Auf dem Monitor verschafft sich Chefarzt Farzam Vazifehdan einen Eindruck von der Wirbelsäule seines Patienten Foto: Diakonie-Klinikum

Das Leben von Farzam Vazifehdan klingt wie einem Hollywoodfilm entsprungen. Mit 16 Jahren kam er allein aus dem Iran nach Deutschland. Er kämpfte gegen die Behörden und für eine gute Ausbildung. Heute ist er Chefarzt der Wirbelsäulen-Abteilung im Diakonie-Klinikum Stuttgart.

Das Leben von Farzam Vazifehdan klingt wie einem Hollywoodfilm entsprungen. Mit 16 Jahren kam er allein aus dem Iran nach Deutschland. Er kämpfte gegen die Behörden und für eine gute Ausbildung. Heute ist er Chefarzt der Wirbelsäulen-Abteilung im Diakonie-Klinikum Stuttgart.

Stuttgart - Es ist kühl im Operationssaal der Wirbelsäulenchirurgie im Diakonie-Klinikum. Dennoch steht Farzam Vazifehdan der Schweiß auf der Stirn. Der Chefarzt für Wirbelsäulenchirurgie hat an diesem Vormittag bereits zwei Operationen hinter sich gebracht. Die Bandscheibenvorfälle erforderten von ihm Präzisionsarbeit und ein feines Gespür. „Bei Operationen geht man auch nach Gefühl, nicht nur nach den Monitoren“, erklärt er.

Doch bei der dritten Operation des Tages – der operativen Versteifung der Wirbelsäule eines älteren Patienten – ist nicht nur seine ganze Konzentration, sondern auch körperliche Kraft erforderlich. Seine dunklen Augen blicken finster über den Rand des mit feinen Blutspritzern gesprenkelten Mundschutzes. Seine Anweisungen sind kurz: „Hammer.“ oder „Wischen Sie noch mal“. Seine Mitarbeiter reagieren sofort auf die Anweisungen und reichen ihm das gewünschte Instrument oder wischen ihm den Schweiß von der Stirn. Mit ganzer Kraft stemmt sich der Chirurg gegen den OP-Tisch und versucht, mit seinen Instrumenten durch das verhärtete Narbengewebe des Patienten zu dringen.

Plötzlich hält er inne: „Was ist denn jetzt schon wieder los?“ Die Musik, die von seinem Smartphone kommt, hat ausgesetzt. Ein Assistent kümmert sich darum, und schon ertönt „Count on Me“ (Zähl auf mich) von Bruno Mars. Vazifehdan arbeitet weiter. Der Liedtext passt gut. Schließlich zählt auch der Patient in diesem Moment auf Vazifehdan. „Die Wirbelsäule liegt im Zentrum des Körpers“, erläutert der 47-Jährige. „Der Weg dorthin ist schwierig.“ Ein Satz, der auch seinen Werdegang vom Flüchtling zum Chefarzt beschreibt.

Denn Vazifehdan kam mit 16 Jahren aus dem Iran nach Deutschland. Seine Eltern wollten ihn im Jahr 1984 zu seinem älteren Bruder schicken, der in Kanada studierte. Sie fürchteten zu dieser Zeit wegen des ersten Golfkrieges um die Sicherheit ihrer Söhne. In Hamburg angekommen, bekam Vazifehdan jedoch kein Visum für Kanada. „Ich bin in Deutschland hängen geblieben“, sagt er heute.

Sein Vater, der ihn anfangs begleitete, musste zurück nach Maschhad im Iran. Vazifehdan blieb auf sich allein gestellt in Hamburg zurück. Als er merkte, dass der Aufenthalt länger als geplant dauern würde, lernte er die deutsche Sprache. Außerdem ging er zum Schulamt, wo man ihn in die Hauptschule schicken wollte. „Ich habe daraufhin gefragt, wann ich mein Abitur machen und studieren kann.“ Ein anderer Abschluss kam für den guten Schüler nicht infrage. „Im Schulamt sagte man mir aber, dass Ausländer in Deutschland nicht studieren, sondern zur Hauptschule gehen und danach arbeiten“, erinnert sich Vazifehdan.

Der Ärger über diese Einstellung ist ihm heute noch anzumerken. Um das Schulamt zu umgehen, bewarb er sich bei einer Privatschule. Diese war zwar teuer, doch Vazifehdan konnte sofort anfangen. Obwohl er die Sprache gerade erst gelernt hatte, war er ein guter Schüler. „Ich musste mich bemühen, weil die Situation für mich ausweglos war“, sagt er. Über Kontakte bekam er schließlich ein Gespräch bei einem Rektor eines staatlichen Gymnasiums in Mainz, der ihm eine Chance gab.

Kurz vor dem Abitur – als Vazifehdan sein Visum verlängern wollte – folgte der nächste Schlag: „Ich erfuhr, dass ich überhaupt nicht in Deutschland hätte zur Schule gehen dürfen.“ Er nahm sich einen Anwalt und erreichte so eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung – unter der Bedingung, sich bei der Schule abzumelden. Doch Vazifehdan ließ sich das nicht gefallen. Er gab die Bescheinigung der Abmeldung beim Amt ab, bekam die Verlängerung – und ging einfach zurück zur Schule. „Mit Abitur wurde dann alles viel einfacher.“

Der steinige Weg, der hinter ihm liegt, hat Vazifehdan geprägt. Er ist ein Kämpfertyp. Egal ob es darum geht, die beste Ausrüstung für seinen OP-Saal zu bekommen, oder ob er die Beschwerden seiner Patienten bekämpft. „Man muss das Risiko lieben“, sagt er über seinen Beruf. Denn jede Operation sei anders, auch der kleinste Routine-Eingriff könne sich als kniffliger Fall herausstellen.

Bei seiner Begeisterung für seine Arbeit verwundert es, dass er „niemals Medizin studieren“ wollte. Nach der Schule begann er erst einmal ein Mathematikstudium, doch: „Das war mir bald zu öde.“ Deshalb wechselte er doch zur Medizin. Allerdings zunächst mit mäßigem Erfolg, wie er freimütig zugibt. „Ich habe das Physikum gerade mal so geschafft, und beim ersten Staatsexamen bin ich durchgefallen.“ Aber dann kam ihm zugute, dass er schnell kombinieren kann und ein fotografisches Gedächtnis besitzt.

Heute kann er entspannt im Sessel seines Sprechzimmers im Diakonie-Klinikum sitzen und über sein Leben reden. Die Operation ist gut verlaufen, doch sie war anstrengend. Eine Patientin, die als Notfall in die Klinik eingeliefert wird, überlässt Vazifehdan lieber einem Kollegen. Seine Begründung ist simpel: „Wer zu viele Operationen am Stück macht, wird blöd.“ Die OP-Kleidung hat er gegen ein blaues Hemd getauscht, die Füße stecken in lässigen Segelschuhen. Während ihm früher wegen seiner Herkunft Steine in die Weg gelegt wurden, hat er deswegen heute kaum noch Probleme. „Den Patienten ist es egal, dass ich Ausländer bin, solange ich ihnen helfe.“ Sein beruflicher Weg führt ihn hin und wieder zurück in den Iran, wo er schwierige Operationen leitet oder unterrichtet. Er selbst fühlt sich seiner früheren Heimat immer noch zugehörig. Doch verwurzelt ist er längst in dem Land, das es ihm anfangs so schwer machte: „Meine Heimat ist inzwischen Botnang.“