Das Martinsspiel verbindet – in der Rolle des Heiligen und des Bettlers haben sich in fast 30 Jahren auch schon muslimische Kinder wiedergefunden. Foto: avanti/Ralf Poller

Das Teilen und Almosengeben ist im islamischen Glauben tief verwurzelt. Deshalb beteiligen sich in Großbottwar viele Muslime am Martinsspiel. Was treibt die Schüler an?

Die Wolken am blauen Himmel verfärben sich rosa. Glockengeläut lädt an diesem Freitagabend um 18  Uhr in Großbottwar zum Gang in die katholische Sankt-Pius-Kirche ein. Freilich ist es nicht irgendein Freitag, sondern der Martinstag am 11. November. Für die Förderschule an der Linde bedeutet das seit fast 30  Jahren: Die ganze Schule macht mit, wenn das Martinsspiel in der Kirche aufgeführt wird und wenn der Laternenzug quer durch die ganze Stadt zum Schulgebäude führt.

Selbstverständlich ist das Ereignis nicht. An vielen Orten, auch im Landkreis Ludwigsburg, gibt es keine Martinsspiele mehr. Die Gründe sind vielschichtig, haben sicherlich auch mit der Krise der katholischen Kirche und fehlenden Aktiven zu tun. So bleibt es bei Laternenumzügen, an denen das Vorbild des Heiligen nur latent durchscheint. Auch mehren sich Stimmen, die fordern, an Kindergärten und Schulen aus Rücksicht auf atheistische und andersgläubige Familien auf den Brauch des Martinsspiels zu verzichten. Auf der anderen Seite steht das Vorbild des Heiligen: Teilen und Almosengeben, das ganz allgemein jeden Menschen betrifft und auch im muslimischen Glauben ganz zentrale Werte berührt.

Von dieser Diskussion ist am Freitag in der Grobottwarer Kirche wenig zu spüren. Alle Sitzreihen sind dicht gefüllt. Hinten, im Eingang, begnügen sich die Besucher mit Stehplätzen. Es sind vor allem Eltern, die ihre Kinder im Chorraum beim Singen und beim Martinsspiel sehen möchten. Viele von ihnen zücken ihr Smartphone, als es losgeht und die Fünft- und Sechstklässler der Schule von „Lichterkindern“ singen, die wie Sankt Martin Freude in die Welt bringen. Dabei schwenken sie unter choreografischer Anleitung der Musiklehrerin Lichter. Warmer Applaus belohnt sie für ihre Darbietung.

Muslimische Schüler halten die Wand für die Kulisse des Martinsspiels

Freilich sind die jungen Schülerinnen und Schüler nicht die einzigen, die sich an dem Abend miteinbringen. Unter den Helfern sind auch Ältere wie der 15-Jährige Fardin. Der junge Muslim hält mit seinen Freunden das Tor, ein Konstrukt aus Kartenständern und Plakatwänden. „Ich mache gerne beim Martinsspiel mit“, sagt der Schüler nach der Aufführung, dabei spiele es keine Rolle, ob es ein katholischer Brauch sei. Auch in seiner Religion, dem Islam, seien das Teilen und Almosengeben wichtig.

Neben dem Jungen steht seine Religionslehrerin Karin Fetzer. Sie unterrichtet an der Schule offiziell evangelische Religion, lädt aber alle 49  Schüler zur Teilnahme ein, auch die 13  muslimischen. „Ich möchte keinen Einheitsbrei und bespreche auch die Unterschiede der Religionen“, sagt sie. Am Glauben der muslimischen Schüler schätze sie vor allem die Ehrfurcht und die Ernsthaftigkeit. Dass sie beim Martinsspiel ganz selbstverständlich mitmachten, freue sie.

