„Der Olli ist eigentlich ein richtiger Audianer“, sagt Audi-Chef Rupert Stadler (rechts) über Porsche-Lenker Oliver Blume. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Es ist das erste Interview, das Porsche-Chef Oliver Blume und Audi-Chef Rupert Stadler je zusammen gegeben haben. Das hat einen Grund.

Stuttgart - Es ist das erste Interview, das Porsche-Chef Oliver Blume und Audi-Chef Rupert Stadler je zusammen gegeben haben. Das hat einen Grund: Die beiden Hersteller starten gemeinsam eine Elektrooffensive. Ein Gespräch über kulturelle Unterschiede, die Zukunft der E-Mobilität und die Krise der Branche.

Herr Blume, Herr Stadler, Porsche und Audi galten bisher ja eher als Rivalen. Das bezieht sich auf die Rennstrecke, aber auch auf einzelne Modelle, mit denen Sie in den Bereichen der anderen wildern. Wie können aus Rivalen plötzlich Partner werden?
Stadler Es ist richtig, dass wir zu Partnern werden, weil wir jetzt gemeinsam eine Architektur für Elektroautos entwickeln. Auf dieser wollen wir von 2021 an mehrere Modelle und Fahrzeuggenerationen auf die Straße bringen. Bei Audi geht es um zwei Modellfamilien, bei Porsche um eine.
Blume Ich glaube, unser bisheriges Verhältnis war weniger von Rivalität geprägt, als viele das sehen wollen. Es gibt eine tiefe Wertschätzung für die Leistung und die Produkte des anderen.
Sie beide kennen sich ja auch schon lange.
Stadler Ja, der Olli ist eigentlich ein richtiger Audianer. Er hat über zehn Jahre bei uns gearbeitet. Das ist gut für das Projekt, weil er die Mannschaft und die Herangehensweisen bei Audi kennt.
Blume Und Rupert Stadler selbst war ja auch an unterschiedlichen Stationen im VW-Konzern tätig. Es ist sicher gut, dass wir beide uns so gut kennen und das Vertrauen vorleben können.
Es gibt bei beiden Marken aber auch stolze Entwickler, die jene Lösungen für die besten halten, die aus ihren Häusern kommen. Wer entscheidet, was die besten Lösungen sind?
Blume Ich halte es für sehr wichtig, dass es diesen Stolz gibt. Er treibt die Menschen zu Hochleistungen an. Wir sind aber auch alle Techniker und Automobilkenner. Wenn wir uns verschiedene Ideen anschauen, sind wir uns relativ schnell einig, was die beste Lösung ist – nicht nur für unsere Produkte, sondern vor allem für unsere Kunden.
Stadler Im Übrigen darf es ruhig auch mal Disput geben. Mit der Einstellung „Wir haben uns alle lieb“ gelingen solche Projekte selten. Wir müssen uns vor Augen führen, vor welcher Herausforderung unsere Branche steht: Es geht darum, jetzt reichweitenstarke E-Fahrzeuge auf die Straße zu bringen. Das ist sowohl auf der Kosten- als auch auf der Leistungsseite eine enorme Herausforderung. Gleichzeitig arbeiten wir an autonom fahrenden Fahrzeugen, treiben die Digitalisierung voran und setzen uns mit ganz neuen Kundenherausforderungen auseinander. Jeder in unserem Unternehmen hat verstanden, dass wir draußen im Wettbewerb nur bestehen können, wenn wir in diesen zentralen Zukunftsfeldern eng zusammenarbeiten. Unser Wettbewerb ist nicht im Konzern, er ist draußen. Und so sind wir irgendwann 2016 auf die Idee gekommen, bei den E-Fahrzeugen zu kooperieren.
Wie sieht die Kooperation in der Praxis aus?
Blume Wir haben zwei Projekthäuser gegründet, eines davon am Audi-Stammsitz Ingolstadt. Das zweite in Weissach, wo Porsche sein Entwicklungszentrum hat. Audi stellt aktuell etwa 550 Entwickler, Porsche 300. Wir haben zwei Präsenztage pro Woche eingeführt. Ansonsten arbeiten die Teams über Videokonferenzen und Skype zusammen. Wir haben die Verantwortung so verteilt, dass jede Marke für die Fahrzeugmodule zuständig ist, die sie am besten beherrscht.
Wie viel investieren Sie in das Projekt?
Stadler Für die Entwicklung der Architektur kommt bis 2025 ein niedriger einstelliger Milliardenbetrag auf uns zu.
Und was sparen Sie durch Synergieeffekte?
Blume Wenn jeder für sich eigenständig unterwegs wäre, würden 30 Prozent höhere Kosten anfallen.
