Am Mittwoch beginnen die Sondierungsgespräche für eine neue Landesregierung. Vorlieben für Bündnisse hat Kretschmann dabei angeblich nicht. Foto: dpa

Viele Wochen werde die Regierungsbildung dauern, vermutet Grünen-Vormann Winfried Kretschmann. Bevor es los geht, lässt er sich von den Parteifreunden aber erst mal feiern.

Stuttgart - Winfried Kretschmann sieht blass und übernächtigt aus, als er nach der langen Wahlnacht vor die Mikrofone tritt. Doch, doch, er habe schon Zeit gehabt, sich zu freuen und den persönlichen Wahlsieg zu feiern – allerdings erst so ab halb elf Uhr. „Das habe ich aber dann lange und ausgiebig getan“, sagt der Grünen-Mann, dem es tags zuvor gelungen war, seine Partei erstmals in einem Bundesland vor die CDU zu schieben.

Jetzt wird er das gleich vor dem Bundesvorstand in Berlin erläutern, dort, wo sein pragmatischer Kurs nicht immer auf Begeisterung stößt. Doch auch die links gestrickten Parteifreunde werden zur Kenntnis nehmen müssen, wie man als Grüner bei Wahlen siegen kann. Die Grünen vor der CDU! Aber Kretschmann ist längst weiter. Solche parteitaktischen, vielleicht auch parteihistorischen Fragen müssten jetzt in den Hintergrund treten, sagt er, denn nun sei „mit ganzem Ernst“ die Bildung einer neuen Regierung angesagt.

Dass er den Auftrag dazu hat, leitet er „bei aller Bescheidenheit“ aus dem Votum ab, aus dem „fulminanten“ Wahlergebnis. Schon für den Mittwoch hat er die Spitzenvertreter der Parteien – mit Ausnahme der AfD – zu Sondierungsgesprächen eingeladen. Vormittags sind Treffen mit den Liberalen und der SPD terminiert, am Nachmittag dann die Christdemokraten.

Verhandeln bis August?

Wie lange das dauert? Kretschmann zuckt mit den Achseln. Unter Umständen viele, viele Wochen. Es könne gut sein, dass man den ganzen von der Landesverfassung eingeräumten Zeitraum dafür benötige, sagt er. Das hieße dann: bis August.

Er will jedenfalls ohne Vorfestlegung in die Sondierung gehen, Präferenzen habe er nicht. Weder für Schwarz-Grün noch für eine Deutschland-Koalition. Und die FDP? Wird er ihr etwas anbieten? Kretschmann ist wortkarg an diesem Morgen. „Es wird darum gehen, was die Anliegen der FDP sind, das wird sicher vorgetragen“, sagt er. Aber das werde er nicht in der Öffentlichkeit verhandeln.

Die Gräben zur FDP seien doch gar nicht so tief, meint Fraktionsvize Andreas Schwarz, der bei der Runde steht. Die Liberalen hätten doch selbst einen „Schulfrieden“ vorgeschlagen, und auch auf dem Feld der Bürgerbeteiligung werde man sich einigen können. FDP-Bundeschef Lindner fürchte vielleicht, dass ihm die Beteiligung des Landesverbands an einer Ampel-Regierung die Rückkehr zu Schwarz-Gelb im Bund erschwere, mutmaßt Uli Skerl, Fraktionsvize und frisch gebackener Direktabgeordneter in Weinheim. Könnte, müsste, sollte – es wird viel spekuliert werden in den nächsten Tagen und Wochen.

Mitgliederbefragung ist nicht geplant

Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen wollen die Grünen dann von einem Parteitag bewerten und beschließen lassen. Eine Mitgliederbefragung werde es nicht geben, sagte Landesvorsitzender Oliver Hildenbrand.

Ein wenig Wahl-Nachlese muss Kretschmann dann aber doch noch loswerden. „Ganz unverdient“ seien die Genossen vom Wähler abgestraft worden, streichelt er die Seele des Noch-Bündnispartners. Die 12,7-Prozent-Schlappe sei auch nicht landespolitisch begründet. Da fließen natürlich auch ein wenig Krokodilstränen, denn immerhin können die Grünen rund 157 000 Wählerstimmen vom Koalitionspartner verbuchen.

Und dann ist da ja noch die neue Kraft im Landtag: „Auch wir haben Wähler an die AfD verloren, was mich überrascht hat“, räumt Kretschmann ein. Denn er hat die eigene Klientel als „immun“ dafür erachtet. Rund 70 000 Stimmen mussten die Grünen an die AfD abgeben, haben die Wahlforscher ermittelt.

Gratulation in Berlin

Am Nachmittag tritt Kretschmann dann in Berlin vor die Medien, nachdem er in der Parteizentrale die Glückwünsche der Parteispitze entgegengenommen hat. Es sei wichtig gewesen für den Erfolg, dass die Grünen in den vergangenen Monaten geschlossen aufgetreten seien und er „die nötige Beinfreiheit“ gehabt habe. Als habe es nie Kritik an seiner Asylpolitik der „sicheren Herkunftsstaaten“ gegeben.

Parteichefin Simone Peter, die neben ihm sitzt, ist voll des Lobes für den Gast aus dem tiefen Süden. Kretschmann habe gezeigt, wie Person und Programm miteinander verbunden werden könnten. Kernthemen der Grünen wie Umwelt und Klima, die Bildungspolitik und der Zusammenhalt der Gesellschaft würden weiter in den Vordergrund gestellt. Es gehe um Grundsätze, aber auch um die Fähigkeit zu Kompromissen. Innerparteilicher Streit über den weiteren Kurs werde aber weiter dazu gehören.

Die Baden-Württemberger fühlen sich dafür gerüstet. Das Wahlergebnis im Südwesten zeige doch, dass man im bürgerlichen Umfeld massiv Stimmen gewinnen könne, ohne Stimmen nach links zu verlieren und Stammwähler zu verprellen, meint etwa der Bundestagsabgeordnete Matthias Gastel. Das müsse auf Bundesebene jetzt eine „breite Debatte“ auslösen.