Claudia Becker-Horn und Heike Hirning vor ihrem Drehpunkt-Laden in Schwaikheim Foto: Gottfried Stoppel

Das öffentliche Mitgefühl ist verflogen, doch die Schleckerfrauen gibt es immer noch. Wir begleiten seit der Insolvenz einige der einstigen Drogerie-Verkäuferinnen auf ihrem Weg ohne Schlecker. Manche von ihnen haben sich mit eigenen Läden selbstständig gemacht.

Stuttgart/Schwaikheim - An Schlecker denkt Heike Hirning (47) immer noch. Jedes Mal, wenn ihr Enkel etwas von ihr braucht. „Oma Schlecker“, ruft er dann. Heike Hirning ist eine der insgesamt 25 000 Beschäftigten, die durch die Insolvenz der einst größten deutschen Drogeriemarktkette Schlecker ihren Arbeitsplatz verloren haben.

„Oma Drehpunkt“ konnte sich bei dem achtjährigen Jungen nicht durchsetzen. Obwohl so der neue Laden von Heike Hirning heißt. Zusammen mit ihrer Schlecker-Kollegin Claudia Becker-Horn (52) hat sie 2013 ihren eigenen Laden in Schwaikheim aufgemacht.

Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg sieben Schlecker-Nachfolgeläden namens Drehpunkt. Drei Jahre nach der Insolvenz haben sich die meisten wirtschaftlich stabilisiert. Doch ein Streit hinter den Kulissen überschattet die Existenzgründungen. Und manche Kolleginnen haben auch drei Jahre nach der Schlecker-Pleite noch keinen neuen Job gefunden.

Sie kennen die meisten Kunden persönlich

Ein Mann öffnet die Tür zum Drehpunkt in Schwaikheim einen Spaltbreit und schaut fragend in den Laden. „Nein, noch nicht da“, ruft Heike Hirning. Sie und ihre Kollegin kennen die meisten Kunden persönlich – und wissen, was sie kaufen wollen, noch bevor sie einen Wunsch äußern.

Im vergangenen Jahr haben die Frauen ihren Service ausgebaut. Wie andere Drehpunkt-Läden bieten sie an, älteren Kunden die Einkäufe nach Hause zu bringen. Bei Bestellungen gehen sie auch auf Extrawünsche ein. Das verschafft ihnen Wettbewerbsvorteile in einer alternden Gesellschaft. Auch darum steigen Kundenzahlen und Umsätze.

„Die Drehpunkt-Läden sind wirtschaftlich stabil“, sagt Wolfgang Gröll. Der Experte für Dorfläden berät und begleitet die Frauen bei ihrer Existenzgründung. Auch Karin Meinerz (55) und Bettina Meeh (49), die ihren Drehpunkt am 17. November 2012 aufgemacht haben, sind mit dem abgelaufenen Geschäftsjahr zufrieden. „Manchmal haben auch wir schlechte Tage“, sagt Bettina Meeh. Aber eines haben die beiden schon bei Schlecker gelernt: „Aufgeben? Niemals.“

Das ist auch das Motto von Christel Hoffmann. In Pforzheim sitzt die einstige Gesamtbetriebsratschefin immer noch im alten Schlecker-Betriebsratsbüro. Hinter ihr reiht sich ein schwarzer Leitz-Ordner an den nächsten.

„Hier müssen Unterlagen aus einer jahrelangen Unternehmensgeschichte archiviert werden“, sagt sie. Außerdem berät sie immer noch ehemalige Kolleginnen, die noch keinen Job gefunden haben oder sich von einer befristeten Beschäftigung zur nächsten hangeln.

Über 50: Schwer, wieder was Neues zu finden

„Die meisten der ehemaligen Kolleginnen sind über 50“, sagt Hoffmann. Da ist es schwer, wieder was Neues zu finden. Nach Angaben der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit sind in Baden-Württemberg von insgesamt 407 421 Arbeitslosen 35 579 im Alter von 50 oder älter. Das sind 8,7 Prozent. Unter den 1,2 Millionen geringfügig Beschäftigten machen Frauen über 50 einen Anteil von 17 Prozent aus.

Für Christel Hoffmann ist Schlecker noch Alltag. Neben ihrer Arbeit im Betriebsratsbüro engagiert sie sich dafür, dass sich die Geschichte von Schlecker nicht wiederholen kann. Zusammen mit Leni Breymaier, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Verdi, und dem gesamten Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) fordert sie Änderungen im deutschen Insolvenz- und Gesellschaftsrecht.

