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Entwicklungspolitik sei ein Gebot der Menschlichkeit, heißt es. Doch die Hilfen - zum Beispiel für China, Indien und Brasilien - werden zunehmend kritisch betrachtet.

Stuttgart - Entwicklungspolitik sei ein Gebot der Menschlichkeit, heißt es. Doch die Hilfen - zum Beispiel für China, Indien und Brasilien - werden zunehmend kritisch betrachtet. Wirft hier der Staat das Geld zum Fenster hinaus?

Keine Hilfe mehr für China: Gleich nach seinem Amtsantritt Ende Oktober hat Minister Dirk Niebel entwicklungspolitische Nägel eingeschlagen. Deutschland werde seine Mittel zur Armutsbekämpfung künftig "nur noch dort einsetzen, wo es am meisten nottut", sagte der FDP-Politiker. Auch Indien als Land, das sich ebenfalls ein kostspieliges Raumfahrtprogramm leistet, kommt laut Niebel auf den Prüfstand.

Abwegig sind Niebels Ankündigungen keineswegs: Die Volksrepublik ist nach einem beispiellosen Wachstum zur drittgrößten Wirtschaftsmacht der Welt aufgestiegen. Dass es noch erhebliche Wohlstandsunterschiede zwischen den einzelnen Regionen gibt, fällt dabei unter den Tisch.

Auch Indien gehört längst zum Kreis der großen Schwellenländer. Reichtümer werden angesammelt, internationale Konzerne fassen dort Fuß. Mukesh Ambani, Chef des indischen Reliance-Konzerns, ist dem amerikanischen Magazin "Forbes" zufolge mit einem Vermögen von 19,5 Milliarden Dollar (13 Milliarden Euro) der siebtreichste Mensch der Welt.

Für Peter Wolff vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik gibt es allerdings gute Gründe, Länder wie China weiter zu unterstützen. Es sei in deutschem Interesse, dass Peking in Umweltfragen unterstützt wird. "Man muss Geld in die Hand nehmen, um die CO2-Probleme mit China zu behandeln", sagt Wolff. Auch der Rechtsstaatsdialog sei wichtig. "Es macht Sinn, in diesem Punkt mit den Chinesen zusammenzuarbeiten." Nur sollte man überlegen, ob man die Mittel dafür aus dem Etat für Entwicklungshilfe nimmt. "Wir schlagen einen anderen Topf vor, aber den gibt es nicht. Durch den Begriff Entwicklungshilfe wird der falsche Eindruck erweckt - als ob es um Sozialhilfe für China geht", beklagt Wolff.

Im Übrigen gebe es laut OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) einen Standard für die Kategorisierung von Entwicklungsländern, und darunter falle China mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 2410 Dollar laut Weltbank genauso wie Indien (950 Dollar) und Brasilien (6060 Dollar). Auch das Touristikland Thailand (2660 Dollar) sei als Entwicklungsgebiet einzustufen.

Grundsätzlich stellt Niebel, dem zu Anfang eine gewisse Distanz zu seinem Amt nachgesagt wurde, die Entwicklungshilfe allerdings nicht in Frage. Befürchtungen, sein Ministerium wolle die Hilfe für die armen Länder zurückfahren, weist Niebel zurück. "Alles, wozu wir uns verpflichtet haben, gilt weiter", sagte er jüngst in einem Interview. Gleichzeitig will er jedoch die Politik seines Hauses stärker an den deutschen Wirtschaftsinteressen ausrichten.

Noch unter seiner Amtsvorgängerin Heidemarie Wieczorek-Zeul wurde der Etat für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung um 679 Millionen Euro auf 5,8 Milliarden Euro aufgestockt - eine Steigerung um über 13 Prozent. Der Finanzplan bis 2012 sieht weitere Wachstumsschritte vor. "Die Bundesregierung hat damit ein klares Bekenntnis zum Kampf gegen die Armut in der Welt abgegeben", heißt es. "Jeden Tag sterben mehr als 26 000 Kleinkinder - an Hunger, an Krankheiten, durch Gewalt und Kriege." Entwicklungspolitik sei ein Gebot der Menschlichkeit, wird betont.

Thilo Bode, der frühere Greenpeace-Chef von Deutschland und langjährige Entwicklungshelfer, hält jedoch nichts von staatlichen Zuwendungen. Entwicklungshilfe sei ein Betrugssektor. "Wenn sie nicht geschadet hat, kann man froh sein. Jede Art der Entwicklungshilfe ist unsinnig. Das Beste wäre, sie gleich einzustellen." Gnadenlos zieht auch der Afrika-Kenner Volker Seitz in einem Buch Bilanz: "Das Modell der westlichen Entwicklungshilfe mit Hilfsgeldern und regelmäßigem Schuldenerlass ist gescheitert." Zwischen 1960 und 2006 seien bis zu 2,3 Billionen Dollar nach Schwarzafrika geflossen, ohne dass sich die Lebensumstände der Menschen verbessert hätten.

Festzustellen sei, "dass das Gros der Hilfe unter der Sonne Afrikas verdunstet ist", so der Ex-Diplomat Seitz. Jahrelang konnte der deutsche Botschafter beobachten, wie dreist sich afrikanische Machthaber an der Entwicklungshilfe bedienten. Deren Angehörige würden mit pompösen Eskorten durch die Lande fahren, die Scheiben verdunkelt, "damit die Insassen möglichst wenig von dem Elend mitbekommen".

Kritik an der Entwicklungshilfe ist so alt wie die Hilfe selbst, jetzt aber wird sie immer schärfer formuliert. Experten wie die Sambierin Dambisa Moyo, eine ehemalige Mitarbeiterin der Weltbank, sind sich einig: Noch mehr Geld hilft Afrika nicht, sondern fördert nur Unselbstständigkeit und Passivität. Korrupte Eliten, aber auch Entwicklungshelfer bereichern sich an den Geldern. Weltverbesserer wie der irische Popstar Bono seien deshalb nicht nur naiv, sondern sogar gefährlich, schreibt Seitz.

Doch auch in den großen Hilfsorganisationen ist man nachdenklich geworden. Ralf Südhoff, Sprecher des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in Berlin, hält die Diskussion über das Wie bei der Entwicklungshilfe für legitim, grundsätzlich aber sei sie nach wie vor sinnvoll. "In Äthiopien habe ich mich gerade überzeugen können, dass die Hilfe tatsächlich etwas bewirkt", sagte Südhoff gegenüber unserer Zeitung. Wobei der Trend richtigerweise dahin gehe, die Hilfe auf weniger Staaten zu konzentrieren und damit effektiver zu gestalten.

So förderte Deutschland zum Beispiel bis Ende der 1990er Jahre 120 Entwicklungsländer, heute sind es noch knapp 60. Doch der WFP-Mann ist besorgt, dass die EU-Staaten angesichts der Finanzkrise von ihrem Versprechen, 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2015 für Entwicklungshilfe auszugeben, abrücken könnten. "Es wäre ein fatales Signal, aufgrund der Finanzkrise, die ja die Ernährungskrise verschärft hat, diese Zusagen infrage zu stellen", so Südhoff.

Sicher ist: Der Streit um den Sinn von Entwicklungshilfe wird weitergehen. Vor kurzem haben UN-Organisationen einen düsteren Bericht vorgelegt: 2009 sei die Zahl der Hungerleidenden auf mehr als eine Milliarde gestiegen - so viele wie nie zuvor.