subtiler ironischer Kommentar auf das Credo des amerikanischen Traums, dem zufolge jeder alles erreichen könne, wenn er sich nur anstrenge. Und es sind wohl nicht zuletzt solche kleinen philosophischen Elemente, die die „Peanuts“-Strips von Charles M. Schulz (1922– 2000) zu einem der bekanntesten und verbreitetsten Comics der Welt gemacht haben. Wobei Schulz selbst es prosaischer ausdrückte: „Das Grundproblem von Charlie Brown liegt darin, dass er immer verliert, obwohl er so ernsthaft bemüht ist. Das Problem kennen viele Menschen. Mit Charlie Brown können sie sich identifizieren.“

Der Künstler spiegelt sich in seiner Kunstfigur: Charlie Brown

Auch wenn man Schulz zumindest seit dem Erfolg der 1950 gestarteten Peanuts nicht als ewigen Verlierer bezeichnen kann, so war Charlie Brown für ihn doch immer eine Art Alter Ego: ein ernster, melancholischer Junge, wie es sein Erfinder als Kind gewesen sein soll. Ein Junge, der sich oft einsam und ängstlich fühlt, so wie sein Schöpfer in seinen drei Jahren als US-Soldat im Zweiten Weltkrieg – die Einheit von Schulz war unter anderem an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt. Im Krieg habe er sich Sorgen um alles gemacht, erinnerte sich der Künstler später, „und weil ich mir Sorgen gemacht habe, musste es Charlie Brown auch tun.“

Auch dessen Erscheinungsbild spiegelte Schulz’ Selbstwahrnehmung: „Als kleines Kind war ich davon überzeugt, dass mein Gesicht so nichtssagend sei, dass Bekannte, die mich an ungewohnten Orten trafen, mich nicht wieder erkennen würden“, schreibt Schulz in einem „Peanuts“-Sammelband. Er habe seine durchschnittliche Erscheinung für eine perfekte Tarnung gehalten, und „diesem Gedanken verdankt Charlie Brown sein rundes, gewöhnliches Gesicht“.

Psychologisch differenziert gezeichnete Charaktere

Wäre es nach Schulz gegangen, hätte sein Comicstrip auch wie dessen Hauptfigur geheißen. Oder zumindest „Li’l Folks“ („Kleine Leute“), wie die Vorgänger-Serie hieß, die er von 1947 bis 1949 einmal wöchentlich in der Tageszeitung „Pioneer Press“ aus St.Pauls, Minnesota, unterbrachte. Doch die Agentur United Feature Syndicate, bei der er 1950 einen Vertrag unterschrieb, wollte einen neuen Titel – und entschied sich eigenständig für „Peanuts“ („Kleinigkeiten“, wörtlich „Erdnüsse“). Der Zeichner fand den Titel „grauenhaft“, wollte intervenieren, doch es war schon zu spät. Am 2. Oktober 1950 erschien der erste „Peanuts“-Strip in neun verschiedenen US-Zeitungen.

Der Titel sollte sich nicht als Hindernis erweisen. Bereits 1955 erhielt Schulz für die Serie den Reuben Award des Berufsverbands National Cartoonists Society, die erste von vielen noch folgenden Auszeichnungen. In ihrer Hochzeit erschienen die Peanuts in über 2600 Zeitungen in 75 Ländern und hatten eine geschätzte Leserschaft von 355 Millionen. Für den Erfolg der Serie dürfte freilich nicht allein das Identifikationspotenzial ihres traurigen Helden Charlie Brown gesorgt haben. Sondern auch die psychologisch äußerst differenziert gezeichneten Charaktere der anderen Figuren, die Schulz mit lakonischem Humor oft nicht unbedingt kindtypische Themen, sondern existenzielle Probleme diskutieren ließ. Was dem Zeichner zufolge auch mit seinem immer abstrakteren Stil zusammenhing: Der „unrealistische Zeichenstil“ der Figuren „verbot es mehr und mehr, sie allzu realistisch handeln zu lassen“. Der italienische Schriftsteller Umberto Eco sieht in den Peanuts alle Aspekte der Psychoanalyse, der Massenkultur und der Wegwerfgesellschaft vereint: „Diese Kinder berühren uns, weil sie in gewissem Sinne Monster sind: Sie sind die monströs-infantilen Reduktionen all der Neurosen eines modernen Bürgers der Industriegesellschaft.“

