Betreut in der kommenden Saison zwei Teams: Dagur Sigurdsson Foto:  

Dagur Sigurdsson ist der neue Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft, gleichzeitig coacht er noch die Füchse Berlin. Wie er die Doppel-Belastung meistert, erklärt er im StN-Interview.

Dagur Sigurdsson ist der neue Trainer der deutschen Handball-Nationalmannschaft, gleichzeitig coacht er noch die Füchse Berlin. Wie er die Doppel-Belastung meistert, erklärt er im StN-Interview.

Hallo Herr Sigurdsson, wir freuen uns, den für die Medien perfekten Bundestrainer sprechen zu können.
Ich weiß nicht, ob ich das bin. Wie kommen Sie darauf?
Sie haben einmal erwähnt, Sie seien für Journalisten Tag und Nacht zu erreichen.
Das stimmt, und ich habe auch gesagt, dass ich gar nicht die Zeit habe zu lesen, was dann über mich geschrieben wird.
Jetzt sind Sie auch noch der „doppelte Dagur“.
Und ich bin dennoch weiter für Interviews zu erreichen. Das gehört zu diesem Beruf dazu.
Wie bekommen Sie alles auf die Reihe?
Ich habe eine verständnisvolle Frau, sie macht das seit 20 Jahren mit. Wenn sie nicht jammert, braucht niemand zu jammern.
Reicht das für das Bewältigen dieser Mammutaufgabe?
Das ist schon mal eine wichtige Voraussetzung (lacht). Aber ganz im Ernst: Es ist zum einen ein Vorteil für mich, dass ich diese Doppelbelastung aus meiner Zeit als Nationaltrainer Österreichs sehr gut kenne. Zum anderen habe ich in Berlin ein top organisiertes Umfeld. Die Wege zu Bob Hanning (Anm. d. Red.: Geschäftsführer der Füchse Berlin und DHB-Vizepräsident) sind kurz. Er kennt mich bestens, er weiß, wie ich arbeite.
Und er lässt Sie am Saisonende bei den Füchsen ziehen.
Das hat nicht er, sondern der Verein so entschieden. Aber es ist ein großer Vorteil, dass die Doppelbelastung nur für eine begrenzte Zeit ist. Sonst wäre das Ganze wirklich an der Grenze zum Wahnsinn, wie mein Trainerkollege Alfred Gislason gesagt hat.
Ljubomir Vranjes wollte bis 2017 in Doppelfunktion Trainer in Flensburg bleiben – und wurde nur deshalb nicht vom DHB auserwählt.
Das weiß ich nicht. Darüber mache ich mir keinen Kopf. Ich habe den Job bekommen, und darüber bin ich sehr stolz.
Haben Sie jetzt Ihren Traumjob?
Nein, es ist nicht mein Traumjob, weil ich nicht davon geträumt habe, diesen Job zu bekommen. Genauso wenig, wie ich davon geträumt habe, drei Jahre in Japan zu spielen. Oder mit 30 Jahren Spielertrainer in Bregenz zu werden. Es kommt, wie es kommt. Aber völlig klar ist, dass man solch ein Angebot nicht jeden Tag bekommt und ich es auch sehr gerne angenommen habe.
Hat Ihnen DHB-Sportmanager Heiner Brand schon gratuliert?
Ich habe viele Gratulationen bekommen.
Heiner Brand hat sich einen deutschen Bundestrainer gewünscht.
Ich verstehe die Diskussionen. Das wäre in Island nicht anders. Aber für mich ist wichtig, wie sehr mich die Kollegen aus der Bundesliga unterstützen, was sie ganz hervorragend tun. Und letztendlich ist doch nur eines entscheidend: der Erfolg.
Wie wollen Sie den herbeiführen?
Das möchte ich nicht in einem Interview ausführen, sondern zuerst intern kommunizieren – mit der Mannschaft beim ersten Lehrgang im September.
Was Sie gleich bei ihrer Vorstellung betonten, ist, dass häufiger gewonnen werden muss.
Das klingt ziemlich platt. Aber darauf kommt es an, und ich habe es erwähnt, weil Deutschland in der jüngeren Vergangenheit keine 50 Prozent der Spiele gewonnen hat.
Kann man Gewinnen lernen?
Ja, man kann Gewinnen lernen. Vom ersten Lehrgang an will ich jedes Trainingsspiel, jede Freundschaftspartie gewinnen. Diese Mentalität muss jeder Spieler verinnerlichen. Der Sieg ist immer das Wichtigste – egal in welcher Sportart.
Sie kennen sich in vielen Sportarten aus?
