Schampus statt Bier, House statt Schlager: In den hippen Bars der Wasen-Festzelte zeigt sich das Cannstatter Volksfest von einer ganz anderen Seite. Aber warum darf dort länger gefeiert werden als anderswo?
Anruf in München bei der Pressestelle des Oktoberfestes. Freundlich klingt der bayerische Herr. Bis wie viel Uhr, so lautet die Frage aus dem Stuttgarter Pressehaus, feiert man auf der Wiesn? Die Antwort lautet: „Um 22.30 Uhr ist Schankschluss, bis 23 Uhr müssen die Zelte leer sein – an jedem Tag, auch am Wochenende.“
Nächste Frage: Gibt es Sonderregelungen? Der Pressesprecher verneint, was die Zelte allgemein betrifft, doch es gebe zwei Ausnahmen: „Das Käfer-Zelt und Kufflers Weinzelt dürfen bis 0.30 Uhr öffnen.“ Warum dort die Zugabe erlaubt ist? „Das ist eine gute Frage“, räumt der nette Pressesprecher ein und gibt zu: „Das weiß ich auch nicht.“
Freitags und samstags geht’s bis 1 Uhr
Wir aber wissen: Beim Cannstatter Volksfest darf man länger feiern als in München. Jedem Wasen-Zeltwirt wird gestattet, in einem abgetrennten Bereich, der autark ist, was Eingänge und sanitäre Räume betrifft, eine Stunde dranzuhängen, also eine Stunde länger zu machen als der Rest des Zeltes. Dies geschieht meist in extra gebauten, clubähnlichen Bars auf der Empore oder in Logen im Erdgeschoss. Die Musik, die dort gespielt wird, ist wenig Ballermann, wenig Schlager, mehr House für den Dance-Floor. Sonntags bis donnerstags ist dort um Mitternacht Schluss, freitags und samstags erst um 1 Uhr.
Die Big-Wasen-Party geht also bis zu zwei Stunden länger als in fast allen Wiesn-Zelten. Und um 1 Uhr gibt’s in Cannstatt obendrein einen Shuttleservice zum Weiterfeiern in Stuttgarter Clubs.
Martina Böhringer-Zinser, die im Zelt von Klauss & Klauss seit drei Jahren die Weinbar Taos Lodge führt, hängt sogar noch eine Sonderschicht dran. Bis 3 Uhr in der Frühe empfängt die Chefin einer Zeitarbeitsfirma, die Urlaub nimmt, um sich den Traum von der Wasen-Wirtin zu erfüllen, eine „geschlossene Gesellschaft“. Ihre Location wird Nacht für Nacht zum Treff der Beschäftigten des Volksfestes, die nach Arbeitsende noch auf einen Absacker vorbeischauen.
Eine Attraktion der Taos Lodge ist die Eiswürfel-Dusche. Von oben regnet es Frozen Cubes runter auf die Flaschen. Bei Böhringer-Zinser, der Eiskönigin vom Wasen, wird der Champagner mit dem Säbel geköpft. Beliebte Weingüter entsenden exklusive Abfüllungen in Magnum-Größe. „Es gibt viele Wasen-Fans, die unter Genuss nicht Bier verstehen“, sagt die Wirtin. Eine „coole Gesellschaft“, berichtet sie, versammelt sich in der Lodge. Wirtschaftsbosse und Banker gehen hier ein und aus. Als eine Firma ihr 30-jähriges Bestehen feierte, bestellte der Chef eine Großflasche für 2000 Euro.
„Auf den Mix aus Tradition und neuen Ideen kommt es an“
Hat dieses Vergnügen noch was mit dem Ursprung des Volksfestes zu tun, das nach einer Hungersnot entstand?„Natürlich ist die Tradition sehr wichtig“, betont Böhringer-Zinser, die deshalb kritisiert, dass Brauchtum zurückgedrängt wird. Doch ein Fest entwickle sich auch weiter. „Auf den Mix aus Tradition und neuen Ideen kommt es an“, findet die Wirtin. Neue Ideen seien der Grund dafür, dass ein Fest attraktiv bleibe.
Auf ihrer Homepage steht, dass an mehreren Tagen DJ Robin in der Taos Lodge auflegt – doch es ist ein anderer als der mit der „Layla“. Der frühere Charts-Spitzenreiter findet das nicht so lustig. Denn der Vornamenvetter heißt mit Familiennamen Hirte, der in der Ankündigung unterschlagen wird. „Ich bin mehrmals angesprochen worden“, sagt der Ballermann-Star, der beim Volksfest 2024 aus alter Tradition fünfmal beim Wasenwirt auftritt. Vergeblich hat er versucht, seinen Auftrittsnamen schützen zu lassen. Robin sei so weit verbreitet, habe man ihm gesagt, dass dies nicht gehe.
Le Shuuk spielt bei den Spitzbuben
Auch wenn die Jungen mit Schampus und Wein aufdrehen: Brauereien dominieren weiterhin den Wasen. Doch immer mehr hippe Bars breiten sich aus. Tim Berkemer vom Hi Life betreibt (unterstützt von Lorenz Grohe vom Malo) in der Almhütte Royal die Spitzbuben-Bar. Dort wird am Sonntag die queere Party Fame gefeiert. Am 6. Oktober legt Le Shuuk in der Bar für 400 Gäste auf – zum Start der EM-Fanzone hatte er den Schlossplatz gefüllt. Nina Renoldi, die Wirtin der Almhütte Royal, sagt, dass bei ihr zu einer Hälfte Bier, zur anderen bereits Wein bestellt wird. „Vielleicht liegt es daran, dass es kein Weinzelt mehr gibt“, vermutet sie.
Denis Gugac, der Betreiber des Clubs Zubrovka am Rotebühlpatz, ist erstmals Chef der Schatzi-Bar auf der Empore des Zelts von Sonja Merz. Ordentlich investiert hat er, damit alles noch schöner wird, der DJ bekam ein neues Pult, das quasi über dem Mittelschiff schwebt. Einer seiner ersten Events ist am Sonntag eine große Influencer-Party.
Auch in den hippen Wasen-Bars tragen die jungen Leute Tracht, aber meist in der edleren Variante. Wenn die Killesberg-Babys eine teure Flasche (nein, kein Bier!) bestellen, zündet der Kellner das Feuerwerk an – und wie dann die Augen leuchten!
Göckelesmaier macht bei dem Trend nicht mit
Außerdem gibt es bei Michael Wilhelmer in der Schwabenwelt die Amici-Bar und bei Fürstenberg die Solitude-Bar auf der gesamten Galerie, die Detlef Brumm führt, der für die Summer Lounge von Breuningerland Sindelfingen verantwortlich war. Karl Maier von Göckelesmaier indes macht den Trend der jungen Bars nicht mit. Mit der Volksfest-Tradition habe dies doch nichts zu tun.
17 Tage Feiertaumel. Nicht wenige sagen, das sei die schönste Jahreszeit. Ein Volksfest, na klar, sollte ein Fest fürs Volk sein – und das Volk hat viele Gesichter, Vorlieben und Wünsche. Die einen bevorzugen Bier, andere Schampus und Wein. Tradition und Vergangenheit, die wir nicht vergessen sollten, erinnern daran: Einst hat das Fest angefangen, um die schlechten Zeiten (damals die Hungersnot nach dem Jahr ohne Sommer) zu vergessen und nach vorne zu schauen.
Auch heute ist Kraftschöpfen wichtig.