Vieles wird davon abhängen, wie die Ausbreitung des Virus nach dem Ende der Sommerferien verhindert werden kann. Foto: dpa/Felix Kästle

Trotz steigender Infiziertenzahlen ist die Lage im Rems-Murr-Kreis noch im grünen Bereich. Doch das könnte sich insbesondere nach dem Ferienende ändern. Der Landrat appelliert deshalb an das Verantwortungsbewusstsein der Bürger.

Rems-Murr-Kreis - Kommt eine zweite Corona-Welle? Diese Frage können zurzeit auch Experten nicht seriös und verlässlich beantworten. Fakt ist, dass die Infektionszahlen wieder steigen. Auch im Rems-Murr-Kreis – ein Lagebild:

Wie haben sich die Zahlen im Rems-Murr-Kreis entwickelt?

Seit Beginn der Pandemie wurden im Rems-Murr-Kreis 2020 Infektionen gemeldet, 65 davon allein in den vergangenen sieben Tagen (Stand Dienstag, 1. September, 16 Uhr). Von diesen 65 Menschen im Alter zwischen acht und 70 Jahren sind 41 männlich. Die Corona-Zahlen bewegen sich laut Auskunft des Waiblinger Landratsamts aktuell in einem Bereich wie zuletzt im Mai.

Worauf ist der neuerliche Anstieg zurückzuführen?

Der landesweite Anstieg, so erklärt das Landesgesundheitsamt in seinem Tagesbericht vom Dienstag, sei zu einem großen Teil auf Reiserückkehrer zurückzuführen: „In den letzten sieben Tagen hatten mindestens 49 Prozent der gemeldeten Fälle eine Reiseanamnese“, heißt es dort. So liege etwa im Landkreis Böblingen der Anteil der reiseassoziierten Fälle an allen gemeldeten Fällen bei 34 Prozent. Im Rems-Murr-Kreis hingegen ist dieser Wert zumindest für die vergangenen sieben Tage deutlich geringer: So wurde laut dem Regierungspräsidium Stuttgart (RP) in 14 Prozent der Fälle angegeben, dass es sich um Reiserückkehrer handelt. Insgesamt, erklärt eine Sprecherin des Landratsamtes, zeige eine Auswertung von Tests jedoch, dass der überwiegende Teil der Neuinfektionen im Kreis auf Reiserückkehrer zurückzuführen sei.

Im Video: Steigende Infektionszahlen: Ist ein zweiter Lockdown möglich?

Wer ist von Infektionen vornehmlich betroffen?

Das Durchschnittsalter der Personen, die sich zurzeit in Quarantäne befinden, sei deutlich niedriger als etwa im Frühjahr. Festgestellt wurden zuletzt kaum Infektionen in Alten- und Pflegeheimen. Diese Situation spiegelt sich auch in den heimischen Krankenhäusern wider. Laut den Rems-Murr-Kliniken gibt es derzeit nur einzelne Corona-Erkrankungen, die stationär behandelt werden müssen, und nur einer der rund 90 geschaffenen Beatmungsplätze ist im Zusammenhang mit Covid-19 derzeit belegt.

Bei welchen Zahlenwerten wird es kritisch?

Die sogenannte Sieben-Tagesinzidenz sagt aus, wie viele Menschen in einer Region innerhalb von sieben Tagen neu erkrankt beziehungsweise als infiziert getestet sind, bezogen auf jeweils 100 000 Einwohner. So können verschiedene Gebiete miteinander verglichen werden. Dieser Wert bewegte sich am Dienstag in den Land- und Stadtkreisen Baden-Württembergs in einer Spanne zwischen 2,8 im Neckar-Odenwald-Kreis und 35,7 in Heilbronn. Im Rems-Murr-Kreis liegt er mit 15,2 im Augenblick über dem Landesdurchschnitt von 13,3.

Wie groß ist die Verunsicherung durch Corona-Gerüchte?

