Costantini Baratta und seine Frau Rosa Maria Maggiore nahmen für Guisi Nicolini den Stuttgarter Friedenspreis entgegen. Foto: Martin Stollberg

Überladene und kenternde Boote, Gerettete und Ertrunkene: An der Küste von Lampedusa spielen sich Flüchtlingsschicksale ab. Für ihre Solidarität und Gastfreundschaft wurde die Bürgermeisterin der Insel, Guisi Nicolini, mit dem Stuttgarter Friedenspreis des Bürgerprojekts Die Anstifter ausgezeichnet.

Stuttgart - Die winzige Insel vor der Küste von Nordafrika hat 5500 Einwohner. Hunderttausende Menschen sind in den letzten Jahren mit dem Wunsch nach einem sicheren und besseren Leben hier gestrandet. „In den letzten drei Tagen sind weitere eintausend Flüchtlinge und Migranten zu uns gebracht worden, die aus der Meerenge von Sizilien gerettet wurden“, schrieb Guisi Nicolini in ihrer Botschaft nach Stuttgart. Auch, um klar zu machen, welcher Druck auf ihr lastet und warum sie den Preis nicht selbst entgegennehmen konnte.

Statt der Bürgermeisterin kamen Costantini Baratta und seine Frau Rosa Maria Maggiore. Baratta, von Beruf Maurer und Fischer, war am 3. Oktober 2013 aufs Meer hinaus gefahren und rettete zwölf Flüchtlinge, die mit ihrem hoffnungslos überladenen Fischkutter untergegangen waren. An diesem Tag ertranken 368 Flüchtlinge. „Wenn Menschen gerettet werden, sind es die Männer der Finanzpolizei, der Küstenwache, der Marine, der Schiffsbesatzungen und die Fischer, die dieses Wunder vollbringen“, versicherte Rosa Maria Maggiore. Das sei eine Wahrheit, die jeder kennt, der auf Lampedusa lebt, aber die niemand, weder Politiker noch Journalisten, der Öffentlichkeit mitteile, so ihr Vorwurf. Obendrein würden alle, die auf Lampedusa leben, seit Jahren die sofortige Öffnung von humanitären Zugangswegen einfordern, damit niemand mehr sein Leben riskieren müsse.

„Europa lässt uns allein“

Signora Baratta, liebevoll Mamma Rosa genannt, hat die Flüchtlinge wieder aufgepäppelt. So wie sich viele Frauen die Versorgung der Menschen zur Aufgabe gemacht haben, als 8000 Flüchtlinge auf der Insel waren und nur für 2000 von ihnen Verpflegung vorgesehen waren: „Wir konnten sie doch nicht verhungern lassen“, sagen die Barattas. Die zwölf geretteten Eritreer haben längst eine neue Heimat in Schweden, Norwegen und auch Deutschland gefunden. „Aber wir sind heute noch trotz Sprachschwierigkeiten in Kontakt, und zum Jahrestag ihrer Rettung im Oktober waren sie wieder auf Lampedusa und versicherten, dass sie sich hier wie zu Hause fühlen.“

Heidrun Friese, Ethnologin und Professorin an der TU Chemnitz, lebte für eine Feldforschung zum Thema Gastfreundschaft auf Lampedusa und kennt Guisi Nicolini. „Sie gehört zu den eindringlichen Stimmen, die unermüdlich das europäische Grenzregime anprangern und europäische Politiker zum Umdenken auffordern“, sagte Friese in ihrer Laudatio. Lampedusa sei ein Ort unbedingter Gastfreundschaft, aber auch zu einem der Symbole für Europas verfehlte Asyl- und Einwanderungspolitik geworden.

„Europa lässt uns allein“, klagt die Bürgermeisterin in der Botschaft an, die Baratta vorlas. Es sei grotesk, empört sie sich, zwischen Flüchtlingen und ökonomischen Migranten zu unterscheiden, wie es die EU tue. Sie behandele Flüchtlinge wie Ware, die man von Lager zu Lager schiebe. Auch auf Lampedusa bleiben die Flüchtlinge meist nur noch 48 Stunden, ehe sie in Lager auf Sizilien oder auf dem Festland gebracht werden.

Der Stuttgarter Friedenspreis ist mit 5000 Euro dotiert. Guisi Nicolini will sie für ein kommunales Projekt verwenden.