In einer Drehpause von „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“: Anna Schudt (re.) und die von ihr im Film gespielte Gaby Köster Foto: dpa

Die deutsche Schauspielerin Anna Schudt hat gerade in New York den International Emmy als beste Hauptdarstellerin gewonnen. Das ist mehr als verdient: Die als Dortmunder „Tatort“-Kommissarin bekannt Gewordene trägt ihre Rollen wie eine zweite Haut.

Stuttgart - Sie spiele am liebsten Heldinnen, sagt sie. Starke Frauen wie Maria Stuart, die Königin von Schottland, die aus ihrem Land fliehen muss, weil sie im Verdacht steht, ihren Gatten ins Jenseits befördert zu haben. Anna Schudt, 44, kommt vom Theater. Das merkt man, wenn man sie im Fernsehen sieht.

Mit dem Medium hat sie lange gefremdelt. Ihre erste TV-Rolle in der Krimi-Serie „Der Kriminalist“ (ZDF) hing sie 2006 schon nach einem Jahr wieder an den Nagel. Genervt von den Wo-waren-Sie-gestern-um-21-Uhr-Fragen, die sie als Kommissarin abspulen musste. Und hoffnungslos unterfordert. Es reicht ihr nicht, nur für einen Moment in ihre Rolle zu schlüpfen. Sie trägt Rollen wie eine zweite Haut.

Noch nicht tot

Das hat auch die Jury des wichtigsten internationalen TV-Preises beeindruckt. Anna Schudt erhielt gerade in New York den Emmy als beste Hauptdarstellerin für ihre Rolle im RTL-Film „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“. Der Titel lässt ahnen, dass es sich um ein Drama handelt, ein echtes obendrein: das um Gaby Köster, ein Kölner Original, schlagfertig, quirlig, laut, mit einem Herzen groß wie ein Wartesaal. Viele kennen sie vom Karneval oder als raubauzige Supermarktkassiererin aus der RTL-Sitcom „Ritas Welt“. Köster gehörte zu den bekanntesten Komikerinnen der Republik, als sie 2008 plötzlich von der Bildfläche verschwand: Schlaganfall.

Die alleinerziehende Mutter eines 13-Jährigen musste alles wieder neu lernen. Sprechen, essen, sich anziehen, laufen. 2011 wurden dann Millionen Zeugen, wie sie sich in „Stern TV“ halbseitig gelähmt einen Weg zurück ins Leben bahnte, gestützt auf den Arm des Moderators. Sie sei noch nicht tot, erklärte sie auf ihre unnachahmlich rustikal-charmante Art. „Meine Körpertemperatur ist recht angenehm.“

Amöbenmasse auf der Matratze

Von 180 auf null, dann mit kleinen Schritten zurück ins Leben: eine Geschichte, wie sie Anna Schudt liebt. Tragisch. Komisch. Kämpferisch. Sie sagt, alles an dieser Rolle sei eine Herausforderung gewesen. „Kölsch konnte ich nicht, Gaby-Köster-Kölsch schon gar nicht. Erfahrungen mit einem Schlaganfall hatte ich auch nicht.“ Ein Physiotherapeut und ein Logopäde halfen ihr, sich in die Rolle der halbseitig gelähmten TV-Komikerin einzufühlen. Ein Körper, der nicht mehr so reagiert, wie man das möchte, das zu spielen habe sie an ihre Grenze gebracht, hat sie unserer Zeitung damals gesagt. Es sei ihr vorgekommen, als ob „eine Körperhälfte wie Amöbenmasse in die Matratze fließt“.

Bei den Proben zu Hause sei sie einmal so gefangen in der Rolle gewesen, dass sie nicht sofort aufstehen konnte, als ihr Ehemann an der Haustür klingelte. Dieser Moment verrät viel über das Selbstverständnis der Schauspielerin. Anna Schudt spielt ihre Figuren nicht, die Figuren spielen sie. In seinen besten Momenten schafft es das Fernsehen eben doch, die Bühnenschauspielerin mit der Kamera zu versöhnen.

Auf einer Wellenlänge

Gaby Köster, so hört man, war von dieser Darstellung nachhaltig beeindruckt. Sie saß auch in New York bei der Verleihung der International Emmy Awards im Publikum. Schudt rief ihr in bester Hollywood-Manier von der Bühne zu: „Gaby, wir haben es nach New York geschafft – ich liebe dich so sehr.“ Den Emmy hat Schudt denn auch Köster gewidmet.

Die beiden sind ein eingespieltes Team. „Einmal“, erzählt Schudt, „habe ich ihr eine SMS geschickt, weil ich nicht mehr wusste, wie sie raucht. Ein paar Minuten später hatte ich das Video auf meinem Handy.“ Dass die beiden auf einer Wellenlänge liegen, hat ihr die Arbeit an der Rolle enorm erleichtert.

Schudt ist verheiratet mit dem Schauspieler Moritz Führmann. Das Paar lebt mit drei Kindern zusammen in Düsseldorf. Der Familie zuliebe hat sie, die das Gymnasium mit 17 geschmissen hat, um an der renommierten Schauspielschule Otto-Falckenberg in München zu studieren, ihren Schwerpunkt auf den Film verlagert.

Gefäße voller Geschichten

Seit 2004 hat sie mehr als vierzig Filme gedreht. Schudt ist auf erfrischende Art unprätentiös. Sie ist schmal, sie hat helles Haar, eine leicht zum Himmel gebogenen Nase und einen Blick, der, so schrieb die Süddeutsche Zeitung einmal, „ohne Aufwand zwischen Trotz, Schlafzimmerblick und Boshaftigkeit wechseln kann“.

Seit 2011 steht sie als stellvertretende Leiterin der Mordkommission Martina Bönisch im „Tatort“ aus Dortmund vor der Kamera. Als geschiedene Mutter zweier Kinder, die sich zum Sex schon mal Callboys ins Hotel bestellt. Vielleicht ist es nicht die Rolle, von der Schudt immer geträumt hat. Aber auch diese Figur ist ein Gefäß, das sie mit Geschichten füllt – von einer Working Mom und deren Spagat zwischen Berufs- und Familienleben. Zwischen der Kommissarin und Maria Stuart liegen Welten. Aber echte Heldinnen müssen auch mal hinter ihr Ego zurücktreten.