Frei von Neurosen scheint nur der Jund Snoopy zu sein

Da sind etwa die extrem ichbezogene Lucy, der weltabgewandte Klavierspieler Schröder oder Lucys kleiner Bruder Linus, der wohl die reifste Figur von allen ist, jedoch nicht ohne seine Schmusedecke auskommt, deren Funktion im Original mit „security blanket“ (Sicherheitsdecke) weit treffender beschrieben ist. Frei von Neurosen scheint allein Charlie Browns Hund Snoopy zu sein, der wie ein sorglos in den Tag hineinlebender, anarchischer Freigeist erscheint und in seinen Tagträumen zum Kampfpiloten im Ersten Weltkrieg oder als Joe Cool zum gefeierten Surfer wird. Doch auch diese Züge der wohl beliebtesten „Peanuts“-Figur haben laut Schulz keinen heiteren Hintergrund: „Er muss sich in seine Fantasiewelten zurückziehen, um zu überleben. Ansonsten würde er ein unglückliches, langweiliges Leben führen.“

Popularität verschaffte den Peanuts auch, dass Schulz immer wieder aktuelle gesellschaftliche Themen aufgriff – ob Vietnamkrieg, Frauen- und Bürgerrechtsbewegung oder Religion. Er tat dies meist eher mit milder Ironie als scharf wertend, warf vor allem Fragen auf. Dennoch erreichten ihn mitunter empörte Reaktionen. Etwa auf einen Strip aus dem Jahr 1988, in dem Charlie Brown seiner Schwester Sally aus der Bibel vorliest: „Aber David besiegte Goliath, indem er einen großen Stein an seinen Kopf schleuderte . . . “ Worauf Sally fragt: „Was wohl Goliaths Mutter dazu gesagt hat?“ Bibeltreue Christen versuchten Schulz darauf in Leserbriefen unter anderem von der Angemessenheit von Davids Handlung zu überzeugen. Und als er 1968 den dunkelhäutigen Franklin einführt, der ganz selbstverständlich in der gleichen Klasse wie die anderen sitzt, forderten manche Leser, dieses sensible Thema in Zukunft zu unterlassen.

Die „Peanuts“-Filme zielen auf ein jüngeres Publikum als die Comic-Strips

Im Gegensatz zu den oft eher an Erwachsene gerichteten Zeitungs-Strips peilten die ab 1965 produzierten „Peanuts“-Filme für Fernsehen und Kino viel stärker ein jüngeres Publikum an. Auch wenn viele der Charakteristika der Comics durchaus gelungen übernommen wurden, hatten alle „Peanuts“-Filme im Gegensatz zu den Strips ein Happy End. Mindestens einmal scheiterte Charlie Brown nicht. Das gilt auch für den aktuellen, seit einer Woche in den Kinos laufenden Film „Die Peanuts“, der trotz seines neuen 3-D-Animationslooks vor allem eine Hommage an die alten Filme und Comics ist. Fast durchweg werden darin Motive verarbeitet, die Schulz spätestens in den 1960er Jahren in seinen Comics etabliert hatte, und sie funktionieren noch immer.

Am 12. Februar 2000 starb Schulz, einen Tag darauf erschein sein letzter Strip, Nummer 17 897, den er schon drei Monate zuvor gezeichnet hatte. Nach seinem Willen sollte die Serie nicht fortgeführt werden. Dennoch erschienen 2012 von Vicki Scott und Paige Braddock umgesetzte neue Geschichten, was trotz der Autorisierung durch die Erbengemeinschaft „Charles M. Schulz Creativ Associates“ einen fahlen Beigeschmack hinterlässt.