Beide Marken haben bereits E-Autos entwickelt. Warum haben Sie es dann nicht gleich gemeinsam gemacht?
Blume Als wir die Projekte gestartet haben, hatten wir eine andere Ausgangssituation und andere Ansätze. Unsere ersten reinen E-Autos liegen konzeptionell weit auseinander, so dass wir getrennt vorgegangen sind. Von den Erfahrungen profitieren wir gemeinsam. Es gibt aber auch in diesem Projekt bereits Zusammenarbeit und damit Synergien – so beziehen wir die Zellen beide vom südkoreanischen Hersteller LG Chem, der eigens dafür eine Fabrik in Polen aufgebaut hat.
Wo werden die Autos der neuen Plattform produziert?
Blume In Zuffenhausen kommen wir langsam an unsere Kapazitätsgrenze. Ich sehe derzeit gute Chancen für Leipzig. In Zuffenhausen hat sich neben einer Reihe an Effizienzmaßnahmen jeder – vom Vorstand bis zu allen Mitarbeitern – an einem Zukunftsprogramm beteiligt. So wurde möglich, dass der Mission E an einem Hochlohnstandort wie Baden-Württemberg gebaut werden kann. Ein ähnliches Paket kann ich mir auch für Leipzig vorstellen.
Stadler Audi wird zwei Limousinen in Neckarsulm fertigen. Zwei weitere SUV-Modelle werden wir in Ingolstadt produzieren.
Herr Stadler, denken Sie auch daran, E-Autos in China zu produzieren?
Stadler Wir werden definitiv in China E-Autos fertigen. Die Frage ist, wie schnell wir das umsetzen können.
Welches Modell aus diesem neuen Baukasten startet denn als erstes, ein Auto mit Hochboden – also ein Geländewagen – oder ein Wagen mit Flachboden, wie etwa ein Sportwagen oder eine Limousine?
Blume Mit der ersten Architektur, die wir entwickeln, werden wir beides können: Flach- und Hochboden.
Die ersten neuen E-Autos aus der gemeinsamen Entwicklung starten also in zwei unterschiedlichen Segmenten?
Stadler Wir haben bis dahin bei Audi schon unseren e-tron und ein Schwestermodell am Markt, aber noch kein sportliches Elektroauto. Deshalb haben wir uns die anspruchsvolle Aufgabe gestellt, zeitnah beides zu schaffen. Das heißt aber keineswegs, dass wir nicht auch bei den SUV noch einmal nachlegen werden.
Wenn man sich den Modellzyklus von Porsche ansieht, könnte ja der Geländewagen Macan das erste Modell sein, das diesen neuen Elektrobaukasten nutzt.
Blume Dafür würde einiges sprechen. Wir haben die Reihenfolge aber noch nicht final entschieden, sondern konzentrieren uns zunächst auf den Elektro-Sportwagen Mission E. Im Laufe dieses Jahres werden wir entscheiden, welche Modelle wann starten werden. Die Baukästen, die wir jetzt entwickeln, bieten vielfältige Möglichkeiten. Auch die CO2-Vorgaben spielen eine Rolle bei der Frage, welches Modell mit welchem Antrieb wann auf den Markt kommt.
Studien prognostizieren, dass es für den VW-Konzern schwierig wird, die von 2021 an geltenden CO2-Grenzwerte zu erreichen.
Stadler Es ist gewiss keine leichte Aufgabe, die schärferen CO2-Ziele zu erreichen. Aber wir sehen heute zumindest den Pfad, auf dem wir zum Ziel kommen können. Dabei helfen uns neben rein batterieelektrischen Autos vor allem Plug-in-Hybride. Wir stimmen unser Angebot entsprechend auf die einzelnen Märkte ab. Und bei aller E-Euphorie, entscheidend ist, wie schnell die Kunden unser Produktangebot annehmen und die dafür notwendige Infrastruktur entsteht.
Und die bisherige Kaufzurückhaltung macht Ihnen da keine Sorgen?
Blume Nein, das ist vor allem in Deutschland so. Hier gibt es noch kein dichtes Ladenetz für Elektroautos. Es werden jedoch immer mehr Ladestationen errichtet. Mit unserem Joint Venture Ionity – auch das treiben Audi und Porsche gemeinsam mit Partnern voran – werden wir bis Ende des Jahrzehnts 400 Ladeparks an den Hauptverkehrsachsen in Europa eröffnen. Es gibt Länder, die hier heute schon viel weiter sind, vor allem in Skandinavien. Dort sieht man auch, dass die Nachfrage nach Elektroautos deutlich größer ist. Deshalb bin ich zuversichtlich.
Dort gibt es aber auch üppige staatliche Kaufanreize.
