Anpfiff gegen Dortmund: VfB-Interimstrainer Jürgen Kramny. Foto: Baumann

Der VfB und seine Interimstrainer: Mal Platzhalter, mal Retter, mal Dauerbrenner, und einer wurde vom Notnagel zum Weltmeister. Jetzt hofft auch Jürgen Kramny auf die große Karriere.

Stuttgart - Der neue Mann an der Seitenlinie hat die freie Wahl. Er kann sich nur dezent von seinem (glücklosen) Vorgänger abheben und nur kleine Korrekturen anbringen. Er kann auch alles ganz anders machen, und wenn er im Handstand ins Stadion einläuft, ist es auch gut – solange er nur den Erfolg zurückbringt. Denn dafür ist der Interimstrainer da. Als Feuerwehrmann ohne Anspruch auf eine Altersversorgung – was sich im einen oder anderen Fall beim VfB schon geändert hat. Ein Rückblick: Saison 1964/65: Franz Seybold Die Bundesliga steckte noch in den Kinderschuhen, da machte der VfB bereits den Vorreiter: Für Kurt Baluses kam Franz Seybold – für zwei Spiele. Eines verlor er (2:4 im DFB-Pokal gegen Schalke 04), eines gewann er (4:2 gegen den Meidericher SV). Nichts Spektakuläres also. Und doch schrieb Seybold an einer ungewöhnlichen Geschichte mit: 1969 saß er anstelle von Frantisek Bufka wieder auf der Bank. Den Tschechen hatte der VfB verpflichtet, dummerweise hatte er aber nicht die nötige Lizenz zum Trainieren. Saison 1974/75: Fritz Millinger Der Eislinger, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, hat VfB-Geschichte geschrieben: Er ist der einzige Trainer der Roten, der nie verloren hat. Gut, der Mann nach Hermann Eppenhoff saß auch nur einmal auf der Bank – und da gewann er 2:1 gegen den MSV Duisburg. Danach, so war es abgesprochen, machte er Platz für Albert Sing – der stieg am Saisonende mit dem VfB ab.

Saison 1975/76: Karl Bögelein Vier Jahre zuvor war Bögelein für Branko Zebec schon einmal eingesprungen, hatte den VfB mit drei Siegen aus fünf Spielen aus dem Formtief geholt. Im April 1976 löste er Istvan Sztani ab, startete mit einem furiosen 5:0 gegen die Kickers und kam trotzdem nur zu vier Siegen in zehn Spielen. Sein Nachfolger Jürgen Sundermann machte es besser: Unter ihm stieg der VfB 1977 wieder auf.

Sechs Spiele, sechs Siege: Willi Entenmann setzt eine Bestmarke

Saison 1985/86: Willi Entenmann Was für ein Start! Sechs Bundesligaspiele, sechs Siege – der Rekord gilt bis heute. Als Nachfolger von Arie Haan führte Entenmann den VfB in zehn Spielen auf Platz fünf und ins Pokalfinale, durfte bleiben. In der folgenden Saison musste er aber vorzeitig für Christoph Daum Platz machen. Saison 1994/95: Jürgen Sundermann Sein Name hatte noch immer Strahlkraft, doch die Magie des Wundermanns war verpufft. Seine Autorität hatte gelitten, erst recht, als er Giovane Elber wegen Verspätung beim Training auf die Bank setzte. „Bei Jürgen Röber habe ich immer gespielt, da hat es Spaß gemacht“, klagte der Stürmer. Carlos Dunga sprach von „der schlimmsten Zeit meines Lebens“. Unter Sundermann gewann der VfB nur zwei von sieben Spielen. Saison 1996/97: Joachim Löw Ja, sogar der Weltmeister von 2014 war mal Interimstrainer! Weil Rolf Fringer kurzfristig Schweizer Nationaltrainer wurde, sprang vier Tage vor Saisonbeginn dessen Assistent ein. An Pfingsten 1996 hatte Löw die Mannschaft bei einer zweiwöchigen Tour durch Südkorea betreut, weil Fringer in dieser Zeit europaweit Spieler beobachtete. In Asien hatte Löw das Vertrauen der Mannschaft gewonnen, die ihm nun willig folgte. Nach fünf Siegen in den ersten fünf Spielen konnte Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, der Löw skeptisch gegenüberstand, nicht anders und ernannte ihn zum Cheftrainer. Unter Löw wurde der VfB zweimal Vierter, Pokalsieger und Europapokalfinalist.

1998/99: Wolfgang Rolff/Rainer Adrion Winfried Schäfer passte zum VfB wie Ketchup zum Müsli. Wolfgang Rolff rückte auf und befand nach drei Spielen: „Es muss ein Neuanfang her.“ Weil Wunschkandidat Ralf Rangnick nicht frei war, sprang Rainer Adrion ein. Nach acht sieglosen Spielen in Serie (von insgesamt elf) lotste der VfB Rangnick vorzeitig vom SSV Ulm 1846 nach Stuttgart.

Für einen „Übergangstrainer“ war Armin Veh ganz schön erfolgreich

Saison 2005/06: Armin Veh Der Augsburger kam als Chef, nur einer mochte das nicht wahrhaben: Aufsichtsratschef Dieter Hundt nannte Veh einen „Übergangstrainer“. So kann man sich täuschen: 2007 führte Veh den VfB zum Meistertitel. Saison 2010/11: Jens Keller Im Oktober löste Keller den Schweizer Christian Gross ab, im Dezember war nach sechs sieglosen Spielen schon Schluss. Saison 2013/14: Huub Stevens Der Niederländer hatte nur einen Auftrag: Klassenverbleib. Den schaffte er als Nachfolger von Thomas Schneider ebenso wie im Folgejahr als Nachfolger von Veh. Saison 2015/16: Jürgen Kramny An diesem Sonntag (15.30 Uhr/Sky) startet Jürgen Kramny im Spiel bei Borussia Dortmund in sein Bundesliga-Abenteuer. Der VfB plant mittelfristig nicht mit ihm. Es sei denn, er eilt von Erfolg zu Erfolg – wie einst Joachim Löw. Der Weltmeistertrainer als Vorbild – nicht der schlechteste Antrieb.