Emanuel Buchmann ist ein Mann für die Rundfahrten – und einer der wenigen deutschen Radprofis mit Perspektive. Foto: dpa

Bei der aktuellen Tour de France kämpfen die deutscen Radprofis um Etappensiege. Das könnte sich bald ändern – denn bis auf ein Duo gibt es kaum Talente mit Perspektive. Experten sorgen sich.

Le Grand-Bornand - Die Tour de France ist in den Alpen angekommen. Mit der ersten Bergetappe an diesem Dienstag nach Le Grand-Bornand begann für die Profis, die in Paris auf dem Podium stehen wollen, ein neues Rennen. In der ersten Woche war es wichtig, keine Zeit zu verlieren. Ab sofort geht es darum, Zeit zu gewinnen. Sekunde für Sekunde, Minute für Minute. Es sind die Tage, an denen die Deutschen strampeln müssen, damit ihre Uhr nicht abläuft. „Wir kämpfen in den Bergen ums Überleben“, sagt John Degenkolb. Die schwarz-rot-goldene Fraktion stellt bei der Tour zwar starke Sprinter, fleißige Helfer und in Degenkolb einen Mann für Etappen mit Klassiker-Profil, aber keinen Rundfahrer mit Potenzial. Was auch daran liegt, dass zwei vielversprechende Profis fehlen.

In Emanuel Buchmann (25/Bora-hansgrohe) und Maximilian Schachmann (24/Quick-Step) gibt es zwei große Talente für dreiwöchige Rundfahrten. Das haben sie bereits nachgewiesen. Buchmann mit den Plätzen 21 und 15 bei den Frankreich-Rundfahrten 2016 und 2017, Schachmann mit seinem Sieg bei einer Bergetappe beim Giro 2018. Dass sie nun bei der Tour nicht dabei sind, liegt an den Plänen ihrer Rennställe. Sie wollen die jungen Deutschen aufbauen – aber mit Bedacht, ohne sie zu verheizen. Die Zukunft ist wichtiger als der schnelle Erfolg.

Höhentrainingslager statt Frankreich-Rundfahrt

Buchmann befindet sich aktuell im Höhentrainingslager, er soll bei der Spanien-Rundfahrt ab 25. August die Bora-Crew erstmals als Kapitän anführen. „Es ist wichtig, dass er bei der Vuelta den nächsten Schritt macht. Er sollte dort unter die besten zehn fahren“, sagt Bora-Teamchef Ralph Denk, „wenn das klappt, könnte er 2019 unser Kapitän bei der Tour sein. Das Potenzial hat er auf jeden Fall.“ Auch für einen Platz auf dem Podium? „Mein Traum ist, dass irgendwann einer meiner Leute in Paris das Gelbe Trikot trägt“, erklärt Denk, „es wird sich zeigen, ob wir diesen Fahrer selbst entwickeln können oder ob wir ihn holen müssen.“

Auch Schachmann sagen Experten eine glänzende Perspektive nach. Der Junioren-Weltmeister von 2012 hätte beim Giro im Mai sogar unter die ersten 20 fahren können, wäre er nicht durch gesundheitliche Probleme ausgebremst worden. „Eine solche Leistung haben nicht viele Radprofis bei ihrer ersten dreiwöchigen Rundfahrt gezeigt“, sagt Schachmanns Manager Jörg Werner, „er hat sicher die Möglichkeiten, irgendwann bei der Tour, dem Giro oder der Vuelta ganz vorne reinzufahren. Dafür müssen aber alle die Ruhe bewahren. Man darf ihn nicht gleich zum nächsten Jan Ullrich machen.“

Jan Ullrich. Er ist, trotz aller Dopingeskapaden, der Maßstab. Weil er als größtes Rundfahrt-Talent gilt, das der deutsche Radsport je hatte. Und weil seine Erfolge die Buch- und Schachmanns inspiriert haben, selbst aufs Rad zu steigen. Einerseits. Anderseits haben sie auch mitbekommen, wie er seine Karriere im Dopingsumpf versenkt hat. Besseres Anschauungsmaterial gibt es nicht. Auf die Frage, wer sein Vorbild sei, antwortet Buchmann denn auch: „Ullrich natürlich – wie bei jedem deutschen Rennfahrer in meinem Alter.“

Keine positive Entwicklung beim Nachwuchs

Es ist alles andere als ausgeschlossen, dass auf die Generation der Sprinter Marcel Kittel, André Greipel und John Degenkolb sowie des Zeitfahrers Tony Martin eine Zwei-Mann-Generation deutscher Rundfahrer folgt. Danach? Droht ein Loch. Schon Buchmann und Schachmann hält Jörg Werner für ein Produkt des Zufalls, nicht der gelungenen Talentförderung. „Obwohl Radfahren in unserer Gesellschaft ein riesen Thema ist“, sagt der Manager, „sehe ich in der Nachwuchsarbeit in den vergangenen Jahren keine positive Entwicklung mehr.“

Der Bund Deutscher Radfahrer hat 2472 Vereine und rund 141 000 Mitglieder. Das sind nur rund zehn Prozent weniger als 2002, und trotzdem ist ein Trend klar erkennbar: Immer weniger Jugendliche fahren Radrennen auf der Straße. „Als Kittel, Degenkolb oder Martin Junioren waren, musste man sich für eine deutsche Meisterschaft noch qualifizieren“, sagt Jörg Werner, „das gibt es nicht mehr.“

Auch Sven Krauß beschäftigt diese Entwicklung. Der Ex-Profi, der 2007 und 2008 die Tour de France fuhr, sitzt heute im Vorstand seines Heimatvereins RSV Öschelbronn. „Sofern es überhaupt noch Jugendrennen gibt, sind die Felder sehr ausgedünnt“, sagt er, „ich habe zwar das Gefühl, dass es gerade wieder ein bisschen anzieht, doch auch die Einstellung müsste sich ändern. Heute sagt ein Jugendfahrer ein DM-Rennen schon mal mit der Begründung ab, seine Oma feiere ihren 60. Geburtstag.“ Für die Zukunft des deutschen Profi-Radsports bedeutet das nichts Gutes. „Auch wenn es noch das eine oder andere Talent gibt, sind wir schon drin in der schweren Zeit“, meint Krauß. Und Werner sagt: „Eine neue Generation Kittel ist nicht in Sicht.“