„Sonderwelten“ der Behindertenhilfe wie sie bis vor Kurzem noch auf der Hangweide in Stetten existiert hatten, gelten nicht mehr als zeitgemäß. Foto: Gottfried Stoppel

Die Diakonie Stetten will Menschen mit Handicap ein Leben mitten in der Gesellschaft ermöglichen. Doch geeignete Wohnungen sind Mangelware. In Schorndorf erhält das Sozialunternehmen bei der Suche Unterstützung von der Stadt.

Manchmal ist sogar ein erfahrener Inklusionsbegleiter wie Hans Zirkelbach überrascht, wie gut Inklusion funktionieren kann. Der Schorndorfer Wohnverbundleiter der Diakonie Stetten berichtet von zwei Personen mit nicht unerheblichen kognitiven Einschränkungen, die – beide heute um die 60 Jahre alt – über Jahrzehnte zufrieden auf der Hangweide gelebt hätten. Weil das noch in den 1960er Jahren als modellhaft geltende, speziell für Menschen mit Handicap ausgelegte Dörfchen am Kernener Ortsrand mit mehreren Wohnhäusern und eigener Infrastruktur aufgelöst worden ist, hat man die zwei Senioren nicht nur „verpflanzen“, sie haben noch einmal etwas ganz Neues wagen müssen. Die beiden sind in eine von der Diakonie Stetten ambulant betreute Wohngemeinschaft nach Stuttgart gezogen – und dort laut Zirkelbach regelrecht aufgeblüht. So, wie man es kaum erwartet hätte.

Kleine Wohneinheiten statt zentrale Heime

Schon seit mehreren Jahren ist die Diakonie Stetten dabei, dem letztlich Mitte der 2000er Jahre durch die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung eingeläuteten epochalen Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe Rechnung zu tragen. Statt die Betreuung in großen, zentralen Heimen zu konzentrieren, soll seither auch Menschen mit Handicap in vielen kleinen Wohneinheiten mitten in den Gemeinwesen ein möglichst selbstständig gestalteter Alltag ermöglicht werden.

Rund 200 Plätze im sogenannten ambulanten Wohnen habe man bisher bereits geschaffen, sagt der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Stetten, Rainer Hinzen. Doch insbesondere für Menschen mit einem höheren Unterstützungsbedarf wird noch dringend kleingliedriger Wohnraum gesucht.

In Schorndorf erhält das Sozialunternehmen dabei jetzt kommunale Unterstützung. Die Stadt hat Ende vergangenen Jahres in einem Aktionsplan 100 Handlungsanweisungen und Aufträge festgehalten, durch die zusammen mit 13 Kooperationspartnern inklusive Projekte oder Angebote gefestigt beziehungsweise neue nachhaltige Strukturen für Teilhabe geschaffen werden sollen. Und: „Wir wollen die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und auf die Belange und den Bedarf aufmerksam machen“, sagt Christian Bergmann, der Fachbereichsleiter für Familien und Soziales.

Ein Bedarf seitens der Diakonie Stetten ist aktuell, zwei Wohnungen für jeweils drei Personen mit Handicap zu finden, bestenfalls eine Vier- und eine Fünf-Zimmer-Wohnung in einem Gebäude. Weil die Stadt selbst über keine geeignete Immobilie verfüge, appelliere man nun an private Haus- und Wohnungseigentümer, sich diesem Thema zu öffnen, so der Schorndorfer Oberbürgermeister Bernd Hornikel.

Der OB verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass sich die Vermieter dabei in der Diakonie Stetten auf einen kompetenten Dienstleister verlassen könnten, der im Zweifelsfall nicht nur als Zwischenmieter auftrete, sondern ein komplettes Care-Paket anbieten könne. Natürlich suche man die Bewohner auch so aus, dass sie möglichst gut in die Nachbarschaft passen, sagt Hans Zirkelbach. Und man sei bemüht, das Umfeld schon vor dem Einzug mit einzubeziehen.

Viel schwieriger aber ist gerade in diesen Zeiten, überhaupt eine geeignete Wohnung zu finden. Wohnraum an sich ist schon knapp und da Menschen mit einer geistigen Behinderung in der Regel auf Grundsicherung angewiesen seien, könnten sie sich hohe Mietpreise nicht leisten, so Rainer Hinzen. Weil Altbauten meist nicht barrierefrei gestaltet seien, kämen oft nur neuere Objekte infrage. Und die Realisierung von Um- oder Neubauten gestalte sich schwierig, weil sich unterschiedliche Förderprogramme von Bund und Land zum Teil gegenseitig ausschlössen.

Man wolle gemeinsam mit anderen Einrichtungen der Behindertenhilfe in einer konzertierten Aktion noch einmal dezidiert auf die Probleme aufmerksam machen, sagt Rainer Hinzen. Denn die Diakonie Stetten stehe mit ihnen nicht alleine da. Hinzen schätzt dass zur Integration von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft allein in Baden-Württemberg noch mindestens 5000 Wohnungen benötigt werden.

Hinzen: Behinderte Menschen nicht vergessen!

Weil der soziale Wohnungsbau in den vergangenen Jahren sehr vernachlässigt worden sei, bestehe jetzt ein enormer Nachholbedarf. „Doch dabei sollte man bitte behinderte Menschen nicht vergessen!“, fordert der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Stetten. Eigentlich sollte deren Bedarf seiner Ansicht nach bei jeder Quartiersplanung gleich automatisch mit berücksichtigt werden.