Ein Foto aus der Mörike-Buchhandlung – kein leichter Job für unseren Fotografen. Siegfried Mandl und seine Mitarbeiter wollten nicht aufs Bild. Sie stehen nicht gerne im Rampenlicht. Foto: factum/Granville

Aigner macht nach 214 Jahren für immer dicht, aber die Mörike-Buchhandlung in Ludwigsburg behauptet sich noch gegen die übermächtige Konkurrenz. Woran liegt das?

Ludwigsburg - Ist das der Geruch, der bald für immer verschwindet? Ältere Menschen werden sich erinnern, dass zu bestimmten Läden bestimmte Düfte gehören beziehungsweise gehörten. Nirgends sonst auf der Welt riecht es so, wie es früher bei einem Schuhmacher roch, und wenn der Beruf stirbt, stirbt das spezielle Odeur – ein Wort übrigens, das ebenfalls fast ausgestorben ist. Der nächste Geruch, der für immer aus dem Alltag der Menschen verloren gehen wird, ist wohl der von Papier, von großen Mengen Papier in gebundener Form auf engstem Raum. In manchen, vor allem kleinen Bibliotheken findet man ihn noch, und in Ludwigsburg sonst nur in der Seestraße 5. Es ist der erste Sinneseindruck, der sich geradezu penetrant bemerkbar macht, wenn man die Mörike-Buchhandlung betritt. Früher rochen alle Buchhandlungen so, und sie sahen auch so aus.

Vollgestopft bis fast an die Decke mit Büchern, in jedem noch so kleinen Winkel steht ein Regal, und an der Wand hängen Plakate mit Zitaten wie diesem: „Ihr lest keine Lyrik – seid Ihr wahnsinnig?“ Gesagt hat es die italienische Publizistin Maria Gazzetti, und eigentlich hängt das Poster am falschen Ort. Während die Deutschen immer weniger lesen und schon gar keine Lyrik mehr, hat die Mörike-Buchhandlung genau da ihre Nische gefunden. „Wir legen den Schwerpunkt auf das Buch, das besondere Buch“, sagt Siegfried Mandl und holt aus den Regalen einige Wälzer, die es nie auf Bestsellerlisten schaffen. Die Sammlung der Briefe zwischen Hanne Trautwein und Hermann Lenz. Berichte und Geschichten rund um die Ostsee, angefangen bei Tacitus. Dicke und schwere Lyrikbände.

In den Räumen ist die Zeit stehen geblieben – aber das Konzept funktioniert

Vor 20 Jahren übernahm Mandl, gelernter Buchhändler, die Mörike-Buchhandlung, die aus einer 1938 gegründeten Firma hervorgegangen war. Seither, scheint es, ist in den nur 150 Quadratmeter großen Räumen die Zeit stehen geblieben, und das ist nicht negativ gemeint. Natürlich, sagt Mandl, verkaufe er auch Bücher aus dem Mainstream, das aber treibe ihn nicht an. Ihn treibe die „Freude am Buch an, die besondere Atmosphäre einer Buchhandlung“. Das gelte ebenso für seine fünf Mitarbeiter. Das sei selten geworden.

Eine Buchhandlung, die den Schwerpunkt auf Bücher legt – das klingt nach einer Plattitüde, einer Selbstverständlichkeit. Geht man nur 150 Schritte nach Norden, versteht man, was Mandl damit meint. Man ist dann immer noch in der Fußgängerzone, steht wieder in einer Buchhandlung, und ist doch in einer anderen Welt angekommen. Thalia ist ein schöner Laden, gut sortiert, sehr aufgeräumt. Nur stehen am Eingang keine Lyrikbände, sondern die neusten Bücher von Charlotte Link, und dahinter, auf einem runden Tisch, sind Strümpfe mit „Kuschelfellfutter“ aufgestapelt. Die heißen zwar Lesesocken, haben aber mit Büchern nix zu tun. Ebenso wie das Lego-Spielzeug, die Flaschenöffner, Kaffeebecher, das Duschgel oder die Biergläser, die Thalia im Sortiment hat. Wie andere Ketten hat das Unternehmen auf die Krise des Buchhandels reagiert und aus seinen Geschäften Boutiquen mit allerlei Schnickschnack gemacht.

Thalia reagierte auf die Krise und nahm jede Menge Krimskrams ins Sortiment

Nach Papier riecht es darin allenfalls dezent. Ludwigsburg sei ein wichtiger Standort in Baden-Württemberg, erklärt die Thalia-Pressestelle. „Wir sind ein lebendiger Treffpunkt in der Stadt für alle, die Geschichten lieben.“ Die Filiale sei „gesund und rentabel“.

Wieder einige hundert Meter weiter, in der Buchhandlung Aigner am Schillerplatz, trifft all dies nicht zu. Aigner ist keine Filiale, sondern eine Institution. Hermann Hesse, Günter Grass, große Literaten haben hier ihre Bücher vorgestellt. Doch nach 214 Jahren wurde unlängst das Ende verkündet: Das Geschäft wird in wenigen Wochen endgültig schließen. „Oh wie traurig“, „Wie furchtbar!“, „Ich bin sprachlos“: In den sozialen Medien reagierten Ludwigsburger emotional auf die Nachricht und erinnerten an weitere Buchhandlungen, die verschwunden sind, das Schwarze Schaf oder Schubart. „Was nun?“, fragte eine Leserin dieser Zeitung.

Der letzte David gegen viele Goliaths

Tja, was nun? Siegfried Mandl ist in der City bald der letzte David, der sich gegen all die Goliaths, gegen Thalia und gegen Amazon und gegen die anderen Internethändler behaupten muss. Er ist überzeugt, dass es gelingt; nicht obwohl, sondern weil er sich den Trends verweigert. Zwar gibt es bei Mörike im Untergeschoss Kalender zu kaufen, aber Socken werden wohl nie in den Regalen auftauchen. „Es könnte uns besser gehen“, sagt Mandl. „Aber es geht uns stabil gut.“ Klar, auch er beobachte Kunden, die durch den Laden streifen und sich ausgiebig beraten lassen, ohne etwas zu kaufen – um später bei Amazon zu bestellen. Das sei ärgerlich, aber eine Ausnahme. Viel Umsatz habe er wegen der Konkurrenz im Netz nicht verloren. „Zu uns kommen Leute, die ein Buch in die Hand nehmen und dann nach Hause tragen wollen.“ Auch Mörike hat eine Webseite, auf der Bücher bestellt werden können. „Für uns ist das aber nicht so bedeutend.“ Herzblut, intensive Kundenberatung, Kompetenz, das seien für seinen Erfolg die wichtigeren Faktoren.

Das Aus von Aigner sieht Mandl ambivalent. Er wird davon vermutlich profitieren, aber: „Ich hätte es Aigner gewünscht, dass es weitergeht, und ich wünsche mir eine lebendige Buchlandschaft.“ Mandl sucht gerade zusätzliches Personal, weil es nahe liegt, dass Aigner-Kunden zu ihm wechseln werden. Darüber müsste er sich freuen, doch so richtig glücklich wirkt er nicht bei dem Gedanken. „Größenwahnsinnig werden wir nicht“, sagt Siegfried Mandl. „Wir lieben das ruhige Fahrwasser, unsere Nische – das wird sich nicht ändern.“