DFL-Chef Christian Seifert Foto: dpa

Liga-Chef Seifert lobt die VfB-Führungscrew richtet Blick auf die Zukunft des Profifußballs.

Stuttgart - Es lief schlecht in der vergangenen Saison, Teile der Fans sind unzufrieden, verlangen mehr Mitspracherechte und strukturelle Veränderungen. Der DFL-Chef wagt den etwas anderen Blick auf die Lage der Dinge.

Guten Tag, Herr Seifert. Haben Sie den VfB Stuttgart zurzeit auf dem Radar?
Natürlich, ich stamme aus Rastatt, Stuttgart ist ja sozusagen fast meine alte Nachbarschaft. Ich lese natürlich auch, was über den VfB berichtet wird.

Teile der Fans proben den Aufstand gegen die aktuelle Führungsriege.
Ich habe davon gehört und mich gewundert. Wenn der VfB Stuttgart ein strukturelles Problem haben sollte, dann gab es das auch schon in den sportlich erfolgreichen Jahren - als er in der Champions League oder in der Europa-Liga spielte.

Was wollen Sie damit sagen? 
Der VfB wurde mit denselben Strukturen und Clubverantwortlichen 2007 deutscher Meister. Es ist natürlich immer richtig, sich zu hinterfragen. Aber glaubwürdiger werden solche Aktionen, wenn man sie in erfolgreichen Zeiten angeht.

Wie beurteilen Sie den Stellenwert des VfB Stuttgart innerhalbder Liga? 
In meinen Augen ist der VfB ein absoluter Vorzeigeclub, sowohl in Deutschland als auch in Europa. Der Verein hat regelmäßig auf der europäischen Bühne gespielt. Er hat parallel dazu in hohem Maße Transfererlöse über den Verkauf von Spielern erzielt, was für eine funktionierende Struktur im Nachwuchsbereich spricht. Und er war in der Lage, eine erhebliche Zukunftsinvestition in ein Stadion zu tätigen, das künftig zu den Vorzeigestadien der Liga zählen wird.

Dann haben die VfB-Häuptlinge alles richtig gemacht?
Niemand macht alles richtig. Aber ein Club mit suboptimalen Strukturen hätte auf keinen Fall so eine Leistungsbilanz.

Der VfB wäre fast abgestiegen.
Ja, aber er hat den Stresstest, über den man in Stuttgart zurzeit ja gern spricht, gleich in mehrfacher Hinsicht bestanden. Der VfB musste eine gewisse Zeit lang zweigleisig planen. Er musste die Lizenz für die zweite Liga beantragen und hätte sie ohne Auflagen bekommen. Das bedeutet: Das finanzielle Gerüst des Vereins ist sehr gut, und er verfügt im Sponsoring über Partner, die mit ihm durch dieses Tal gegangen wären. Das wiederum spricht auch für das Führungspersonal und für die Gremien beim VfB.

Dann muss alles beim Alten bleiben?
Nein, natürlich nicht. Es spricht nichts dagegen, eine Struktur zu optimieren, um sie zukunftsfähig zu machen oder neuen Gegebenheiten anzupassen. . .

. . . aber?
Man muss aufpassen, dass Teile der Vereinsmitglieder im gut gemeinten Verlangen nach Veränderung nicht vor lauter Versprechungen über die Zukunft vergessen, was man schon hat.

Das müssen Sie bitte näher erklären.
Ich höre aus Stuttgart von Anträgen zur Satzungsänderung, wonach die Unterstützung von zwei Prozent der Mitglieder reichen soll, um als Präsident zu kandidieren. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, was dann passieren könnte. Ein Blick nach Italien reicht.

Der Schwabe als solcher schätzt das Chaos nicht besonders.
(Lacht) Der Badener auch nicht. Aber im Ernst: Es gäbe in diesem Fall ein erhebliches Missbrauchspotenzial. Das zuständige Gremium muss über die Qualifikation und Zulassung eines Kandidaten frei entscheiden können. Wenn aber die aktuell Verantwortlichen im Club, die alle persönlich in der Haftung stehen, nachweisen müssen, dass dieser Kandidat dem Verein unmittelbar schaden würde, dann ist das eine sehr seltsame Konstellation. Wie soll das gehen?

