Die Dame unten rechts hat gerade etwas angestellt im Kurzfilm „Ballade der Batrachian“ und flieht lachend. Warum, erfährt man beim Stuttgarter Filmwinter. Foto: Festival

Brav und bieder Erzähltes findet man beim 31. Stuttgarter Filmwinter nicht. Das Festival für Medienkunst bietet auch im Kurzfilmprogramm noch bis 11. Februar Ungewöhnliches. Bitte nicht missverstehen: Das heißt nicht, die Werke seien allesamt wirr und unverständlich.

Stuttgart - Bunte Keramikfrösche sitzen in den Türrahmen einer ländlichen portugiesischen Kleinstadt. Davor liegt grauer, sich aufblähender Asphalt und die Stille der kaum erträglichen Mittsommerhitze. Plötzlich tritt ein Mädchen ins Bild: Mit flinken Fingern schnappt sie sich eines der Porzellantierchen und zerdeppert es mit wütendem Schwung mitten auf der Straße. Die Kamera wackelt im Kurzfilm „Ballade der Batrachian“, der beim Stuttgarter Filmwinter zu sehen ist, während das Mädchen lachend davonläuft.

Was nach der übermütigen Nachmittagsbeschäftigung einer gelangweilten Spätpubertierenden aussieht, ist in Wahrheit ein politisches Statement. Denn der kleine Keramikfrosch ist das Symbol eines alten portugiesischen Aberglaubens: In den Türrahmen und Fenstern von Restaurants, Boutiquen und Büchereien soll er Bewohner und Besucher vor Zigeunern schützen. Doch was, wenn man auf der falschen Seite dieses Mythos geboren wurde?

Die 25-jährige Filmemacherin Leonor Teles ist selbst Tochter einer Roma – und bricht in„Ballade der Batrachian“ spielerisch mit den Anfeindungen, denen sie dank ihrer Herkunft ausgesetzt ist. Das Frösche-Zerdeppern sei etwas gewesen, was sie habe tun wollen, seit ihre Mutter ihr den Symbolismus der Tiere offenbart habe, erzählt sie dem US-amerikanischen Onlinemagazin „Indiewire“ in einem Interview. Mit den künstlerischen Mitteln des Kurzfilms habe sie die Aktion schließlich in einen gesellschaftskritischen Zusammenhang setzen können. Und das funktioniert: 2016 gewann „Ballade der Batrachian“ einen Bären bei der Berlinale, und nun steht dieser Kurzfilm im Found-Footage-Stil für eine ganze Reihe experimenteller Formate, die der Stuttgarter Filmwinter auch in diesem Jahr wieder im Wettbewerbsprogramm hat.

Vorsicht, Wahrnehmungsblasen!

Pop-Persiflage, Flüchtlingsdrama, Dystopie: In einen Topf lassen sich die rund 70 Preisanwärter nur schwer werfen – und das kommt dem Festivalteam gerade recht. Denn dem diesjährigen Motto spielt die formale und inhaltliche Diversität des Filmprogramms ganz gut in die Hände: „Inside the fluffy Filter Bubble“ hat man sich schließlich auf die Fahnen geschrieben und stellt nun im zum Filmwinterpalais umfunktionierten Stadtmuseum die Frage, in welchen Wahrnehmungsblasen man durch den eigenen Alltag marschiert.

Ein Augenöffner ist auch der Kurzfilm „Penúmbria“ von Eduardo Brito (11. Februar, 13.30 Uhr): Er erzählt die Geschichte eines Orts im portugiesischen Nirgendwo, der seit 200 Jahren zwischen dem Meer und einem aufragenden Bergkamm eingeschlossen ist. Nach und nach kapitulierten die Bewohner vor den Witterungsbedingungen, ließen Hab und Gut zurück und wählten ein Leben in der Fremde. Nur ein Mann und eine Frau harren bis heute in der Verlassenheit aus. Mit stiller Melancholie erzählt Brito so von der Sehnsucht nach dem Ankommen inmitten einer verlorenen Heimat. Vielleicht ist auch das der erste Schritt aus der eigenen Filterblase.