In der Kriegsbergstraße können sich Schwerstabhängige unter Aufsicht synthetisches Heroin spritzen. Foto: dpa

Die Stuttgarter Diamorphinpraxis, wo Schwerstabhängige synthetisches Heroin bekommen, ist ein voller Erfolg. Ein Problem aber ist dabei: Suchtpartienten aus umliegenden Kreisen bekommend die psychosoziale Betreuung von diesen nicht finanziert.

Stuttgart - Die vor gut zwei Jahren eröffnete Diamorphinpraxis hat sich weit besser entwickelt als angenommen. Aus den anfangs erwarteten 40 bis 50 Drogenabhängigen, die dort synthetisches Heroin bekommen, sind 80 geworden. Probleme gibt es allerdings mit der Finanzierung der psychosozialen Betreuung für 29 dieser Schwerstabhängigen, die aus umliegenden Landkreisen zur Drogensubstitution nach Stuttgart kommen. Die Kreisverwaltungen wollen die Kosten nicht tragen, sie hielten das Angebot selbst vor.

Eine großer Erfolg und eine „Katastrophe“

Die Zufriedenheit über die Diamorphinpraxis ist allenthalben groß. „Da haben wir einen Glücksgriff getan“, sagte Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) am Montag im Sozialausschuss. Er korrigierte damit seine ablehnende Haltung, die er zu dem Projekt eingenommen hatte, als er noch Krankenhausbürgermeister war. Die Einrichtung sei in der Republik „bis heute einmalig“, erklärte der Suchtmediziner Andreas Zsolnai, der die Praxis betreibt. Es ist nicht nur die Kooperation von Land, Stadt und Kassenärztlicher Vereinigung, die besonders ist. Auch die Kombination von Suchtmedizin, hausärztlicher Betreuung, Pflege und Psychotherapie zusammen mit der Suchtberatungsstelle Release, die durch den Ausbau weiterer Räume in dem Gebäude an der Kriegsbergstraße nun auch Angebote zur Arbeitsintegration macht.

Eine „Katastrophe“ nennt Zsolnai deshalb, dass man den Suchtpatienten aus umliegenden Landkreisen – unter anderem Esslingen, Ludwigsburg, Rems-Murr, Böblingen und Calw – einen Teil des integrierten Angebots seit Jahresbeginn vorenthalten müsse. Denn: „Die Betroffenen kommen in den Beratungsstellen der Kreise nicht an“, ist die Erfahrung des Suchtmediziners. Besonders in diesem Fall, da die Substituierten am Anfang dreimal, dann oft noch zweimal täglich in der Praxis an der Kriegsbergstraße erscheinen müssen.

Es geht um 1500 Euro pro Kopf und Jahr

Weil auch die psychosoziale Betreuung in der Einrichtung so speziell ist, kommen elf der 80 mit synthetischem Heroin Substituierten in den Genuss einer „Zurückstellung einer Strafvollstreckung“, von diesen stammen vier aus dem Umland. „Wenn wir die nicht betreuen, kommen die wieder in den Knast. Das ist nicht akzeptabel“, klagt Ulrich Binder, der Leiter von Release.

Ein Gespräche mit den Landkreisen habe stattgefunden, für Freitag ist ein weiteres terminiert. Auch Sozialbürgermeister Werner Wölfle kann die Haltung der Kreisverwaltungen nicht nachvollziehen. „Es geht um die überschaubare Summe von 1500 Euro pro Person und Jahr“, erklärte er. Nur die Stadt und der Landkreis Heilbronn hätten sich bereit erklärt, die Kosten für die Substituierten aus ihrem Gebiet zu tragen. Die Ratsfraktionen waren sich einig, dass man nicht als Ausfallbürge herhalten werde. „Wir appellieren an die Kreise, ihrer Verantwortung gerecht zu werden“, erklärte Stadtrat Jochen Stopper (Grüne).

Substitutionsärzte sind überaltert

Die Praxis von Andreas Zsolnai ist mit 80 Suchtkranken, die Diamorphin erhalten, und 240 Personen, die an den Standorten Senefelder Straße und Kriegsbergstraße den Ersatzstoff Methadon bekommen, die größte Substitutionspraxis in Stuttgart. Insgesamt haben 100 Ärzte die Berechtigung dazu, aber nur zwölf tun dies auch. Von den acht Praxen sind fünf Schwerpunktpraxen. Die rund 900 Substitutionsplätze in Stuttgart sind seit Jahren belegt. Auch für die ausgelastete Diamorphinabgabe stehen 20 Abhängige auf der Warteliste. In den nächsten Jahren könnte es auch in Stuttgart Probleme bei der Versorgung von Heroinabhängigen kommen, weil sich viele der substituierenden Ärzte dem Rentenalter nähern. Ein Problem sei, sagt Andreas Zsolnai, dass die Arbeit der Suchtmediziner von den Kassen generell zu gering honoriert werde. Und die Ärzte liefen bei ihrem Tun immer Gefahr, sich strafbar zu machen. Zsolnai plädiert deshalb dafür, dass synthetisches Heroin künftig vermehrt für die orale Einnahme an Substituierte abgegeben wird, wie dies in der Schweiz geschehe. So können dort auch Hausärzte diese Aufgabe übernehmen. Denn der Suchtmediziner ist überzeugt: „Die Opiatabhängigen werden nicht aussterben.“