Nationalspieler Toni Kroos ist sauer über das Auftreten einiger Kollegen. Foto: AFP

Weltmeister Toni Kroos attackiert seine Mitspieler nach dem letzten Test der Nationalelf vor der Kadernominierung für die WM scharf. Bundestrainer Joachim Löw dagegen beruhigt nach dem 0:1 gegen Brasilien die Fans.

Berlin - Als der Abend schon spät war und die letzten Kamerateams ihre Stative abgebaut hatten, stand Toni Kroos noch immer im langen Gang im Untergeschoss des Berliner Olympiastadions. „Toni, wir müssen los“, rief ihm der Sicherheitschef der Nationalelf zu. Der Bus wartete – und normalerweise sind Fußballprofis ja froh, wenn sie die Interviews nach einem Spiel schnellstmöglich über die Bühne bringen. Ab in den Bus, und nix wie weg, das ist dann die Devise.

Doch dieses Mal war alles anders.

Toni Kroos wollte noch nicht los, er hatte noch nicht genug, auch bei den ausländischen Kollegen wollte er seine knackigen Botschaften noch platzieren. Der kleine Cut über Kroos’ linkem Auge passte dabei wunderbar ins Bild. Denn der Weltmeister war nach dem 0:1 gegen Brasilien, dem letzten Länderspiel vor der Kadernominierung für die WM am 15. Mai, im Kampfmodus. Das aber nicht mehr gegen den Gegner. Sondern gegen die eigenen Mitspieler.

Toni Kroos hatte einiges zu sagen, und er ließ mächtig Dampf ab. „Einige von uns hatten die Chance, sich zu zeigen, aber das haben sie nicht getan“, polterte Kroos also, und dann reihte er seine Kritikpunkte aneinander. Kurz, präzise und schneidend. Wie seine Pässe auf dem Platz. „Wir haben die Bälle nicht festgemacht und zu einfach und widerstandslos verloren.“ Und weiter: „Für mich gibt es keine zweite Reihe, jeder hat die Möglichkeit, sich für die erste Elf anzubieten. Aber es war einfach zu wenig.“

Kroos‘ Fazit des letzten WM-Tests: „Ich habe von allen mehr erwartet. Wenn man in so einem Spiel die Möglichkeit bekommt, kann man eine andere Körpersprache erwarten.“ Abschließend forderte der Mittelfeldmann von Real Madrid, dass man an vielen Dinge arbeiten müsse: „An der Robustheit, daran, die Bälle nicht so einfach zu verlieren durch technische Fehler.“

Wo also steht diese deutsche Elf knapp zweieinhalb Monate vor der WM in Russland – war gegen Brasilien wirklich alles so schlimm, wie es Kroos weißmachen wollte? Und geben die jüngsten Auftritte in den vergangenen Testspielen im November gegen England (0:0) und Frankreich (2:2) sowie jetzt gegen Spanien (1:1) und gegen die Brasilianer wirklich großen Anlass zur Sorge mit Blick auf die WM?

Fakt ist: Das Spiel gegen die Spanier war stark, auch wenn der Innenverteidiger Jérome Boateng hinterher den Obermahner gab und ähnlich wie Toni Kroos jetzt munter darauf los polterte. Und gegen Brasilien? Ja mei, durchwachsen war der Auftritt einer Elf, die sicher so nicht mehr zusammenspielen wird, da Joachim Löw etliche Stammkräfte schonte.

Zweieinhalb Monate bleiben bis zur WM

Viel passiert ist also nicht, weshalb die Kritik von Kroos etwas überzogen scheint. In einer Sache aber trafen die Aussagen einen wunden, da unerwarteten Punkt. Die Spieler aus der zweiten Reihe wie zum Beispiel der Außenstürmer Leroy Sané haben ihre Chance nicht genutzt, damit hat im deutsche Lager so niemand gerechnet. Dass der Motor beim Fehlen einiger Stammkräfte mal stottert, okay, – aber dass er phasenweise komplett ausgeht, das war dann so nicht zu erwarten. Das könnte mit Blick auf die WM noch zum Problem werden – falls der zweite Anzug dann noch immer nicht sitzt.

Bis dahin bleiben aber noch zweieinhalb Monate Zeit – inklusive des zweieinhalbwöchigen Trainingslagers Ende Mai/Anfang Juni in Südtirol. Die vergangenen Turniere haben gezeigt, dass es der Bundestrainer in der Regel schafft, seine Jungs in der heißen Phase der Vorbereitung in Form zu bringen. Rund um die Testspiele im Winter oder im Frühjahr lässt sich kaum ernsthaft trainieren – wenn Löw aber kurz vor Turnierbeginn die Zeit dazu hatte, waren seine Teams meist auf den Punkt da.

Großer Anlass zur Panik ist nun also eher weniger angebracht, und so äußerten sich nach der Niederlage gegen Brasilien auch alle Beteiligten – mit Ausnahme von Kroos. Das 0:1 habe keine große Aussagekraft, sagte stellvertretend dafür der Mittelfeldmann Gündogan und ergänzte: „Wir haben immer wieder durchrotiert, und es waren nur Testspiele. Wenn es dann um was geht, wird es ganz anders.“

Zum Schluss betrat Joachim Löw dann am späten Dienstagabend das Pressepodium und gab seine Regierungserklärung ab. Er wandte sich quasi direkt an die deutschen Fans – und beruhigte sie: „Sie können sich sicher sein, wir werden uns steigern“, sagte Löw , ehe er mal wieder den gelassenen, in sich ruhenden Weltmeistertrainer gab, dem so eine olle Testspielniederlage Ende März schon mal gar nichts mehr anhaben kann. „Mir bereitet kaum etwas große Sorgen“, sagte Löw also: „Weil ich weiß, dass die Mannschaft zu etwas ganz anderem fähig ist. Ich weiß, was wir können und welche Mentalität wir haben.“