Corona bestimmte das Leben weitgehend im zurückliegenden Jahr. Foto: dpa/Federico Gambarini

Spätestens seit März ist die Welt wegen der Corona-Pandemie im Ausnahmezustand. Was macht das mit Menschen und ihren Lebensentwürfen? Wir haben mit fünf Leuten von den Fildern gesprochen.

Filder - Es dürfte niemanden geben, an dem die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen vorbeigegangen sind. Das Virus hat die Welt im Griff, auch wenn inzwischen durch den Impfstoff Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen. Wie sehr, das hängt auch von den Berufen ab, mit denen die Menschen ihr Geld verdienen.

Recht bald im Frühjahr war der Begriff systemrelevant in aller Munde. Beispielsweise Klinikpersonal, Kassiererinnen, Pfleger – sie hatten alle Hände voll zu tun. Andere Branchen meldeten indessen Kurzarbeit an oder mussten schlimmstenfalls Angestellte entlassen. Wieder andere hatten das Glück, ihren Beruf auch von zu Hause aus ausüben zu können. Wobei dies vor allem während der Schul- und Kita-Schließungen für Eltern zur echten Herausforderung geworden ist.

Auch wenn sich die Folgen der Krise pauschal auf Berufsgruppen herunterbrechen lassen, so dürfte doch jeder Einzelne ganz eigene Erfahrungen mit der Pandemie und ihren Folgen gemacht haben.

Wir haben mit Menschen von der Filderebene über das merkwürdige Jahr 2020 gesprochen und uns erzählen lassen, wie sie mit der neuen Normalität umgegangen sind. Das Ergebnis sind fünf ganz unterschiedliche Blickwinkel auf die Krise.

Bestatter: Bei Beerdigungen fehlt Entscheidendes

Der Raum mit den Glasfronten, Kunstobjekten und Designstühlen erinnert an eine Galerie. Alles ist hell und luftig. Ein ungewöhnlicher Look für ein Bestattungsinstitut. Marc-Roger Isailoff (44) und Regina Bolsinger (40) betreiben das Unternehmen seit viereinhalb Jahren in Rohr. So individuell wie das Duo seine Geschäftsräume eingerichtet hat, sollen die Kunden die Beerdigungen gestalten dürfen.

Doch 2020 ging vieles, was sonst normal ist, plötzlich nicht mehr. Große Trauergemeinden: verboten. Feierhallen: zeitweise zu. Das Schäufelchen, mit dem Trauernde etwas Erde auf den Sarg werfen: verbannt. Mehrere Personen im Abschiedsraum, die sich Halt geben: untersagt. Selbst der Händedruck fällt weg. Dabei sei körperliche Nähe in der Trauer wichtig. „In den Arm nehmen ist ein tief menschliches Bedürfnis“, sagt Regina Bolsinger.

2020 hat den Bestattern einiges abverlangt. Immer wieder kamen und kommen neue Regeln. Besonders schwierig wird es, wenn Covid 19 die Todesursache ist. Regina Bolsinger, eine sportliche Frau mit Kurzhaarschnitt und Sweatjacke über der Bluse, ist gelernte Krankenschwester und hat mutmaßlich schon viel gesehen. Dennoch wirkt sie bedrückt. „Die Bestattung eines Covid-Patienten gleicht einer Entsorgung.“ Der Leichnam dürfe weder frisiert noch angekleidet werden, offenes Aufbahren ist tabu. „Ich finde es schlimm, wenn man ein Leben lang gewirkt und eine Persönlichkeit hinterlassen hat und dann entsorgt wird“, sagt Isailoff.

Sie haben Wege gefunden, den Angehörigen den Abschied dennoch zu erleichtern. Wer möchte, kann Gegenstände in den Sarg legen lassen, man kann etwas auf den Sarg schreiben oder ein Bild draufkleben. Marc-Roger Isailoff wünscht sich „ein Stück Normalität“ zurück. Für die Arbeit und für die Klienten. (car)

Fitnessstudio-Chef: Schlupfloch gefunden

Im Teil-Lockdown hat Christian Stahl ein Schlupfloch gefunden. Anfang November, als Fitnessstudios erneut schließen mussten, hat seine Muckibude in Filderstadt-Bernhausen bald wieder aufgemacht. „Wir haben davor alles mit dem Ordnungsamt abgesprochen“, erzählt Christian Stahl. Maximal zu zweit durften die Mitglieder ins Studio. Vorab reservierten sie online einstündige Zeiträume.

