Übergewichtige schwangere Frauen entwickeln schneller einen Typ-2-Diabetes: Die Schwangerschaftsdiabetes. Foto: dpa

Viele Mütter sind geschockt, wenn sie in der Schwangerschaft auf einmal zuckerkrank werden. Doch mit der richtigen Ernährung kann das Risiko von Frühgeburten und Fehlbildungen beim Kind gesenkt werden.

Kiel/Tübingen - Die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes ist für viele werdende Mütter ein Schock. Dabei verschwindet die Erkrankung, die von heute auf morgen kommt, genauso schnell wieder. „Viele Frauen fühlen sich dennoch schuldig und haben Angst um ihr Kind“, sagt Helmut Kleinwechter, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie in Kiel. Um ihnen die Sorgen zu nehmen, werden die Schwangeren sofort psychologisch betreut. Auch an der Frauenklinik Tübingen erhalten die Mütter sofort Hilfe. Der Gynäkologe Harald Abele erzählt, dass viele Mütter zuerst erschrocken seien, aber im Rahmen einer umfassenden Beratung auch schnell sehr motiviert, etwas zu ändern. „In der Regel klappt die Behandlung dann auch sehr gut“, sagt er.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Frauen, die an einem Schwangerschaftsdiabetes erkranken, stark angestiegen. 2013 wurde die Krankheit bei vier Prozent aller Schwangeren diagnostiziert, dreimal so häufig wie noch vor zehn Jahren. Das berichtet das Apothekenmagazin „Diabetes-Ratgeber“. Abele erklärt den Anstieg der Fallzahlen unter anderem mit dem nun in der Schwangerenvorsorge flächendeckend verankerten Screeningtest, der seit 2012 bei allen Schwangeren zwischen der 24. und der 28. Schwangerschaftswoche gemacht wird.

Bei diesem Test trinken die Schwangeren einen Glukosetrunk – Glukose ist auch als Traubenzucker bekannt. Eine Stunde später wird der Blutzuckerwert dann gemessen. Wenn der Blutzuckergehalt über 140 Milligramm pro Deziliter liegt, besteht ein Verdacht auf eine Gestationsdiabetes. Daraufhin wird weiter getestet.

Helmut Kleinwechter sieht den Anstieg der Erkrankungen noch in zwei weiteren Fakten begründet: „Viele Frauen sind über 30 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekommen, und viele sind übergewichtig.“ Ab einem Body-Mass-Index von 25 sprechen Experten von Übergewicht. „Das Alter und Übergewicht sind die Hauptrisikofaktoren“, sagt der Diabetologe.

Meist merken die Schwangeren nichts von ihrer Erkrankung, denn die Symptome, die von der Zuckerkrankheit bekannt sind, wie starker Durst und häufiges Wasserlassen, treten bei der Gestationsdiabetes nicht auf. Aus diesem Grund wird die Erkrankung noch häufig übersehen.

Hormone lassen den Blutzuckerspiegel ansteigen

Die Störung des Zuckerstoffwechsels tritt auf, weil der Körper in der Schwangerschaft bestimmte Hormone produziert. Diese Hormone lassen den Blutzuckerspiegel ansteigen. Das in der Bauchspeicheldrüse produzierte Insulin reicht aber nicht mehr aus, um den Blutzuckerspiegel auf einem gesunden Niveau zu halten. Der Spiegel steigt weiter an, vor allem nach den Mahlzeiten, wo es zu sogenannten Zuckerspitzen kommt. „Im Körper herrscht ein Überangebot an Zucker, da dieser in nicht ausreichender Menge in die Zellen transportiert werden kann. Alle Zellmembranen verzuckern“, sagt Gynäkologe Abele.

Durch den vermehrten Zuckerfluss über die Nabelschnur von der Mutter zum Kind kann es zu einem verstärkten Wachstumsschub des Fötus kommen. Dabei wachsen Bauch, Brustkorb und die Schulterregion besonders stark. „Die Kinder von erkrankten Müttern können bei einem schlecht eingestellten Gestationsdiabetes mit einem Geburtsgewicht von über 4500 Gramm auf die Welt kommen.“ Es ergibt sich ein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen beim Kind oder für eine Frühgeburt.

Das hohe Gewicht und das übermäßige Wachstum des Körperstamms machen in den meisten Fällen eine Geburt auf natürlichem Weg unmöglich. Hinzu kommt, dass die werdenden Mütter auch an erhöhtem Blutdruck leiden. Deswegen entbinden die Mütter per Kaiserschnitt.

Nach der Geburt ist es wichtig, dass die Kinder speziell betreut werden. „Die Neugeborenen trinken schlechter, sind nach der Geburt apathisch und unterzuckert“, sagt der Kieler Diabetologe Kleinwechter. Doch entgegen allen Annahmen leiden die Kinder nicht an Diabetes. „Das ist eine der größten Sorgen der Mütter“, sagt er.

Das Risiko des frühzeitigen Todes ist um ein Drittel höher

Allerdings hat eine schottische Studie ergeben, dass der Stoffwechsel der Kinder durch das veränderte Milieu im Fruchtwasser so programmiert ist, dass die Kinder ein höheres Risiko haben, später übergewichtig zu werden – und in der Folge auch an Diabetes Typ 2 zu erkranken. „Das Risiko eines frühzeitigen Todes ist etwa um 35 Prozent erhöht“, sagt Rebecca Reynolds, Professorin für Metabolische Medizin an der Universität Edinburgh.

Und auch die Mutter hat ein erhöhtes Risiko, zuckerkrank zu werden. „Acht bis zehn Jahre nach der Geburt entwickeln 50 Prozent der Frauen einen Diabetes Typ 2“, sagt Kleinwechter. Bei diesem Diabetes-Typ sind Übergewicht, falsche Ernährung und zu wenig Bewegung die Hauptursachen. Die Körperzellen können das produzierte Hormon Insulin nicht aufnehmen. Dadurch steigt der Blutzuckerspiegel stark an.

Mit den drei Bausteinen Ernährung, Gewichtsreduktion und Bewegung wird auch der Schwangerschaftsdiabetes behandelt. „Oft kann der Diabetes in der Schwangerschaft durch eine gezielte Ernährung eingestellt werden, so dass die betroffenen Schwangeren gar kein Insulin spritzen müssen“, sagt der Tübinger Mediziner Abele.

Nach der Diagnose erhalten die Frauen eine umfassende Beratung und Schulung, was sie bei ihrer Ernährung beachten müssen. „Viele wissen nicht, dass sie jetzt Fruchtsäfte meiden müssen, weil die Säfte den Blutzuckerspiegel enorm hochtreiben“, sagt er. Die Nahrung sollte aus fettarmen und ballaststoffreichen Lebensmitteln bestehen. Und trotz der Krankheit dürfe man auch mal einen Hamburger essen. Bei einem Großteil der Patienten führt eine solche Umstellung zu normalen Blutzuckerwerten bis zur Geburt. Und mit der Geburt des Kindes verschwindet der Diabetes dann auch so plötzlich, wie er gekommen ist.