Deshalb gibt es eine Vereinssatzung, die solchen Missbrauch verhindern soll.
Diese Satzung ist die Leitplanke auf dem Weg, der in die Zukunft führt. Man muss bei geplanten Veränderungen schon sehr genau nach allen Seiten abwägen, welche Folgen das haben kann.

VfB-Ehrenpräsident Gerhard Mayer-Vorfelder kritisiert, dass die Aufsichtsräte in den Vereinen zu mächtig geworden sind.
Ich schätze ihn ja sehr, er war Kultusminister in Baden-Württemberg, als ich das Abitur gemacht habe. Aber wenn Gerhard Mayer-Vorfelder davon redet, dass irgendjemand zu mächtig ist . . . da muss derjenige schon sehr, sehr mächtig sein (lacht).

Mancher Fan würde VfB-Aufsichtsratschef Dieter Hundt als passendes Beispiel nennen.
Man wird ja nicht in den Aufsichtsrat hineingeboren, sondern gewählt. Insofern ist in der jetzigen Satzung das Mitgestaltungsrecht der Mitglieder auf die Geschicke des Vereins verankert. Diese Strukturen müssen aber auch der zunehmenden Professionalisierung des Vereins und der damit verbundenen Verantwortung gerecht werden. Noch einmal: Wenn man Veränderungen will, muss das in allen seinen Konsequenzen bedacht werden.

"Wir sind inzwischen in über 200 Ländern präsent"

Das gilt natürlich auch für die DFL. Die offensive Vermarktung der Übertragungsrechte im Internet könnte das Ende der guten alten ARD-"Sportschau" bedeuten.
Die "Sportschau" und Sky haben in der vergangenen Saison Rekordquoten verzeichnet. Die Clubs haben jedoch den Anspruch, dass ihre Medienrechte optimal vermarktet werden. Die Frage ist nicht, ob die "Sportschau" fällt oder nicht. Die Frage ist, ob ein Szenario mit einer Fernseh-Berichterstattung der Bundesliga-Highlights ab 18.30 Uhr für den Markt attraktiver ist als ein Szenario, in dem jeder zu jedem Zeitpunkt im Internet oder auf mobilen Endgeräten anschauen kann, was er möchte. Bis 2017 kommen etliche Hybrid-Fernseher auf den Markt. Dann kann man Spielberichte aus dem Internet auch direkt auf dem Fernseher anschauen. Das könnte ein zukunftweisendes Modell sein. Aber keiner der infrage kommenden Bieter für die Rechte ist ein Wohltätigkeits-Unternehmen. Am Markt wird sich nur durchsetzen, was der Kunde auch will.

Wo steht die Bundesliga im internationalen Vergleich, sportlich und wirtschaftlich?
Es gibt einheitliche Maßstäbe, nach denen unabhängige Unternehmen die Ligen vergleichen. Was den Umsatz angeht, steht die Bundesliga europaweit auf Rang zwei - hinter der englischen Premier League. Wenn man die Transfererlöse nicht mit einrechnet, ist sie sogar die profitabelste Liga.

Das werden die Schulden-Könige auf Schalke erfreut zur Kenntnis nehmen.
Wenn ich mir vor Augen halte, dass den FC Barcelona Schulden in einer Höhe von mutmaßlich 400 bis 700 Millionen Euro drücken, wenn ich weiß, dass das Verhältnis von Spielergehältern zu Umsatz bei Manchester City bei 107 Prozent liegt, dann haben wir in der Bundesliga diesbezüglich kein großes Problem. Alles, was die 300-Millionen-Schulden-Marke nicht überschreitet, gilt im internationalen Vergleich ja fast schon als wenig . . .

