Wladimir Putins Arm reicht bis nach Südosteuropa. Foto: POOL SPUTNIK KREMLIN

Die Beitrittsperspektive für den Westbalkan muss bleiben. Wenn die EU Südosteuropa hängen lässt, wird Russland in diese Lücke stoßen und den Brandstifter spielen.

Stuttgart - Eine ganze Generation ist in Bosnien geboren und aufgewachsen, die nichts anderes kennt als das vage Versprechen, irgendwann in der Europäischen Union eine bessere Zukunft zu finden. Ihre Eltern haben vor 25 Jahren einen blutrünstigen Bruderkrieg ausgefochten und werden langsam alt.Sie stehen wirtschaftlich vor dem Nichts. Seit der Bosnienkrieg 1992 ausbrach, engagiert sich Brüssel mehr oder weniger stark, um die Staaten Ex-Jugoslawiens in die EU zu holen. Wie lange sind solche Verheißungen attraktiv oder auch nur glaubwürdig? Sollte diese Vision aufgegeben werden? Nein – auch wenn der Weg dahin härter als gedacht ist und am Ende nicht alle Hoffnungen erfüllt werden. Denn die Alternativen heißen: Krieg oder Wladimir Putin.

Die EU hat nach dem Ausbruch der Balkankriege – 1991 zuerst in Kroatien und Slowenien, 1992 dann in Bosnien – viele schwerwiegende Fehler gemacht. Doch die Beitrittsperspektive zählt nicht dazu. Viele positive Entwicklungen in diesen Ländern haben ihren Ursprung in den Anstrengungen, Mitglied der EU zu werden. Auch der Ausgang der Präsidentenwahl in Serbien vom Wochenende zeigt: Die EU wirkt. Der Wahlsieger Aleksandar Vucic hat seine Karriere als Handlanger des Kriegstreibers Slobodan Milosevic begonnen. Seit seiner Häutung 2008 gilt er als Nationalkonservativer, der das Land als Ministerpräsident politisch und wirtschaftlich stabilisiert hat. Er kokettiert zwar mit Russland, gewinnt aber die Wahlen vor allem, weil er enge Bande mit der EU und mit Deutschland geknüpft hat. Es ist nicht alles Gold, was glänzt, trotzdem ist der EU-Beitrittskandidat Serbien auf dem Weg nach Europa ein gutes Stück vorangekommen. Noch mehr gilt das für Kroatien, das 2013 der EU beigetreten ist – und natürlich für das EU-Mitglied Slowenien mit seiner mustergültigen Entwicklung.

Schon die Verhandlungen helfen den Anwärtern

Schon allein der lange und anstrengende Annäherungsprozess an die EU verändert die Staaten der Region. Verwaltungsstrukturen müssen aufgebaut werden, Standards der Staatsführung gesetzt und eingehalten werden, um die Forderungen der EU zu erfüllen. Dies fordert alle diese Anwärterstaaten, aber Bosnien-Herzegowina im besonderen Maße.

Der Friedensvertrag für Bosnien hat 1995 einen Staat geschaffen, dessen Macht auf viele Schultern verteilt ist – national, regional und ethnisch; Kroaten, bosnische Muslime und Serben im Blick. Daraus folgt zum Beispiel, dass die serbische Teilrepublik ihre Landwirtschaftspolitik autonom macht und die Energiepolitik zwischen serbischen Bosniern sowie Kroaten und Muslimen auf der anderen Seite abgestimmt werden muss. Wollen sie in die EU, müssen die Bosnier ihre politischen Strukturen erneuern. Die EU kann ihnen das nicht abnehmen. Dies gilt auch für Serbien, das sein Verhältnis zum Kosovo klären muss.

Ein neuer Krieg ist nicht unmöglich

Wird die EU-Perspektive unglaubwürdig, sind blutige Kämpfe in diesen Staaten nicht ausgeschlossen, weder in Bosnien noch in Mazedonien und auch nicht zwischen Serben und Kosovaren. Es gilt, ernsthaft und entschlossen weiterzuverhandeln – in aller Offenheit und Gründlichkeit und mit erklärtem Willen zur Mitgliedschaft aller ex-jugoslawischen Staaten. Derzeit lässt es die EU angesichts anderer Krisenherde an Engagement in der Region fehlen. Brennt es dann wieder, ist der Schock groß.

Ein Zündler hat die Lunten schon gelegt: Wladimir Putin. Er versucht seit Jahren, Serbien mit Wirtschaftskooperationen und Schmeicheleien an sich zu ziehen, hat Montenegro massiv unter Druck gesetzt, umgarnt die Serben in Bosnien und schürt den Machtkampf in Mazedonien, um dieses Land enger an Russland zu binden. Putin hat gezeigt, wie virtuos er mit regionalen kulturellen Konflikten Machtpolitik betreiben kann. Man sollte ihm nicht mehr Gelegenheiten dazu geben.