Mit der wachsenden Sorge, dass Reiserückkehrer eine zweite Welle bei den Corona-Infektionen auslösen könnten, schießen auch Halbwahrheiten über die lokale Verbreitung des Erregers ins Kraut. Fest machen lässt sich das beispielsweise an einem Gerücht, das gerade durch die Stadt Fellbach geistert, die neben Waiblingen zurzeit am stärksten von Neuinfektionen betroffen ist. Dies hängt offenbar mit der Urlaubsreise von Abiturienten aus dem Rems-Murr-Kreis auf die kroatische Partyinsel Novalja zusammen. Und tatsächlich hatten sich drei Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Fellbach unter südlicher Sonne mit dem Coronavirus angesteckt.

Erzählt wird nun aber, einer der drei Abiturienten habe von der Polizei aus dem Freizeitbad F3 geholt werden müssen, weil er gegen die ihm auferlegte Quarantäne vorsätzlich verstoßen habe. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Meldung unter Verschluss bleiben kann. Es wären extreme Risiken einer weiteren Verbreitung mit einem derartigen Verhalten verbunden“, heißt es in der E-Mail eines Lesers an unsere Redaktion. Nach Auskunft der Stadtverwaltung Fellbach allerdings gab es keinen derartigen Polizeieinsatz, auch der Sachverhalt selbst wird auf Nachfrage nicht bestätigt.

Nicht nur ein Gerücht, sondern belegbar ist hingegen die Tatsache, dass die telefonische Information des Ordnungsamts über ihren positiven Corona-Test eine junge Fellbacherin jüngst im Freibad ereilt hat. Die Polizei war dabei freilich nicht im Spiel. Und ob es sich bei dem Freibad tatsächlich um das F3 gehandelt hat, ließ sich ebenfalls nicht verifizieren.

Wie schätzt der Landrat die Lage ein?

Gehe man von den aktuellen Krankheitsverläufen und den jetzigen Kennzahlen aus, sei man unter den gegebenen Umständen noch im grünen Bereich. Doch der Landrat Richard Sigel mahnt, in den Bemühungen, die Ausbreitung der Pandemie zu verhindern, jetzt nicht nachzulassen. Jeder Einzelne müsse dazu seinen persönlichen Beitrag leisten.

Welche Entwicklung ist nach den Schulferien zu erwarten?

„Corona-Fälle in unseren Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sind nach den Sommerferien nicht nur wahrscheinlich, sondern werden mit Sicherheit auftreten“, sagt der Landrat. Das zeigten auch die Erfahrungen in anderen Bundesländern. Zudem folge demnächst die kältere Jahreszeit und die alljährliche „reguläre“ Grippewelle. „Dadurch kann die Situation auch leicht kippen“, warnt Sigel, fügt allerdings auch hinzu: „Wir wissen jetzt aber wesentlich besser über Corona Bescheid und was wir tun können, um einer Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken als im Frühjahr.“

Wie bereitet sich der Kreis auf eine mögliche zweite Welle vor?

Auch wenn sie derzeit nicht gebraucht werden, halten die Kliniken zusätzliche Beatmungskapazitäten vor. Außerdem wird in Winnenden eine standortübergreifende Infektionsstation geschaffen, die es erlaubt, die Behandlung komplett von der übrigen Gesundheitsversorgung zu trennen. Auch strategisch sieht das Landratsamt den Kreis gut vorbereitet. „Wir haben uns auf den Schulstart eingestellt, und die Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden, dem Staatlichen Schulamt und der Ärzteschaft funktioniert vertrauensvoll und verlässlich“, versichert Sigel. So seien Handlungshilfen und Prozesse für verschiedene Fallkonstruktionen aufgearbeitet und aktualisiert worden. Sollten die Zahlen in den gelben Bereich der Corona-Ampel steigen, werde umgehend ein interkommunaler Krisenstab zusammentreten. Weitere einschränkende Maßnahmen wolle man nach Möglichkeit vermeiden. Aber damit das möglich ist, komme es auf jeden Einzelnen an. Richard Sigel: „Jeder und jede sollte verantwortungsvoll handeln. Nur so können wir Infektionsketten schnell unterbrechen und die Ausbreitung des Virus weiterhin eindämmen.“