Nach Cem Özdemirs (rechts) Rückzug von der Bundesspitze wird darüber spekuliert, ob er eines Tages Winfried Kretschmann (links) beerben könnte. Foto: dpa

Cem Özdemir ist der beliebteste grüne Bundespolitiker – trotzdem hat die Partei keinen Topposten mehr für ihn. Das schwächt sie und nötigt den Landes-Grünen eine unliebsame Personaldebatte auf, meint unser Berliner Korrespondent Christopher Ziedler.

Berlin - Im Fußball gibt es für ausgemusterte Leistungsträger den Begriff des „Edel-Jokers“. Es muss nicht die mangelnde Leistung sein, weshalb der eigentliche Star eines Vereins nur selten zum Einsatz kommt – manchmal stimmt einfach die Chemie mit anderen Mitspielern oder dem Trainer nicht, ausgelöst vielleicht durch eine überflüssige Bemerkung. Oder es kickt bereits ein ähnlich starker Links- oder Rechtsfuß auf derselben Position.

In ähnlich misslicher Lage findet sich Cem Özdemir wieder: Ausgerechnet auf dem Höhepunkt seines politischen Ansehens gerät der Umweltparteichef ins politische Abseits. Es zählt nicht mehr, dass er als Spitzenkandidat den fast abgeschriebenen Grünen ein ordentliches Bundestagswahlergebnis beschert, in den schwarz-gelb-grünen Koalitionsgesprächen eine gute Figur gemacht und schon als erster türkischstämmiger Bundesminister gegolten hat. Jetzt ist klar, dass der beliebteste grüne Bundespolitiker – vor ihm rangiert einzig der Stuttgarter Ministerpräsident Winfried Kretschmann – in der grünen Bundespolitik künftig nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wie blöd kann eine Partei sein?

Die grüne Flügellehre war das Problem

Mehr denn je vermittelt sich Politik weniger über ein Parteiprogramm, sondern über Personen, die es glaubwürdig vertreten können. Die Grünen schwächen sich lustvoll selbst, indem sie eines der seltenen Exemplare dieser Gattung auf die Bank setzen. Das Publikum dürfte sich nämlich kaum dafür interessieren, dass Özdemirs Offenbarungseid durchaus einer innerparteilichen Logik folgt: Der Parteivorsitzende hatte schon lange angekündigt, den Chefposten aufzugeben – mit dem Parteitag Ende des Monats endet daher seine fast zehnjährige Amtszeit. Um aber diese Woche wie gewünscht zum Fraktionschef gewählt zu werden, hätte der Realo der grünen Flügellehre folgend Katrin Göring-Eckardt ausbooten und gegen Anton Hofreiter eine linke Frau ins Rennen schicken müssen. Das misslang, weil beide Amtsinhaber in der Fraktion angesehen und gerade Göring-Eckardt die interne Machtstruktur nach ihrem Gusto geformt hat. „Sie“, heißt es in der Fraktion in einer Mischung aus Respekt und Resignation, „ist unsere Merkel.“

Das Personalgezänk wird die zuletzt stabile Zweistelligkeit der grünen Umfragewerte gefährden. Hinzu kommt, dass das künftige Parteivorsitz-Duo sich erst noch einen bundesweiten Namen machen muss. Der Kieler Minister Robert Habeck ist zwar kein Unbekannter, eine echte Nummer aber vor allem im Norden. Sein weibliches Gegenstück – zur Wahl stehen die brandenburgische Bundestagsabgeordnete Anna Baerbock und die niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel – wird eine anfangs nur Insidern bekannte Politikerin sein. Von der linken Seitenlinie wird weiter Jürgen Trittin aufs Spielfeld schreien, von der rechten bald auch noch Cem Özdemir. Das sind schlechte Voraussetzungen, um als kleinste von voraussichtlich vier Oppositionsparteien im Bundestag zu bestehen.

Die Grünen machen sich das Leben selbst schwer

Noch komplizierter könnte es werden, wenn es doch nicht zu einer Wiederauflage der großen Koalition kommt, sondern zu einer Minderheitslösung oder Neuwahlen. Spitzenkandidat Özdemir leitet für eine solche Konstellation noch Ansprüche ab – und würde unweigerlich mit Partei- und Fraktionsspitze in Konkurrenz geraten.

Gibt es eine baden-württembergische Lösung für dieses Problem? Der Landesverband muss sich schließlich Gedanken machen, wer Kretschmann beerben könnte, falls er nicht noch einmal antreten wollte. Und so viele bürgerliche Grüne, die der CDU im Südwesten erfolgreich das Wasser abzugraben in der Lage sind, gibt es nicht. Özdemirs Stuttgarter Wahlkreisergebnis lässt darauf schließen, dass er diesem kleinen Kreis angehört. Mannschaftskapitän in Stuttgart statt Berliner Edelreservist? Die Grünen sind selbst schuld, dass sie nun diese Personaldebatte an der Backe haben.