Gerichtstag im Klassenzimmer: Schirin Brendel (vorne) und Caroline Sessler als „Alarmbereite“ Foto: /Stephan Haase/Studio-Theater

Blitzkommentar zur Pandemie: Christof Küster inszeniert im Stuttgart Studio-Theater „Die Alarmbereiten“ von Kathrin Röggla.

Stuttgart - Elternversammlung in der Schule. Die Lehrerin stellt eine Mutter zur Rede, von deren Tochter eine Gefahr für die ganze Klasse ausgehe. Die Welt steure auf Katastrophen zu, meine das superintelligente, superinformierte Mädchen, das für seine Untergangsszenarien auch gute Gründe nenne, wie das entgeisterte Lehrerkollegium anerkennend zugestehen müsse. Es „rede mit Leuten vom Robert-Koch-Institut“ und wisse alles über „Epidemien, Tier-Mensch-Virusinfektionen, Vorsichtsmaßnahmen“. Das aber tue der Klasse nicht gut, wirft die Lehrerin der Mutter vor: Ihre Tochter sei ein „Superspreader“, der die anderen Kinder mit seiner Negativität anstecke.

Die auffällige Tochter ist aber nicht nur ein „Superspreader“, sie gehört auch zu den „Alarmbereiten“, denen die österreichische Autorin Kathrin Röggla einen Erzählzyklus gewidmet hat – nicht als Schnellschuss in diesem Frühjahr, sondern weit vor Greta Thunberg, Fridays for Future und Covid-19 als Zeitdiagnose im Jahr 2010.

Über die prophetische Gabe der Prosa, in die auch Rögglas Drama „Worst Case“ eingeflossen ist, kann man nur staunen. Und nur loben kann man den Instinkt, mit dem der Intendant des Stuttgarter Studio-Theaters das im Konjunktiv gehaltene, lange vergessene Textmassiv aufgespürt und als Regisseur bearbeitet hat: Die „Alarmbereiten“ erweisen sich als Christof Küsters mit sinnlicher Intelligenz verstörender Kommentar zur Pandemie, die ihrerseits die Form der videounterstützten Aufführung bestimmt.

Panik im Blut

Um Hygienestandards zu gewährleisten, hat Küster ähnlich wie zuvor Burkhard Kosminski am Staatstheater einen Parcours eingerichtet, der in Fünfergruppen durchs Haus führt, von der Küche bis zur oberen Bühne. Die Schulszene findet unten statt: inmitten des Stuhlkreises die von Caroline Sessler mit Ängsten aufgeladene Mutter, die von der ihre Machtstellung subtil genießenden Lehrerin angeklagt wird, gespielt von Schirin Brendel, die zuletzt einen fulminanten Auftritt im Münchner „Tatort“ hatte. Und souverän wie Brendel und Sessler, das Panische lauernd im Blut, agieren auch alle anderen Alarmbereiten, vom verdutzten Parkplatzbeobachter des Eberhard Boeck über die sanft sich um Vater sorgende Mariam Jincharadze bis hin zum aufgekratzten Radio-Moderator des Boris Rosenberger.

Leider ist das Studio-Theater von überschaubarer Größe. Mehr als fünf Katastrophenstationen mit einer Gesamtspieldauer von einer Stunde gibt die Immobilie nicht her. Regie und Ensemble wären, gäbe man ihnen die Möglichkeit, aber schon zu Höherem und Größerem berufen.

Aufführung am 2. bis 4. sowie am 9. bis 11. Juli. Karten: www.studiotheater.de