Richard Freitag am Boden – im wahrsten Sinne des Wortes. Foto: dpa

Was für ein Pech! Der deutsche Skispringer Richard Freitag stürzt im ersten Durchgang von Innsbruck und hat nun keine Chance mehr auf den erhofften Gesamtsieg.

Innsbruck - Plötzlich lag Richard Freitag an der Bande. Um ihn herum befanden sich zwei Ersthelfer, einer von ihnen stellte neben dem Skispringer seinen roten Sanitätskoffer ab. Es dauerte eine Minute bis der Deutsche aufstand und in Richtung Ausgang stapfte. Der Blick in sein Gesicht verhieß nichts Gutes. Später verschwand der Sportler mit einem Physiotherapeuten in einem hellen Container. War dies das Ende für Freitag bei dieser Tournee?

Was für ein sportliches Drama! Bereits im ersten Durchgang des dritten Tournee-Springens in Innsbruck platzten sämtliche Träume vom Gesamtsieg. Das große Duell zwischen Richard Freitag und dem Polen Kamil Stoch wurde erwartet – doch dann zeigte das noch viel größere Pech seine hässliche Fratze. Wie viel kann ein Mensch in solchen Momenten ertragen? Was ging Freitag durch den Kopf? Und was war überhaupt passiert?

Der DSV-Adler legte einen 130-Meter-Satz hin – wie übrigens auch Stoch. Bei der Landung überkreuzten sich hinten seine Ski, der Sachse stürzte, wobei sein rechtes Bein fies nach außen gerissen wurde. Keine 20 Minuten später kam die Nachricht, er würde nicht mehr springen, die Schmerzen waren zu groß. Damit machte der Herausforderer Freitag sozusagen Stoch, der in Innsbruck gut eine Stunde später auch das dritte Springen gewann, den Weg frei für seinen zweiten Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. Für diesen zweiten Erfolg nacheinander muss Stoch am Samstag in Bischofshofen nur noch den Knopf ran machen.

Ärger über die Bedingungen

Die deutsche Mannschaft war indes erschüttert – so ein unfassbares Pech. Es fühlte sich an, als wäre für alle Beteiligten die bisher so glänzend verlaufene Tournee abrupt beendet worden. Dabei gibt es ja noch ein Springen. „Schade, dass so ein großartiger Sportler wie Richard nicht belohnt wird“, sagte der Bundestrainer Werner Schuster und war fassungslos. Und er ärgerte sich darüber, dass der Technische Delegierte, Geir Steinar Löng, so sehr auf Weiten gesetzt hatte. Denn der Norweger bestimmt, von welcher Luke aus gestartet wird. „Das war definitiv zu viel Anlauf. Bei diesen Bedingungen darf man nie und nimmer von so weit oben springen lassen“, schimpfte Schuster.

Horst Hüttel ist der Skisprung-Sportdirektor des Deutschen Skiverbandes (DSV) – und auch er machte in dem Technischen Delegierten (TD) den Hauptschuldigen aus. „Es war der selbe TD wie in Hinterzarten“, sagte Hüttel im Rückblick auf das Frauenspringen, bei dem die deutsche Athletin Svenja Würth schwer stürzte – und die Saison daraufhin vorzeitig beenden musste. Es kam in den Gedanken der deutschen Delegation spürbar das Gefühl auf, als habe der Norweger Löng nun auch Freitag auf dem Gewissen. „Man muss bei diesen Bedingungen nicht über Hillsize springen. Wir haben vorher mit der Regie gesprochen, aber sie haben nicht reagiert, das macht es um so tragischer“, sagte Hüttel in energischem Ton. Auch die polnische Mannschaft sei der Meinung gewesen, dass die Abflughöhe zu hoch gewesen sei und auch sie äußerte ihre Bedenken.

Hannawald zittert um Rekord

Während Kamil Stoch sich noch feiern ließ, befand sich Richard Freitag bereits auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Trainer Schuster war schon froh, dass sein bis dato bester Mann nicht über Kniebeschwerden klagte, sondern „nur“ über Hüftprobleme. So besteht die Hoffnung, dass die Saison für den Skispringer auch im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Südkorea noch nicht vorbei ist – so wie jetzt die Chance auf den Tourneesieg (ob er am Samstag startet, ist noch offen). Ironie des Schicksals ist, dass Freitags Vater Holger Freitag auch keine guten Erinnerung an die Schanze in Innsbruck hat. Auch er war Skispringer – und auch er stürzte am Bergisel. Daraufhin beendete er sogar seine Karriere.

Kamil Stoch, zweifelsfrei ein großer Sportsmann, zeigte Mitgefühl. „Es tut mir wahnsinnig leid, dass Richard das passiert ist, aber so ist unser Sport, solche Situationen geschehen nun einmal“, sagte er. Stoch selbst schickt sich nun an, den Rekord von Sven Hannawald einzustellen, der im Winter 2001/2002 als einziger Athlet alle vier Springen einer Tournee gewann. Auf Platz zwei in der Gesamtwertung liegt hinter Stoch jetzt nicht mehr Freitag, sondern dessen Landsmann Andreas Wellinger, der in Innsbruck Dritter wurde. Rückstand in der Gesamtwertung? 64,5 Punkte! Es müssten schon mehrere Wunder auf einmal geschehen, wenn Kamil Stoch das noch vergeigt. Doch derlei Überlegungen machte sich an diesem traurigen Tag einer ganz bestimmt nicht mehr: Richard Freitag.