Täglich hatte das Studio von 6 bis 23 Uhr geöffnet. „Das reicht trotzdem nicht, damit alle, die wollen, kommen können“, erzählt Christian Stahl. Die Resonanz sei insgesamt dennoch positiv gewesen. Nur wenige Studios hatten sich nach seinen Informationen für diese Lösung entschlossen. Vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch der Aufwand habe manche sicherlich abgeschreckt.

Der wirtschaftliche Aspekt habe für ihn eine untergeordnete Rolle gespielt, erzählt Christian Stahl. Dabei: Deutlich weniger Sportler waren im Studio aktiv, trotzdem fielen ähnliche Kosten an. Heizung, Strom, zusätzliche Online-Kurse und das Personal. „Unsere Mitarbeiter mussten wir größtenteils nicht in Kurzarbeit schicken. Das wollten wir nicht“, berichtet er. Zudem sei die Reinigung intensiver ausgefallen, für den Müll mussten sie die doppelte Abholmenge angeben, und „der Verbrauch von Desinfektionsmittel hat sich verfünffacht“. Dennoch bereut Christian Stahl diesen Schritt nicht. „Wir wollten den Mitgliedern etwas Gutes tun.“

Seit Mitte Dezember, als die strikteren Vorgaben folgten, ist allerdings auch das Fitnessstudio in Bernhausen wieder komplett zu. (pst)

Lehrerin: Plötzlich ist der Laptop das Klassenzimmer

An die digitale Premiere kurz nach Ostern kann sich Sandra Schmid-Ostermayer gut erinnern. Fast alle 25 Schüler wählten sich über ein Videoportal ein. Die Grundschullehrerin lacht. Der Lärm der plappernden Kinder sei ohrenbetäubend gewesen, „die haben sich so gefreut, sich wiederzusehen“. Aller Anfang ist schwer, und 2020 war das Jahr der großen Umstellungen an Schulen. Schließungen, erste Versuche mit Fernunterricht, Lernen per Video, zurück in die Schulen, dann wieder Schließungen.

Sandra Schmid-Ostermayer aus Heumaden unterrichtet an der Grundschule Riedenberg. Die 51-Jährige ist eine erfahrene Pädagogin, doch 2020 war für sie das Jahr, in dem sie „bei vielen Unterrichtsformen, die ich schon sehr lange mache, überlegen musste: Darf ich das?“ Geht Adventssingen? Oder der Stuhlkreis am Morgen? Auch das unvermittelte Umschwenken auf den Bildschirm sei holprig gewesen. „Unser Job ist die Arbeit im Klassenzimmer mit dem Gegenüber, das war plötzlich weg.“ Sie nennt das „aus voller Fahrt runterbremsen“. Hinzu kommt: Wie Zigtausende hatte sie keine Erfahrung damit, musste sich einarbeiten.

Vieles habe sich im coronakonformen Unterricht als problematisch herausgestellt. Kleine Kinder müssten die Mimik des Lehrers sehen, um zu erkennen, was er will, Masken verhinderten das. Die Pädagogin schätzt, dass pro Grundschulklasse im Schnitt zwei Kinder beim Videolernen abgehängt sind, weil die Technik oder die Unterstützung der Eltern fehlen. Sie bekennt, sich zu sorgen, wenn sie eines der Kinder aus dem Blick verliert.

