Eine Sichtschutzwand soll vor Gaffern schützen. Foto: dpa

Immer häufiger behindern Gaffer nach Unfällen Polizei und Rettungsdienste. Die Politik denkt über neue Gesetze nach, um ein solches Verhalten zu sanktionieren.

Lorch - Vor wenigen Wochen hat sie wieder einen Aufschrei der Empörung verursacht: die Lust des Menschen am Betrachten des Schrecklichen – oder reißerischer formuliert: seine Gaffsucht. Im Ostalbkreis bei Lorch waren eine Falschfahrerin und ein 20-Jähriger frontal zusammengestoßen und noch am Unfallort gestorben – direkt unter einer Brücke. Die Schaulustigen fanden Logenplätze vor, um zu filmen und zu fotografieren, was sich unter ihnen abspielte. Manche Passanten holten sogar ihre Kinder dazu. Dreimal versuchten die Einsatzkräfte, die Brücke zu räumen. Die Aalener Polizei reagierte emotional: „Hey Gaffer“, schrieb sie auf ihrer Facebook-Seite. „Wir haben es satt! Lasst die Smartphones in der Hose und haltet euch von der Unfallstelle fern.“

Dass der Anblick der Katastrophe den Menschen fasziniert, ist kein Phänomen der Neuzeit. Schon der römische Dichter und Philosoph Lukrez schrieb in seinem Werk „Über die Natur der Dinge“: „Wonnevoll ist’s bei wogender See, wenn der Sturm die Gewässer aufwühlt, ruhig vom Lande zu sehn, wie ein andrer sich abmüht. Nicht als ob es uns freute, wenn jemand Leiden erduldet, sondern aus Wonnegefühl, dass man selber vom Leiden befreit ist.“ Allerdings wird die Versuchung, sich am Leid anderer zu weiden, im Zeitalter der Selbstinszenierung offenbar erheblich verstärkt. „Seit der Verbreitung der sozialen Medien haben wir es mit einer ganz anderen Qualität zu tun“, berichtet der Aalener Polizeisprecher Ronald Krötz, der seit 20 Jahren im Einsatz ist. Mit dem Smartphone könne sich nun jeder jederzeit und an jedem Ort als Livereporter gerieren und sich einbilden, durch seine Bilder Geschichte zu schreiben – oder zumindest auf Facebook „gelikt“ zu werden.

Das Fotografieren von Verletzten ist strafbar

Die Liveberichterstattung ist nicht gesetzwidrig, die Bilder sind es allerdings schon – sofern die abgelichteten Unfallopfer am Leben sind. Schlechter geschützt sind die Verstorbenen. Diesen Umstand haben die Bundesländer Niedersachsen und Berlin im vergangenen Frühjahr zum Anlass genommen, eine Gesetzesinitiative zur „Bekämpfung von Gaffern“ zu formulieren. Darin enthalten ist auch die Forderung, dass künftig schon die reine Behinderung von Einsatzkräften für einen Straftatbestand ausreicht. Bisher machten sich Schaulustige erst strafbar, wenn sie Einsatzkräfte „durch Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt“ behinderten. Die Initiative hatte Erfolg, auch Baden-Württemberg stimmte dafür. „Es ist nicht hinzunehmen, wenn Schaulustige die Arbeit von Rettungskräften behindern“, hat der Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) damals die Entscheidung kommentiert.

Seit Dezember 2016 liegt ein entsprechender Referentenentwurf des Justizministers Heiko Maas (SPD) dem Bundestag vor – allerdings in einem neuen Gewand. Er titelt nicht mehr mit „Bekämpfung von Gaffern“, sondern zielt auf eine allgemeine „Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten“ ab in dem Sinne, dass „tätliche Angriffe“ schärfer bestraft werden. Ob das auch für den Fall gilt, dass Schaulustige nur im Weg stehen, ist nach Angaben des rechtspolitischen Sprechers der SPD, Johannes Fechner, noch unklar. „Ist es bereits körperliche Gewalt, wenn man seinen Körper als Hindernis einsetzt? Diese Frage müssen wir in den Gremien genau ausleuchten“, sagt Fechner. Auch das Thema Fotografieren von Verstorbenen wurde in den Referentenentwurf nicht aufgenommen. Die SPD sei aber offen, ihren Entwurf um diesen Aspekt zu ergänzen, betont Fechner. Nach den parlamentarischen Beratungen, die am 16. Februar beginnen, könnte ein neues Gesetz nach Angaben des SPD-Sprechers im April in Kraft treten.

Manch ein Polizist würde ein sattes Bußgeld bevorzugen

Säßen die Einsatzkräfte in den Gremien, gäbe es wohl keine langen Diskussionen. „Wenn die passive Behinderung nicht auch unter Strafe gestellt wird, kann das neue Gesetz eigentlich eingeäschert werden“, heißt es aus Polizeikreisen. Abgesehen davon, würde ein neues Gesetz nur dann greifen, wenn die Polizei auch personell verstärkt würde. „Wenn es um Leben und Tod geht, können wir uns momentan nicht mit der Strafverfolgung von Gaffern befassen.“

Dieser Umstand scheint sich auch in der Statistik des baden-württembergischen Justizministeriums widerzuspiegeln: Innerhalb von drei Jahren wurden landesweit nur fünf Personen aufgrund von Widerstand gegen Rettungsdienste oder die Feuerwehr verurteilt. Bei dieser Zahl handelt es sich den Behördenangaben zufolge nicht zwingend um Gaffer-Fälle. Ein Sprecher des Justizministeriums weist darauf hin, dass die geringe Zahl auch ein Indiz dafür sein könnte, dass der Polizei schlicht die rechtliche Handhabe fehle. Auch zum verbotenen Fotografieren bei Unfällen bietet die Statistik keine gesonderte Zahl.

Statt zu ermitteln, würde so mancher Polizist am liebsten „einfach ein sattes Bußgeld über 300 Euro“ verhängen können. „Das schmerzt die Gaffer am ehesten.“

Die Polizei darf Smartphones von Gaffern einziehen

Das Gaffen an sich ist nicht strafbar. Wer aber Aufnahmen von Verletzten macht, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. Die Polizei darf außerdem die Handys und Kameras der Schaulustigen sofort einziehen. Wer Einsatzkräfte durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt behindert, muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Werden Rettungskräfte behindert, indem Schaulustige den Seitenstreifen auf der Autobahn befahren oder dort sogar parken, ist ein Verwarngeld von 20 bis 25 Euro fällig.

Wer eine Unfallstelle sieht, sollte laut ADAC zunächst sicherstellen, ob die Rettungskräfte bereits eingetroffen sind – sonst macht er sich wegen unterlassener Hilfestellung strafbar. Sind diese vor Ort, empfiehlt der Verkehrsclub, einer aufsteigenen „Schaulust aktiv entgegenzuwirken“ und seinen Weg fortzusetzen. Abgeraten wird, andere von der Schaulust abzuhalten, da dies erfahrungsgemäß Konflikte schüre. Besser sei es, durch das eigene Verhalten ein Vorbild abzugeben und weiterzufahren. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.toedlicher-unfall-auf-b29-bei-lorch-markierungen-und-schilder-muessen-gut-sichtbar-sein.22ee677c-c3a3-45ec-a8da-98f732c197b8.html