Blume Gewiss, die gibt es. Aber auch die Infrastruktur spielt eine Rolle. Für den Erfolg von Elektroautos müssen immer mehrere Faktoren zusammenspielen. Dazu gehören auch attraktive Produkte mit großen Reichweiten, kurzen Ladezeiten und hohem Kundennutzen. Wenn das kommt, wird der Markt schnell an Tempo gewinnen. Porsche hat bei den CO2-Zielen auch noch einige Hausaufgaben zu machen. Wir sind aber optimistisch, dass wir das hinbekommen. Der Erfolg unserer Plug-in-Hybride stärkt unser Selbstvertrauen. Beim Panamera haben wir unsere leistungsstärkste Variante mit einem Plug-in-Hybridantrieb ausgestattet. Der Wagen ist also alles andere als ein Verzichtsauto. In Europa wählen sechs von zehn Panamera-Käufer den Plug-in-Hybrid. Wir sind selbst überrascht von diesem Erfolg. Dies ist ein wichtiger Beitrag, um die CO2-Ziele zu erreichen.
Spielt der CO2-Ausstoß auch für das Image der Marken eine Rolle?
Stadler Ich bin fest davon überzeugt. Wir müssen akzeptieren, dass ökologische Werte im Zentrum der Gesellschaft angekommen sind und gerade von einem Autohersteller erwartet werden. Eine Premiummarke hat die Verpflichtung, ein adäquates Angebot zu entwickeln. Wir müssen aber auch aus eigenem Antrieb dafür sorgen, dass wir zukunftsfähig sind. Wir haben bei Audi festgelegt, dass bis 2025 rund 30 Prozent unseres Modellangebots einen Plug-in-Hybridantrieb oder einen reinen Elektroantrieb haben werden.
Blume Ich denke, es geht in erster Linie nicht um Imagefragen. Wir haben eine gesellschaftliche Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Welt in Zukunft noch lebenswerter wird. Nachhaltigkeit ist für uns bei Porsche ein wichtiges strategisches Ziel.
In der öffentlichen Wahrnehmung kommt diese Einstellung aber nicht an. Viele Menschen halten die Industrie nach dem Abgasskandal und den geschönten Emissionswerten für böseund schmutzig. Was muss die Branche tun, um das Image zu verbessern?
Blume Wir wollen mit Fakten und Taten überzeugen. Wir nehmen natürlich auch wahr, dass die Autoindustrie derzeit in der Kritik steht, was zu einem großen Teil selbst verschuldet ist. Da brauchen wir gar nicht diskutieren. Porsche geht hier konsequent seinen Weg. Dabei geht es nicht nur um die Produkte, sondern auch um eine nachhaltige Produktion – letztlich um die gesamte Wertschöpfungskette. Wir stellen uns auch die Frage: Was ist der Sinn und Zweck eines Automobilunternehmens? Tolle Gewinne sind kein Selbstzweck. Die Gewinne dienen dazu, die Zukunft zu finanzieren und Verantwortung zu übernehmen. Wir wollen begeisterte Kunden und sichere, zukunftsfähige Arbeitsplätze, aber auch soziale und gesellschaftliche Projekte haben für uns einen großen Stellenwert. Ich glaube, dass wird auch Zug um Zug wahrgenommen. Die nächsten drei bis fünf Jahre werden natürlich gerade in puncto E-Mobilität und Digitalisierung ein Kraftakt, aber ich bin überzeugt, dass die Menschen das schätzen.
Am 22. Februar fällt das Bundesverwaltungsgericht eine wichtige Entscheidung über Fahrverbote. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?
Stadler Wir warten alle gespannt auf die Entscheidung. Ich wünsche mir, dass das Gericht auch die gesellschaftspolitischen Folgen berücksichtigt. Einseitige Fahrverbote bringen uns keinen Meter weiter. Der Einzelhandel und die Kommunen sind derzeit stark verunsichert, weil sie ihre Einfahrmöglichkeit brauchen – jeden Tag. Dies gilt noch mehr für Pendler. Wir wissen alle, dass wir hier eine gemeinsame Aufgabe haben, die nicht nur die Autoindustrie lösen kann. Am effizientesten ist sicher, wenn wir den heutigen Fahrzeugpark schrittweise erneuern. Das ist der entscheidende Hebel. Der technologische Fortschritt wird Wirkung zeigen – wenn auch vielleicht nicht in der Geschwindigkeit, wie wir uns das wünschen.
Blume Wir sind ganz klar gegen Fahrverbote. Sie sind keine Lösung und kein Allheilmittel. Wir unterstützen ganzheitliche Lösungen, an denen wir aktuell mit Städtepartnerschaften in Ludwigsburg und Stuttgart arbeiten.