Altersarmut trifft häufig Frauen, die nur eine kleine Rente beziehen. Foto: dpa

Seit Jahren wächst die Zahl der Menschen, denen die Rente nicht zum Leben reicht. Frauen seien von dieser Entwicklung noch stärker betroffen, warnt die evangelische Diakonie Württemberg. Oberkirchenrat Dieter Kaufmann fordert die Politik auf, mehr gegen das zunehmende Problem zutun.

Stuttgart - Die Berufsbiografie von Sofia S. kann sich eigentlich sehen lassen. 1967 hat sie eine Ausbildung zur Industriekauffrau gemacht, danach hat die heute 65-Jährige mit wenigen Unterbrechungen immer gearbeitet. Nur nach der Geburt ihrer Tochter hat sie eine dreijährige Familienphase eingelegt. Und Mitte der 90er Jahre hat Sofia S. zwei Jahre lang ihre Mutter gepflegt. Danach aber fand sie nur noch eine prekäre, schlecht bezahlte Beschäftigung bei einer Zeitarbeitsfirma. Zu allem Überfluss hat die Frau aus Heilbronn vor zwei Jahren einen Unfall erlitten, seither leidet sie an einer schmerzhaften Gehbehinderung.

Zur Arbeit geht die Rentnerin, die seit Mai eigentlich im Ruhestand ist, trotzdem noch, einmal in der Woche. „Wenn ich mir’s leisten könnte, würde ich lieber zu  Hause bleiben“, sagt Sofia S. Nur geht das einfach nicht bei einer monatlichen Rente von 845 Euro auf der einen und einer Warmmiete von 500 Euro auf der anderen Seite. Kino und Theater, wo die Kulturinteressierte früher gerne hingegangen ist, kommen in ihrem Leben nicht mehr vor. Ihre beiden Enkelkinder kann sie nur sehr spärlich beschenken.

Armutsrisiko bei Älteren starkt gestiegen

Für Dieter Kaufmann ist Sophia S. ein Beispiel für die wachsende Zahl älterer Menschen, die unter Altersarmut leiden. Dabei seien dies meist Personen, „die ihr Leben damit verbracht haben, für sich und andere zu arbeiten, die Kinder erzogen, sich immer wieder für ihre Familien eingesetzt haben“. Was den Oberkirchenrat beunruhigt: „Die Armutsrisikoquote der Älteren hat in den vergangenen Jahren so schnell zugenommen wie in keiner anderen Altersgruppe.“ So sei die Zahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter in den Jahren 2005 bis 2015 bundesweit um stattliche 56 Prozent gestiegen, sagt Kaufmann.

Diese Entwicklung lässt sich in ähnlicher Form auch mit Zahlen aus Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart belegen. Laut dem Statistischen Landesamt haben im Jahr 2007 genau 38 395 Personen über 65 Jahre Grundsicherung im Alter erhalten, 2014 waren es schon 49 792, das entspricht einer Steigerung um 29,6 Prozent. Nimmt man das Jahr 2005 als Ausgangswert, wo wegen der neu eingeführten Hartz-IV-Reform die Datenlage nicht so sicher ist, kommt man bei 33 464 Beziehern sogar auf ein Plus bis 2014 von 48,7 Prozent.

Viele schämen sich ihrer Lage

In der Landeshauptstadt zeigt der Sozialdatenatlas seit Längerem den gleichen Trend. Im Jahr 2004 erhielten 2787 Einwohner ab 65 und älter Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt, das waren 2,7 Prozent in dieser Altersgruppe. Bis 2009 stiegen diese Zahlen in Stuttgart auf 3942 beziehungsweise 3,6 Prozent, Ende 2013 waren es dann 4536 oder 4,2 Prozent.

Und diese Zahlen sind tatsächlich wohl noch höher. Aus einem einfachen Grund: „Viele unter den Älteren schämen sich, auf Grundsicherung angewiesen zu sein“, sagt Bernd Eggen, der beim Statistischen Landesamt für sozialwissenschaftliche Analysen und Familienforschung zuständig ist.

Frauen am meisten betroffen

Was in der Statistik überdies auffällt: Frauen sind stärker von Altersarmut betroffen als Männer. Das lässt sich an der Armutsgefährdungsquote ablesen, die erfasst, wie groß der Anteil der Personen ist, deren Bezüge geringer als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens sind. Die Quote lag im Land 2015 bei 15,3 Prozent, bei den Männern jedoch nur bei 14,3, bei den Frauen aber bei 16,3 Prozent. Bei den Senioren über 65 lag der Gesamtwert sogar bei 17,5 Prozent. Klaus Kittler, Referent für Arbeitslosenhilfe bei der Diakonie Württemberg, stellt denn auch fest: „Die zentrale Problemgruppe bei der Altersarmut sind die Frauen.“ Gerade in den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg sei der Frauenanteil unter den von Altersarmut Betroffenen besonders hoch, sagt Bernd Eggen.

Ingrid Riedl, die Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Kirchheim/Teck, weiß davon zu berichten. „Der Anteil der alten Menschen in unseren Diensten hat zugenommen“, sagt sie. Nicht selten kämen alte Leute mit einem Rezept vom Arzt, das sie wegen der Zuzahlung nicht einlösen könnten. Noch ausgeprägter sei dies bei Zahnarztrechnungen mit hohem Eigenanteil, den viele Senioren nicht tragen könnten. „Altersarmut wird an der Gesundheitsfürsorge sichtbar“, sagt Ingrid Riedl.

Diakonie Württemberg will aufklären

Alle diese Erfahrungen sind der Grund dafür, dass die evangelische Diakonie Württemberg in diesem Jahr ihre am Sonntag beginnende Woche der Diakonie unter das Motto gestellt hat: „Geht’s noch? – Diakonie gegen Armut“. Dieter Kaufmann sieht die Politik in der Pflicht, mehr gegen die Eindämmung von Altersarmut zu tun. Es könne nicht sein, „dass die Absenkung des Rentenniveaus so weitergeht“, erklärt Kaufmann. Es müsse auch mehr gegen prekäre Beschäftigung unternommen werden, fordert der Oberkirchenrat. „Armut im Alter ist meist die Fortsetzung einer Armutsbiografie.“ Und die öffentliche Hand müsse Langzeitarbeitslosigkeit stärker bekämpfen. Für die Betroffenen müssten wie früher wieder Rentenbeiträge gezahlt werden, die gesetzliche Rente zudem auf Selbstständige und Beamte ausgedehnt werden. „Die Arbeitslosen von heute, vor allem die mehrfach und lange erwerbslos sind, das sind die armen Alten von morgen“, sagt Dieter Kaufmann.