. . . und dennoch ein existenzielles Problem.
Deshalb wurde ja das Lizenzierungsverfahren weiter verschärft und darüber hinaus eine Kommission eingesetzt, die sich mit einer weiteren Optimierung des Lizenzierungsverfahrens beschäftigt. Generell gilt aber, dass man Schulden unterscheiden muss. Es ist ein Unterschied, ob ich Schulden mache, weil ich ein Haus gebaut habe oder weil ich zwei Ferraris fahre und mir vier Freundinnen leiste. Es gibt gute und schlechte Verbindlichkeiten.

Die Kosten steigen, die Einnahmemöglichkeiten der Clubs sind fast erschöpft. Wo sehen Sie noch Vermarktungs-Möglichkeiten?
Zunächst einmal: Kein Fernsehvertrag dieser Welt wird dazu führen, dass wir mit Mäzenen aus Russland, Katar oder Abu Dhabi konkurrieren können, wie das bei einigen englischen oder spanischen Clubs der Fall ist. In der Bundesliga stammen die Einnahmen in etwa zu 30 Prozent aus dem Sponsoring, zu 30 Prozent aus den Medien und zu 20 Prozent aus dem Ticketing. Das wird international inzwischen als sehr positiv angesehen, weil keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen.

Woher soll das Geld dann kommen?
Die Bundesliga-Stadien sind zu 94 Prozent ausgelastet, wir haben sozial verträgliche Ticketpreise. Und so soll es bleiben. Die Werbeflächen sind fast alle ausverkauft. Bleiben also die Medienrechte. Aber auch in diesem Bereich sind die Zeiten der großen Einnahmensprünge vorbei, das zeigt auch der Blick ins Ausland.

Die Vermarktung der Auslandsrechte wurde regelrecht verschlafen.
Das war in der Vergangenheit sicher eine große verpasste Chance des deutschen Fußballs. Ende der 90er Jahre, als die Pay-TV-Modelle aufkamen und sich die Medienmärkte weiterentwickelten, war der deutsche Fußball das Maß der Dinge in Europa.

Die Liga hat aber nichts daraus gemacht.
Wir arbeiten daran. Wir sind inzwischen in über 200 Ländern präsent. 2005 erlösten wir zwölf Millionen Euro im Ausland, da lag die Premier League schon bei 150 Millionen Euro. Dann haben wir uns in der ersten Rechteperiode auf 18 Millionen Euro gesteigert, in der kommenden Saison werden wir erstmals über 50 Millionen Euro erlösen. Wir werden aber noch einige Jahre brauchen, um den Rückstand auf andere Ligen aufzuholen. Der wunderbare Auftritt der Nationalmannschaft in Südafrika war da im Übrigen sehr hilfreich.

Und wo steht die Liga in sportlicher Hinsicht?
Die Fünfjahreswertung der Europäischen Fußball-Union führt die Bundesliga erstmals wieder unter den Top Drei, wir haben die italienische Serie A verdrängt. Weshalb von der Saison 2012/13 an drei feste Starter in der Champions League und einer in der Qualifikation feststehen. Sportlich, wirtschaftlich und im Hinblick auf das Publikumsinteresse stehen wir also ganz gut da.

Zuletzt machten Hass- und Gewaltausbrüche der Fans Schlagzeilen.
In der vergangenen Saison strömten 17 Millionen Fans in die Stadien der Bundesliga und der zweiten Liga. In Relation dazu passiert relativ wenig. Wir nehmen das aber sehr ernst. Wir haben einen wissenschaftlichen Beirat eingerichtet, um mehr über dieses gesellschaftliche Phänomen zu erfahren. Eine gewisse soziale Perspektivlosigkeit scheint eine Rolle zu spielen. Es gibt da kein Allheilmittel. Und es helfen schon gar nicht irgendwelche oberflächlichen Pressemitteilungen aus der Politik, die dokumentieren sollen, dass man sich auf diese oder jene Forderung geeinigt hat. Wir brauchen die Zusammenarbeit aller Beteiligten.