Man kennt das: irgendwas ist immer Foto: imago/YAY Images

Grundsätzlich ist es nichts Schlechtes, seinen Unmut rauszulassen. Gerät man dabei jedoch in eine Dauer-Jammerschleife, nervt das nicht nur das Umfeld, sondern gefährdet auch die eigene Gesundheit.

Eins vorneweg: Eltern haben sicherlich einen der härtesten Jobs der Welt. Sie sind sieben Tage die Woche mehr oder weniger 24 Stunden täglich im Einsatz, ohne Wochenende, ohne Urlaub. Werden dabei mit jeder Menge Lärm, Schmutz und Problemen konfrontiert.

Und weil es für all das noch nicht einmal Geld gibt, gehen die meisten zusätzlich noch einer Erwerbsarbeit nach. Das alles ist sehr oft nicht lustig und manchmal schlichtweg nicht zu schaffen.

Irgendwas ist immer

Deshalb finden Eltern immer und überall sehr viele Gründe zum Klagen. Im Kindergarten wird wahlweise darüber gemotzt, dass die Kinder wegen des schlechten Wetters nicht – oder bei diesem schlechten Wetter eben doch draußen waren. Auf dem Spielplatz dreht sich alles nur um kranke Kinder und schlaflose Nächte. Um Sand im Flur, Löcher in den Hosen, Dauer-Streit zwischen Geschwistern, mangelnde Freizeit.

Beim Elternabend in der Schule: Stöhnen über fehlende Hausaufgaben-Motivation, schlechtes Mittagessen in der Mensa, ungerechte Lehrer und die Tatsache, dass man den einzigen freien Abend in der Woche jetzt auch noch beim Elternabend verbringen muss. Obwohl noch eine Minute zuvor beklagt wurde, dass der Austausch mit den Lehrern fehlt.

Warum wir so gerne jammern

Müssen Eltern ständig jammern, wie schwer sie es haben? Kommt darauf an, findet Michael Thiel. Der Psychologe aus Hamburg kennt sich sehr gut aus mit Jammerlappen. Er hat zusammen mit der Psychologin Annika Lohstroh ein Buch mit dem schönen Titel „Deutschland, einig Jammerland“ geschrieben (Gütersloher Verlagshaus). Und beschreibt darin die Gründe, warum wir Menschen so gern jammern.

Nämlich, um unseren Unmut zu bekunden, dass etwas im eigenen Leben gerade nicht so läuft, wie man sich das so vorstellt. „Häufig passiert das nur still im Kopf oder man grummelt leise vor sich hin“, sagt Michael Thiel. Denn was man – auch nur in stille – Worte fasst, ist einem bewusst, lässt man raus. „Das dient einem seelischen Druckabbau“, so Thiel.

Wenn das nicht reicht, wird die Lautstärke aufgedreht, damit der Partner, der Chef oder die Kinder hören, was einen nervt. „Das ist dann wie ein indirekter Hilferuf nach Aufmerksamkeit. Man hofft, dass das Gegenüber nachfragt, sein Mitleid bekundet, Trost spendet oder vielleicht sogar eine Lösung gegen die Ursache des Jammerns parat hat“, sagt Michael Thiel.

Jammern sollte nicht die Regel werden

Hinzu kommt natürlich, dass das Teilen von Emotionen entlastet. Auch das erklärt, warum gerade Eltern in Gegenwart anderer Eltern so viel am Jammern sind. Sie drücken damit auch ihre Solidarität aus. „Du bist doch nicht allein mit den schlaflosen Nächten / dem trotzigen Kind / dem unmöglichen Pubertierenden! Bei uns ist das doch ganz genauso! Ja, sogar noch schlimmer!“

Nach einem solchen Jammer-Austausch fühlen sich viele verstanden, erleichtert, besser. „Wenn die Jammerei zu solchen positiven Gefühlen führt und ausnahmsweise mal vorkommt, ist sie durchaus nützlich. Aber Jammern sollte eben nicht zur Regel werden“, sagt Michael Thiel.

Genau das passiere aber gerade bei Eltern häufig. Denn alles, was sie so an ihrem Leben stört, ist ja keine Momentaufnahme, sondern bleibt. Für sehr viele Jahre. Das bedeutet: Der seelische Druckabbau funktioniert nur bedingt, denn das, was das Gejammere auslöst, ist danach ja immer noch da.

„Man darf trotzdem nicht in einer Dauerschleife aus Jammerei hängen bleiben“, sagt Michael Thiel. Denn irgendwann wird sich das Umfeld genervt abwenden, weil ständige Nörgelei eben auch anderen die Stimmung vermiest. „Dauerjammern kann auch zu Depressionen führen, dann braucht man professionelle Hilfe“, so Thiel.

Damit es nicht so weit kommt, empfiehlt er, Jammern als Vorstufe zu nutzen, um etwas am eigenen Leben zu ändern, was einem nicht passt. Bei Eltern sei das oft eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit ihrem Leben. Weshalb sie sich überlegen sollten, woher diese komme.

Zufriedene Eltern, zufriedene Kinder

Viele Eltern haben heute ständig das Beste für ihre Kinder im Blick – und verlieren dabei ihre eigenen Bedürfnisse aus den Augen. Wer sich aber nicht gut um sich selbst kümmert, kann sich auch nicht gut um andere kümmern.

„Eltern brauchen in ihrem vollgepackten, stressigen Alltag dringend Erholungsmomente. Denn nur zufriedene Eltern haben auch zufriedene Kinder“, sagt Michael Thiel. Er weiß, dass das oft nicht leicht zu organisieren ist. „Deshalb muss man sich unbedingt ein gutes soziales Netzwerk aufbauen, um die Kinder auch mal abgeben zu können.“

Einfach mal nichts machen

Und wenn man dann endlich mal wieder ausgeschlafen hat; einen Kaffee getrunken hat, bevor er kalt war; ein Buch gelesen hat, das kein Kinderbuch ist; oder einfach nur mal nichts gemacht hat – dann wird man auch weniger Gründe finden, um zu jammern. Höchstens vielleicht darüber, dass die kinderfreie Pause irgendwann zu Ende geht.

Spätestens dann wird es aber auch Zeit, sich eine entscheidende Sache in Erinnerung zu rufen: Es war die eigene, freie Entscheidung, ja, oft der größte Wunsch, Kinder in die Welt zu setzen. Und sie zu haben, ist doch ziemlich oft auch einfach nur eins: wunderschön.

Info

Jammerfasten
Psychologe Peter Beer, Gründer der Achtsamkeits-Academy veranstaltet seit mehreren Jahren eine sogenannte Jammerfasten-Challenge (www.jammerfasten.de, Teilnahme kostenlos).