Der Münchner Komiker Karl Valentin hat einst festgestellt: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Das Sinnieren über den hintersinnige Satz hat die Bundestagskandidatinnen und Kandidaten im Kreis Esslingen zu Höhenflügen inspiriert – oder auch nicht.
Esslingen - Der Münchner Komiker Karl Valentin (1882–1948) hat einst hintersinnig festgestellt: „Die Zukunft war früher auch besser.“ Der Satz kommt auf den ersten Blick harmlos daher, ist aber mit Widerhaken gespickt. In ihm schwingt eine Angst vor der Zukunft mit, gepaart mit einer Prise Wehmut. Ein zeitloser Satz, formuliert in unruhigen Zeiten und gerade deshalb des Nachdenkens wert.
Genau das haben die Bundestagskandidatinnen und -kandidaten auf den Wunsch dieser Zeitung hin getan. Sie haben sich der aus dem Zitat abgeleiteten Frage, ob denn die Zukunft früher wirklich besser war, in Twitter-Manier genähert. Nicht mehr als 140 Zeilen, so lautete die Vorgabe – angesichts der philosophischen Dimension, die dem Zitat innewohnt, eine zusätzliche Herausforderung.
Jedes Ding hat drei Seiten . . .
Herausgekommen sind Antworten, über die sich der Komiker sicherlich gefreut hätte – aber auch solche, bei denen er sich in seiner Einschätzung, wonach die Zukunft früher besser war, hätte bestätigt fühlen können. Doch auch diese Ambivalenz hat Valentin, der Visionär, schon vorhergesehen, als er seinerzeit feststellte: „Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische.“
Für die komische Seite hat sich Michael Hennrich (CDU) entschieden. An seiner Antwort hätte Karl Valentin seine helle Freude gehabt. „Loriot bringt es auf den Punkt: Früher war mehr Lametta!“, kommentiert der Bundestagsabgeordnete, der sein Mandat im Wahlkreis Nürtingen wieder verteidigen will. Auch Renata Alt, FDP-Kandidatin im Wahlkreis Nürtingen, gibt Valentin mit gleicher Münze wieder. Sie stellt die nicht minder hintersinnige Gegenfrage: „Wird die Vergangenheit später schlechter?“
Sven Kobbelt, der im Wahlkreis Esslingen seinen Hut für die FDP in den Ring wirft, hat seine Antwort ebenfalls in eine Gegenfrage verpackt. „Die Zukunft von gestern waren fliegende Autos und selbstschnürende Schuhe. Wo sind wir unterwegs stehen geblieben?“, fragt er sich. Nicht stehen geblieben, meint Markus Grübel (CDU): „Die Erfindung der Dampfmaschine und des Autos haben gleich viele Sorgen geweckt wie die Digitalisierung heute“, gibt er zu bedenken.
Zwischen Tief- und Schwersinn
Gewiss hätte sich Valentin, der am Ende seiner Tage nicht nur tief-, sondern auch schwersinnig geworden war, auch in den Antworten der Linke-Kandidaten wiedergefunden. Deren kritische Grundstimmung hätte er in seinen von Erfolglosigkeit und Krankheit überschatteten späten Lebensjahren wohl gutgeheißen. „Bei Leiharbeit, befristeten Stellen, Hartz IV, niedrigen Renten und Löhnen, überfüllten Schulen und Unis braucht man heute schon viel Optimismus“, findet Heinrich Brinker, Kandidat im Wahlkreis Nürtingen. Auch sein Esslinger Parteifreund Martin Auerbach thematisiert den Ernst der Lage: „Vor Hartz IV und der Klimakrise war es leichter – Antworten auf die sozialen und ökologischen Fragen bleiben die Herausforderung des Jahrhunderts.“
Wo die SPD diese Herausforderung sieht, wird in den Antworten von Nils Schmid (Wahlkreis Nürtingen) und Regina Rapp (Wahlkreis Esslingen) deutlich. Hier geht es nicht um hintersinnige Philosophie, sondern um plakativen Wahlkampf. „Die SPD hat die Zukunft jedenfalls schon immer ein Stück besser gemacht“, befindet Nils Schmid. Regina Rapp haut in die gleiche parteipolitische Kerbe. „Das hängt stark von den Wählern ab. Wird die SPD am 24. September stärkste Kraft, haben wir beste Zukunftsaussichten“, ergänzt sie.
Suche nach Orientierung
Auch Martin Gastel (Bündnis 90/Die Grünen) kann der Versuchung nicht widerstehen, die Zukunft und das Abschneiden seiner Partei miteinander zu verknüpfen. „Vielleicht, aber mit grünen Ideen wird sie auf jeden Fall noch besser“, verspricht er. Dagegen meint seine Esslinger Kollegin, Stephanie Reinhold, dass schon vieles besser geworden sei. „Aber unsere Zukunft hängt stark davon ab, was wir heute tun und entscheiden.“ Einig sind – oder abgesprochen haben – sich Vera Kosova und Stephan Köthe. Die AfD-Kandidaten suchen Orientierung in der als schneller und komplexer empfundenen Welt.