Ideen gesucht: Ministerpräsident Winfried Kretschmann, SWR-Landessenderdirektorin Stefanie Schneider, Sprachwissenschaftler Werner König und Moderator Jan Sellner (v.r.) Foto: Lichtgut/Jan Reich

Die Landesregierung erwägt staatliche Maßnahmen zur Förderung der Mundart, will es aber zunächst bei Appellen belassen.

Stuttgart - Es näselt und zischt gewaltig an diesem Freitag im Stuttgarter Neuen Schloss. I han, du hosch, mir hen – das Schwäbische Idiom wabert in der Luft. Aber nicht nur. Die Landesregierung hat keineswegs nur Schwaben eingeladen zur großen Dialekttagung, sondern auch Vertreter des alemannischen und fränkischen Sprachraums. Wissenschaftler sind gekommen, Hermann Bausinger etwa und Werner Mezger, aber auch Künstler, Lehrer und Politiker. Denn Ministerpräsident Winfried Kretschmann will wissen, wie es steht um die heimischen Mundarten.

 

Die werden, das nimmt schon der Titel der Tagung vorweg, fast nur noch im persönlichen Umfeld gesprochen: „Daheim schwätzen die Leut’“. Die regionalen sprachlichen Ausdrucksformen sind also am Verschwinden, und das ist für den Grünen-Politiker so schlimm wie das biologische Artensterben. „Die Frage ist, ob man den Dialekt überhaupt fördern kann“, sagt der bekennende Schwäbisch-Sprecher Kretschmann vor 200 Teilnehmern. Im Grunde hält er es aber für eine staatliche Pflicht, die sprachliche Vielfalt zu schützen.

Wider den „Hannoverismus“

Dass es den Trend zur Vereinheitlichung gibt, dass im öffentlichen Raum der Druck zur Standardsprache norddeutschen Ursprungs zunimmt, legt der Tübinger Sprachwissenschaftler Hubert Klausmann mit Nachdruck dar. Wenn Rundfunksprecher „Ratt-Tour“ statt Radtour sagten, wenn selbst Schulbücher regional gebräuchliche Wörter wie „Semmel“ als unkorrekt brandmarkten, sei das „Hannoverismus“. Mehr aufklären, empfiehlt der Forscher und rät, regionalsprachliche Wendungen einfach öfter zu benutzen. Und ein Gesetz zu erlassen, „wonach es verboten ist, ein Kind wegen seiner gesprochenen Muttersprache zu tadeln“. So wie in Norwegen.

Das käme einer Schweizerin wie Helen Christen nie in den Sinn. Die Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Dialektologie des Deutschen schildert vielmehr, wie der Dialekt in ihrem Land geradezu erwartet wird – sei es in der Politik, sei es im Fernsehen. Es gebe auch keine Einheits-Mundart, sondern regionale Färbungen – allerdings auch die deutsche Hochsprache für alles, was geschrieben steht.

Und was machen die Migranten?

Dass der Dialekt in der multi-ethnischen Schweiz bisweilen zu Konflikten führt, verschweigt Christen nicht. Wie wirkt er zum Beispiel auf Migrantenkinder? Dazu gebe es zwei Meinungen, sagt die Professorin: Die einen glauben, dass er ihnen bei der Integration hilft, die anderen, dass er in der Schule eher hindert.

Solch gegensätzliche Stimmen sind auch an den sieben Thementischen zu vernehmen, wo man den Dialekt auf seine Wechselwirkung mit Schule, Medien oder Kunst abklopft. Da berichten einmal Lehrer von der positiven Wirkung bei der Eingliederung von Migranten. „Im Lehrerzimmer gibt es aber sehr viel Unverständnis für Dialektsprecher“, klagen andere.

Hubert Wicker, der Präsident der Führungsakademie des Landes und Gründer des Fördervereins Schwäbischer Dialekt, stellt die Kernfrage: „Wie kriegen wir es hin, dass nicht nur die Schwäbisch schwätzen, die nicht aufs Gymnasium gehen?“ Die Rektorin einer Pädagogischen Hochschule schlägt vor, die Lehrerausbildung entsprechend auszurichten. Prompt melden sich Skeptiker und warnen, dass Kinder bei zu viel Mundart nicht mehr richtig schreiben lernten: „Die schreiben dann Mo statt Mann.“ Die Sprache im Schulunterricht basiere nun mal auf der Schriftsprache.

Klage über Erosion der Standardsprache

Überhaupt sei die „Erosion der Standardsprache“ ein viel größeres Problem als das Verschwinden des Dialekts, meint Klaus Teichmann vom Staatlichen Seminar für Didaktik und Lehrerbildung. In der von Jan Sellner, dem Lokalchef unserer Zeitung, moderierten Podiumsdiskussion sagt der Pädagoge: „Viele Absolventen können kein korrektes Deutsch mehr.“

Doch mit dieser Haltung steht er ziemlich allein. Mehrsprachigkeit unter Einbeziehung des heimatlichen Dialekts sei doch etwas Gutes, wirbt der Rottweiler Liedermacher Pius Jauch und verweist auf Tirol oder die Schweiz. Und der Augsburger Sprachwissenschaftler Werner König meint, es sei sehr schwer, die tief sitzenden Vorurteile gegen Dialektsprecher auszuräumen. Da müsse man schon bei den Hochschulen beginnen.

Die Landessenderdirektorin Stefanie Schneider sieht sich mit der Erwartung konfrontiert, dass der SWR mehr Sprachfärbung wagt. Doch sie wehrt ab und verweist auf die heterogenen Sende- und Sprachräume bis weit hinein in die Pfalz. Kretschmann, der die Tagung angeregt hatte und den ganzen Nachmittag über dabei ist, lässt das nicht gelten. Es gebe doch immer Sendungen, die nicht allen gefielen.

Eine zweite Tagung folgt

„Nicht diskriminieren und wertschätzen“, das sind die beiden Schlüsse, die er vorerst zieht. Appelle sozusagen, mehr sprachliche Pluralität zu wagen. Ob der Staat letztlich Maßnahmen zur Förderung des Dialekts ergreift, will er aber erst in einem Jahr entscheiden, wenn eine zweite Tagung stattgefunden hat. Einstweilen will er mit gutem Beispiel vorangehen und kräftig Schwäbisch schwätze.