Die neue Nummer eins im Frauentennis: Ashleigh Barty Foto: AFP

Mit 18 hatte Ashleigh Barty keine Lust mehr auf Tennis. Sie ging angeln, gab ein paar Trainerstunden und spielte Cricket. Jetzt steht die 23-jährige Australierin an der Spitze der Weltrangliste. Wie hat sie das geschafft?

Stuttgart - Die junge Frau aus Australien, die Ende Mai 2016 beim ITF-Turnier im südenglischen Eastbourne antrat, hatte nicht einmal eine Weltranglistenplatzierung vorzuweisen. Woher auch, ihr letztes Einzel lag fast zwei Jahre zurück. Trotzdem durfte sie mitspielen, kämpfte sich durch die Qualifikation und danach bis im Halbfinale. Ihr Preisgeld betrug 2216 US-Dollar, knapp 2000 Euro.

In dieser Woche, etwas mehr als drei Jahre später, wollte die mit 23 noch immer junge Frau eigentlich nach Eastbourne zurückkehren. Diesmal nicht zum kleinen ITF-, sondern dem mit 875 000 Euro dotierten WTA-Turnier. Sie hätte sich nicht einmal durch die Qualifikation quälen müssen, sondern in der ersten Hauptrunde ein Freilos gehabt. Doch sagte sie kurzfristig ihren Start beim letzten Vorbereitungsturnier auf Wimbledon ab.

Es ist dann doch alles ein bisschen viel geworden für Ashleigh Barty, die neue Nummer eins des Frauentennis.

Die zweite Australierin an der Spitze der Weltrangliste

Durch den 6:3-7:5-Sieg gegen Julia Görges im Finale von Birmingham hat die French-Open-Siegerin am Sonntag die Japanerin Naomi Osaka an der Spitze der Weltrangliste abgelöst. Als erst zweite Australierin nach der legendären Evonne Goolagong-Cawley (1976) ist Ashleigh Barty auf den Thron geklettert. „Davon träumst du als Kind. Dass es dann Realität wird, ist unfassbar. Das war eine unglaubliche Reise“, sagte sie nach der vorläufigen Krönung eines Karriereweges, der sie auf verschlungenen Pfaden und zuletzt im Rekordtempo nach ganz oben geführt hat.

Ashleigh Barty, wie Evonne Goolagong-Cawley Nachfahrin der Aborigines, geboren und aufgewachsen in Ipswich im australischen Bundesstaat Queensland, galt in ihrer Jugend als Tennis-Wunderkind. Mit zwölf trainierte sie mit männlichen Erwachsenen, mit 14 startete sie ihre Profikarriere, mit 15 gewann sie das Juniorenturnier in Wimbledon und ihr erstes ITF-Turnier in Sydney, mit 16 erreichte sie an der Seite der elf Jahre älteren Casey Dellacqua die Doppelfinals der Grand Slams in Melbourne und Wimbledon.

Mit 18 war sie ausgebrannt und hatte keine Lust mehr auf den ganzen Zirkus.

Im Golf erreichte Ashleigh Barty ohne größere Übung ein Handicap von 10

Ashleigh Barty ertrug den ständigen Druck und das permanente Reisen nicht mehr, sie vermisste ihre Eltern und ihre beiden älteren Schwestern in Australien. Nach den US Open 2015 verabschiedete sie sich auf unbestimmte Zeit von der Tennistour und kehrte zurück in die Heimat. Sie ging angeln, gab ein paar Trainerstunden und spielte schließlich halbprofessionell Cricket im Frauenteam der Brisbane Heat, in dem sie von ihrem sagenhaften Ballgefühl profitierte. Barty ist ein Naturtalent, im Golf erreichte sie ohne größere Übung ein Handicap von 10.

Die Auszeit sei „die beste Entscheidung gewesen, die ich treffen konnte“, sagte sie später, „und es war eine noch bessere, wieder zurückzukehren“. Im Frühjahr 2016 packte Ashleigh Barty wieder ihre Tennistasche und startete in Eastbourne den Durchmarsch aus dem Nichts an die Spitze. 2017 der erste WTA-Titel in Kuala Lumpur, 2018 drei weitere Einzelerfolge sowie der Doppel-Triumph bei den US-Open an der Seite der Amerikanerin Coco Vandeweghe, in diesem Jahr die Siege in Miami, bei den French Open und nun in Birmingham. In Wimbledon wird sie zu den großen Favoritinnen zählen.

Mit dem Antizipationsvermögen eines Schachgroßmeisters

Mit einer Körpergröße von 1,66 Meter zählt Ashleigh Barty zu den kleineren Spielerinnen auf der WTA-Tour – die fehlende Körpergröße kompensiert sie durch ihre Spielintelligenz und Variabilität. Sie ist eine Allrounderin, die schon auf allen Belägen Titel gewonnen hat. Ihr Markenzeichen ist der Rückhand-Slice, das Doppel hat sie aber auch das Serve and Volley gelehrt, sie verfügt über das Antizipationsvermögen eines Schachgroßmeisters.

„Ich habe vor drei Jahren von ganz vorne angefangen – dass ich jetzt ganz oben stehe, ist gewaltig“, sagte Barty nach ihrem Turniersieg in Birmingham. Die nächste Herausforderung steht aber bereits bevor, nicht nur in Wimbledon. Seit Serena Williams im September 2016 nach 186 Wochen die Weltranglistenführung abgab, wechselten sich acht verschiedene Spielerinnen zwölfmal an der Spitze ab. Aus dem Nichts ist nun Ashleigh Barty gekommen – und will gern länger bleiben.