Katholische Gemeindereferentin: „Teilen tut allen gut“

Aber zurück zum Gottesdienst. „Würdet ihr euren Mantel durchschneiden? Dann gäbe es daheim bestimmt großen Ärger“, sagt Irmgard Schmitt, die als Gemeindereferentin wie ein Priester im liturgischen Gewand den Gottesdienst leitet. Historisch bewandert erzählt sie, dass Martins Soldatenmantel „ein großes Stück Stoff“ gewesen sei, das als Zelt, Schlafsack und Regenschutz diente. Er habe einen Teil entbehren können, weil er danach auch selbst nicht frieren musste. „Das Teilen ist etwas, das allen guttut“, stellt Schmitt klar. Die Menschen sollten aufeinander achten, dass jeder in der Gesellschaft gut leben könne. Nach dem Gottesdienst erinnert sich Irmgard Schmitt im Gespräch an die Diskussionen im Jahr 1994, als die Schule beschloss, beim Martinsspiel auch die muslimischen Familien zu beteiligen. Natürlich habe man sich gefragt, ob die gemeinsame Feier in einer Kirche interreligiös funktioniere, doch letztlich habe das Miteinander und das Gemeinsame an der Botschaft im Martinsspiel gezählt. Deshalb habe sie damals auch einen reinen Laternenlauf abgelehnt und sich für die Aufführung eingesetzt. Pius Angstenberger, der Pfarrer der Kirchengemeinde bestätigt: „Alle Schüler, auch die muslimischen, sind mit Begeisterung dabei.“ Ein Gefühl für den Jahreskreis zu bekommen, das halte er für wichtig, aber nicht nur in die eine, sondern auch in die andere Richtung. „In meiner Aalener Zeit haben wir uns auch immer für die Feste der Muslime und deren Hintergründe interessiert und sie teilweise mitgefeiert.“

Das Martinsspiel wird auch in Altenpflegeheimen aufgeführt

Viel Lob für die beteiligten Schüler und Lehrer hält die Schulleiterin Tanja Notter bereit, als sie im Gottesdienst moderiert. „Es spielt keine Rolle, aus welchem Land der Einzelne kommt oder welcher Religion er angehört: Die Geschichte von Sankt Martin und die Botschaft vom Teilen verbindet alle.“ Angesprochen auf Problemfälle erzählt sie, dass in den fast 30 Jahren nur einmal eine Mutter ihr Kind vom Martinsspiel abgemeldet habe, weil es in einer Kirche stattfand. Man führe das Martinsspiel auch in Pflegeheimen auf, dort sei man sehr dankbar.

Keine Bedenken hegt auch die Islamische Ditib-Gemeinde für das Bottwartal. Deren Sprecher Ayhan Öztürk betont auf Anfrage: „Gemeinsamkeiten beim anderen zu entdecken, ist wichtig für das friedliche Zusammenleben.“ Im Kindergarten oder in der Grundschule hätten muslimische Kinder immer auch an Weihnachtskrippenspielen teilgenommen.

Evangelischer Rentner hält Vermittlung in jungen Jahren für wichtig

Am Martinsabend in Großbottwar zieht Jung und Alt quer durch die Stadt. Feuerwehr und Polizei sichern den abendlichen Umzug mit Martin und dem Bettler an der Spitze ab. Unter den Spaziergängern ist auch der Rentner Peter Thum mit seinen Enkelinnen Elisa und Laura. „Ich selbst bin evangelisch und habe keine Probleme mit dem Martinsspiel.“ Im Gegenteil, er halte es für überaus wichtig, schon in jungen Jahren das Teilen und das Spenden zu lernen.

Wird Sankt Martin im Kindergarten gefeiert?

Auftrag
 Der Orientierungsplan für Kindertagesstätten in Baden-Württemberg sieht vor, die Vielfalt der unterschiedlichen Traditionen im Alltag mit den Kindern zu gestalten, teilt die Stadt Ludwigsburg mit. Das sei ein pädagogischer Auftrag und heißt auch, unterschiedliche religiöse Feste sollten gestaltet werden. Die Haltung der Fachkräfte in einem Kindergarten sollte von Offenheit geprägt sein.

Sankt Martin
 Das Team der Fachkräfte in einer Kita entscheide eigenständig, welche Feste und Feiern im Jahreskreis begangen werden, informiert die Ludwigsburger Stadtverwaltung im Weiteren. In den städtischen Kindertageseinrichtungen der Stadt Ludwigsburg werde die Tradition von Sankt Martin vereinzelt umgesetzt. Dort habe es in den vergangenen Jahren keine Veränderung gegeben. In den Kindertageseinrichtungen der katholischen Kirche in Ludwigsburg feiern laut Stadtverwaltung alle Kindergärten Sankt Martin.