Aber Schmid-Ostermayer nimmt auch Positives aus dem Chaosjahr 2020 mit. Die Schulgemeinschaft sei zusammengerückt, die Beschäftigung mit den digitalen Medien mache allen sogar Spaß. Sollte 2021 digital starten, fühlt sie sich besser gerüstet: „Wir brauchen uns nicht mehr davor zu fürchten.“ (car)

Eventagentur: Gestärkt nach der Schockstarre

Das dritte Geschäftsjahr seit Gründung seiner Eventagentur hat sich Darko Ovcar anders vorgestellt: Mit dem ersten Lockdown war er von heute auf morgen seiner Geschäftsgrundlage beraubt: keine Messen, keine Firmenveranstaltungen, keine Kunden- und Mitarbeiterreisen, keine Auftritte von Musikern und anderen Künstlern mehr. „Da waren wir kurz in Schockstarre“, sagt der 38-Jährige, der wegen der guten Auftragslage noch einen erfahrenen Eventmanager ins Team geholt hatte.

Geschäftsführer Darko Ovcar, seine Frau Adriana Tudor-Ovcar sowie Arne Rasimus bilden seitdem den Kern der Agentur „Die Legion“. „Wir waren gerade in der Planung für das Event eines Logistikunternehmens mit 500 Personen“, erzählt Rasimus. Auch die Road-Show einer Kosmetikfirma stand in den Startlöchern. „Ab April ging dann gar nichts mehr“, sagt Adriana Tudor-Ovcar. „Wir mussten uns ganz neu definieren“, sagt der Geschäftsführer der Agentur, die seit Kurzem an der Oberen Weinsteige in Degerloch ihren Sitz hat.

Und so wurden statt T-Shirts für Unternehmensevents Gesichtsmasken mit Firmenlogos produziert. Statt Veranstaltungen für Konzerne organisierte die Agentur deren Umzüge. „Ich wollte meine Füße nicht einfach hochlegen und abwarten“, sagt Darko Ovcar. Und deshalb fuhren die Chauffeure der Agentur keine Künstler, sondern Vorstände oder Rechtsanwälte von Termin zu Termin. Und die Agentur stieg bei Online-Veranstaltungen ein. Viel Neuland. Aber: „Das alles war auch eine Investition in die Zukunft“, so Tudor-Ovcar. „Aus der Krise“, sagt Ovcar, „kommen wir jedenfalls gestärkt heraus“. (ts)

Schneiderin: Großer Schritt in schwierigen Zeiten

Zwischen Wollknäuel, Stoffen, Knöpfen und Scheren hat sich Hatice Reith ihr Atelier eingerichtet. Hier näht sie Hoodies und Sweatshirts in Kindergröße sowie Behelfsmasken. An Silvester 2019 lautete ihr Neujahrsvorsatz, ihre Selbstständigkeit zu intensivieren und mehr solcher Unikate an Mann und Frau zu bringen. Doch es sollte anders kommen.

Reith hatte im Vertrieb gearbeitet – und das, obwohl sie in einer Schneider-Familie groß geworden ist. Zu Beginn der Corona-Pandemie war Reith erst einmal arbeitslos. Bewerbungen zu schreiben, erschien ihr in Zeiten der Krise aussichtslos. Sie setzte auf ihr zweites Standbein, dass sie sich innerhalb der vergangenen Jahre aufgebaut hatte: das Nähen von Unikaten. Dann hörte sie von einem Ladenlokal in Leinfelden, das bald leer stehen würde. Trotz des wirtschaftlichen Risikos packte sie während des ersten Lockdowns die Gelegenheit beim Schopf: „Wäre es etwas gewesen, was ich nur mit halben Herzen mache, wäre es schwierig gewesen, die Motivation dafür aufzubringen.“ Und obwohl zuhause aufgrund geschlossener Kitas und Schulen Land unter herrschte, entschied sie sich, den neuen Weg einzuschlagen und einen Stoffladen zu eröffnen. Statt wie anfangs mit ihren Kindern in den Wald zu gehen, machte sie einen Businessplan. Ihre Tochter musste babysitten, während Reith an ihren Plänen feilte. Am 21. September erfüllte sich ihr Traum vom eigenen Ladengeschäft, und sie eröffnete 5toff.

Dann der Schock: ein zweiter Lockdown. Doch Reith lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, sie verweist die Kundschaft auf den Onlineshop. „Ich hätte nie gedacht, dass ich innerhalb von einem Jahr meinen eigenen Laden haben würde. Es ist gut, wie es gekommen ist. Auch wenn es schwierig war, haben sich neue Türen geöffnet.“ (esb)