Der türkische Präsident Erdogan war am Mittwoch zum ersten Mal im Erdbebengebiet. Foto: AFP/ADEM ALTAN

Die türkische Opposition macht Präsident Erdogan für das Ausmaß der Erdbebenkatastrophe verantwortlich. Der Vorwurf: Seine Regierung hat zu wenig für die Erdbebenvorsorge getan. Bei den Wahlen im Mai könnte ihn dies sogar das Amt kosten.

Die Erdbebenkatastrophe im Südosten der Türkei könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan bei den Wahlen im Mai das Amt kosten – und das weiß er. Bei seinem ersten Besuch im Unglücksgebiet gab sich der 68-Jährige am Mittwoch als Landesvater, der dafür sorgt, dass Opfer behandelt und Überlebende in Hotels an der türkischen Riviera untergebracht werden. Innerhalb eines Jahres würden Sozialwohnungen für alle Überlebenden gebaut, versprach Erdogan. Damit wollte er dem Unmut vieler Erdbebenopfer in der Region begegnen, doch das dürfte angesichts der Verzweiflung und Verärgerung nicht reichen. Die Opposition wirft Erdogan vor, er trage die Hauptverantwortung für das Ausmaß der Katastrophe, weil seine Regierung auf Vorsorge gepfiffen habe.

Bis Montagmorgen lief es für Erdogans Wahlkampf gut

Erdogan besuchte die Stadt Kahramanmaras nahe des Epizentrums des Bebens und versuchte den Opfern Mut zu machen. Der Staat habe alle Kräfte für die Hilfe mobilisiert, sagte er. Mehr als ein paar Probleme am ersten Tag nach dem Unglück habe es nicht gegeben. Jetzt laufe es immer besser mit der Hilfsaktion. Doch Hoffnung zu verbreiten, fiel schwer, zumal er neue Opferzahlen verkünden musste: Mehr als 8500 Menschen sind tot, rund 50 000 wurden verletzt, mehr als 6400 Gebäude wurden zerstört. Kurz darauf stieg die Zahl der Todesopfer auf mehr als 9000.

Bis zum Beben am frühen Montagmorgen hatte es gut ausgesehen für Erdogans Wahlkampf. Trotz hoher Inflation waren seine Beliebtheitswerte zuletzt gestiegen, staatliche Milliardenausgaben für höhere Mindestlöhne und einen leichteren Einstieg in die Frührente zeigten ihre Wirkung in den Umfragen. Die Opposition agierte hilflos, auch weil sie sich drei Monate vor den Wahlen noch nicht auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten einigen konnte. Die Katastrophe hat alles verändert. 1999 versagte die damalige Regierungskoalition bei der Reaktion auf ein schweres Erdbeben bei Istanbul und verlor drei Jahre später die Macht an Erdogan. Jetzt könnte sich die Stimmung im Land gegen ihn wenden, wenn der Eindruck entsteht, seine Regierung bekomme die Lage nicht in den Griff.

Die Kritik der Opposition wächst

Dieser Eindruck verbreitet sich derzeit schnell. Am Mittwoch lagen noch Tausende Menschen unter den Trümmern ihrer Häuser. „Warum wird hier nicht gearbeitet?“ fragte der Oppositionsabgeordnete Ömer Faruk Gergerlioglu in der schwer zerstörten Stadt Malatya. „Hier gibt es niemanden, hier gibt es keinen Staat“, lautete die Antwort eines Erdbebenopfers.

Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu, machte dem Präsidenten schwere Vorwürfe. Schuld an den vielen Toten sei die Regierung Erdogan, die es in 20 Jahren an der Macht versäumt habe, das Land auf die absehbare Katastrophe vorzubereiten, sagte Kilicdaroglu in einem Twitter-Video, das bis Mittwoch fast zwölf Millionen Mal angeschaut wurde. Damit spielte Kilicdaroglu auf den weit verbreiteten Pfusch am Bau an. Außerdem habe Erdogan die Milliarden-Einnahmen aus der Erdbeben-Steuer von Hausbesitzern regierungsnahen Unternehmen in den Rachen geworfen. „Das Geld ist weg.“