Unternehmensgründer und Firmenchef Anton Schlecker hat sein Drogerieimperium einst in der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns geführt. Dieser hat weniger strenge Offenlegungspflichten als etwa der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) oder gar einer Aktiengesellschaft (AG). Die Forderung der Betroffenen ist etwa, Kontrollorgane zu installieren, die regelmäßig einen Blick auf die Bilanzen werfen. Oder dass Insolvenzverschleppung auch bei einem eingetragenen Kaufmann als Straftatbestand gilt.

Unterdessen prüft die Staatsanwaltschaft Stuttgart, ob Anton Schlecker aus seiner Zeit als Firmenchef noch strafrechtliche Probleme erwachsen könnten. Wann das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist, sei nicht abzusehen, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft den Stuttgarter Nachrichten.

Schleckers leben von Immobiliengesellschaft der Ehefrau

„Anton Schlecker und seine Frau gehen in der ehemaligen Firmenzentrale immer noch ein und aus“, heißt es in Ehingen, dem einstigen Firmensitz des Imperiums. Offenbar lebt das Ehepaar inzwischen von dem Geld, das die Immobiliengesellschaft von Christa Schlecker abwirft. Die riesige Firmenzentrale ragt in Ehingen wie ein Mahnmal in den Himmel. Und keiner will es haben.

Nun hat die Stadt Ehingen mit dem Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz einen Optionsvertrag abgeschlossen. Damit hat sich die Stadt die Möglichkeit gesichert, die Immobilie zu erwerben. Innerhalb der kommenden sechs Monate muss sich die Stadt entscheiden.

Heike Hirning und Claudia Becker-Horn können den Führungsstil des einstigen Unternehmenschefs immer noch nicht nachvollziehen – auch wenn sie jetzt selbst Unternehmerinnen sind. „Als Chef hatte er die Verantwortung für uns“, sagt Becker-Horn und scannt energisch die Artikel einer Kundin ein. Dass sie manchmal allein im Laden waren, obwohl es dabei manchmal zu Überfällen kam, und dass sie den Laden zusperren mussten, um auf die Toilette gehen zu können, nehmen sie ihm heute noch übel.

Doch auch in der neuen Drehpunkt-Welt ist nicht alles eitel Sonnenschein. Der Welzheimer Filiale droht scharfe Konkurrenz durch die Drogeriemarktkette Rossmann, die dort einen Riesenmarkt aufmachen will.

"Glücklich, dass die Zeit bei Schlecker vorbei ist"

Außerdem brodelt es hinter den Kulissen des Projekts zwischen Initiatorin Christina Frank von Verdi in Stuttgart und Wolfgang Gröll. Im Moment streiten sich die Parteien darüber, wo die Wertmünzen von jenen Orten eingelöst werden können, in denen kein Drehpunkt zustande gekommen ist: zum Beispiel in Winterlingen (Zollernalbkreis) und Eberstadt (Landkreis Heilbronn).

Nach der Schlecker-Insolvenz haben Bürger Wertmünzen – sogenannte Stützlis – im Wert von insgesamt 50 000 Euro gekauft, um die Drehpunkt-Läden in der Anfangsphase mit frischem Kapital zu unterstützen. Nach drei Jahren, so der Deal damals, könnte man für den Gegenwert eines Stützlis in einem Drehpunk-Laden einkaufen. Was mit den Stützlis aus Eberstadt und Winterlingen passiert, ist nun einer der Streitpunkte zwischen Gröll und Frank.

Auch darum sind manche ehemaligen Schlecker-Kolleginnen froh, dass sie mit der Welt von früher und ihren Beteiligten nichts mehr zu tun haben.

„Ich bin einfach nur glücklich, dass die Zeit bei Schlecker vorbei ist“, sagt auch Marianne Grün (54). Bereits ein Jahr nach der Insolvenz ist sie bei Rossmann in Stuttgart untergekommen, dem einstigen Wettbewerber von Schlecker. „Und 2014 bin ich in meiner Rossmann-Filiale Managerin geworden.“ Das ist zwar immer noch zwei Stufen unter der Filialleitung, „aber es ist alles, was ich erreichen wollte“. Marianne Grün ist zum ersten Mal in ihrer Verkäuferinnen-Karriere richtig stolz.

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