Mein Vater ist eine Fußballlegende in Island. Ich selbst war U-17-Nationalspieler und bin eher aus Zufall beim Handball gelandet, als ich einen Sommer lang wegen einer Verletzung mit dem Fußball aussetzen musste.
Sie fungierten auch schon als Geschäftsführer beim Großverein Valur Reykjavík.
Ja, zu 80 Prozent habe ich die Geschäfte geführt, zu 20 Prozent habe ich mich um den Sport gekümmert, um Fußball, Handball und Basketball.
Profitieren Sie davon, stets über den Tellerrand hinausgeschaut zu haben?
Ich habe diese Dinge nicht gemacht, um ein besserer Trainer zu werden. Ich bin einfach ein Typ, der offen ist für neue Sachen.
Sie führten zwei Jahre lang eine Kneipe.
Ich bin jetzt noch Inhaber eines kleinen Hotels in Reykjavík. Ich fahre auch gerne Motorrad, interessiere mich für Kunst und Musik, sammle Platten, greife bei einer guten Party gerne selbst zur Gitarre. Das alles bringt ein bisschen Ablenkung zum Beruf.
Sie sagten einmal, Ihre Frau habe schon viele verrückte Sachen mitgemacht. Zum Beispiel?
Das gehört nicht in die Öffentlichkeit (schmunzelt). Aber sie war eben auch bereit, gemeinsam mit den kleinen Kindern und mir nach Japan zu gehen.
Kommen wir zu Ihrem Partner am Spielfeldrand. Wer wird Ihr Co-Trainer?
Das weiß ich noch nicht. Wir haben beim Deutschen Handballbund im Nachwuchsbereich viele gute Männer an Bord.
U-20-Nationaltrainer Markus Baur hat bereits abgelehnt, er wäre gerne Chefcoach geworden.
Das müssen Sie ihn fragen.
Das Anforderungsprofil sieht einen jungen deutschen Trainer an Ihrer Seite vor?
Ob jung oder alt ist mir egal.
Rolf Brack steht bei der Schweiz unter Vertrag.
Ja. Ich habe die Spiele gegen seine Mannschaften immer sehr genossen. Und er ist am 20. September im Länderspiel in Göppingen ja auch mein erster Gegner mit der deutschen Nationalmannschaft.
Dieses Spiel soll der erste Schritt zur Verwirklichung der Vision Olympia-Gold 2020 werden.
Als ich bei den Füchsen angefangen habe, klang auch vieles utopisch. Schon drei Jahre später standen wir im Final Four der Champions League, 2014 haben wir den deutschen Pokal gewonnen. Ich trage diese Vision des DHB mit. Mein Ziel aber ist ein erfolgreicher erster Lehrgang im September.
Spielt der Göppinger Michael „Mimi“ Kraus in Ihren Überlegungen eine Rolle?
Ich möchte mich nicht zu einzelnen Spielern äußern. Nur so viel: Ich will Führungsspieler mit Charakter nominieren und um sie herum junge Spieler einbauen.
An diesem Dienstag geht es mit den Füchsen in Stuttgart um den Supercup – welchen Stellenwert hat die Partie?
Grundsätzlich stellt sich die Frage: Ist es das erste Pflichtspiel oder das letzte Vorbereitungsspiel vor dem Bundesliga-Auftakt am kommenden Samstag bei Frisch Auf Göppingen? Wir haben leider Verletzungsprobleme, wollen aber schon volle Pulle gehen.
Und nicht wie beim 23:37 am letzten Spieltag der vergangenen Bundesliga-Saison gegen den THW untergehen?
Damals waren wir platt. Auch jetzt ist es eine unangenehme Aufgabe, weil sich Kiel super verstärkt hat. Aber wir haben Geschmack daran gefunden, einen Pokal zu holen.
Beim THW ist Alfred Gislason Vater des Erfolgs. Gudmundur Gudmundsson führte die Rhein-Neckar Löwen zur Vize-Meisterschaft. Haben die Isländer Handball im Blut?
Schwer zu sagen. Es gibt tatsächlich viele gute isländische Trainer. Irgendwie passen wir zu dieser Sportart. Wir können es gut mit den Skandinaviern, gut mit den Deutschen. Wir sind einfach ganz normale Leute.
Jetzt haben Sie nur noch das Problem, dass Sie noch nie gefeuert worden sind . . .
. . . (lacht). Stimmt. In Island sagt man, dass man erst ein guter Trainer ist, wenn man mal entlassen worden ist, weil man aus dieser Erfahrung am meisten lernt. Ich bin aber sehr optimistisch, dass ich mit der deutschen Nationalmannschaft auch so Erfolg haben werde. Ich gehe es positiv an und glaube an mich.