Wenn in der Stadt etwas schief lief, erhob sie ihre Stimme: Hanne Tächl. Foto: kkt

Was heute der letzte Schrei ist, hatte sie in ihrem kaum sechzig Plätze bietenden kommunalen kontakt-theater in Bad Cannstatt schon längst vorweggenommen. Jetzt ist die Schauspielerin, Regisseurin und Intendantin Hanne Tächl mit 76 Jahren gestorben.

Stuttgart - Sie war eine mutige, kreative, streitbare Frau. Sie hat ihre Stimme erhoben, wenn in der Stadtöffentlichkeit etwas schief lief, und sie hat mit originellen Aktionen dagegen protestiert: Als 1993 die Schließung der Stuttgarter Jugendhäuser drohte, bewarf sie die Stadträte während der Haushaltsreden mit Golddukaten aus Schokolade. Grimmige Ironie war eine der Waffen der 1942 geborenen Hanne Tächl. Die andere: emphatisches Zuhören. Als Schauspielerin, Regisseurin und Intendantin leitete sie mehr als dreißig Jahre, von 1976 bis 2007, das „kommunale kontakt-theater“ in Cannstatt, dessen reformpädagogischer Schwung sich schon in der konsequenten Kleinschreibung bemerkbar machte. Es war – und unter dem Namen Kulturkabinett ist es das bis heute – ein Bürger- und Betroffenentheater, das unter Anleitung und Mitwirkung von professionellen Spielern und Regisseuren interessierte Laien auf die Bühne brachte, mitsamt deren Biografien, Lebenswelten und Problemen. Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau: aus solchen Themen formte die völlig unprätentiöse Sozialkünstlerin ihre Cannstatter Abende, lange bevor die Granden der Stadt- und Staatstheater auf den Trichter kamen, das Potenzial kleiner Leute für ihre Arbeiten zu nutzen. Was heute der letzte Schrei ist, hatte sie in ihrem kaum sechzig Plätze bietenden kkt schon längst vorweggenommen. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist die engagierte Theaterpionierin Hanne Tächl am vergangenen Sonntag mit 76 Jahren einem kurzen, aber schweren Leiden erlegen.