Mit Doppelstandbild aus Bronze hat die Stadt Weimar den Dichterfürsten Schiller (r.) und Goethe 1857 ein Denkmal gesetzt. Foto: Maik Schuck

In Weimar auf den Spuren des ersten deutschen Klatschreporters: Er gehörte zur fürstlichen Hofgesellschaft und notierte, wie der Dichterstar mit seinem Busenfreund Carl-August, dem Herzog, zechte und Menschen schikanierte.

Weimar - Friedrich Justin Bertuch will gerade zur Sache kommen. Erstmals hat er seine junge Frau heimgeführt ins prächtige Palais, da stört Lärm vorm Portal. Bertuch öffnet, wird von zwei Männern in die Empfangshalle gedrängt. Sie beschimpfen ihn als „Spießer“, mokieren sich, dass er die Wände mit Tapeten verziert, und reißen sie mit ihren Schwertern herunter. Bertuch, Geheimer Sekretär am Fürstenhofe, ist geschockt: Einer der Randalierer ist sein Chef, Herzog Carl-August, der andere dessen Busenfreund, der kürzlich aus Frankfurt übersiedelte Dichter Goethe. Heute ist von diesem Überfall nichts mehr zu sehen im Bertuch-Haus, immer noch eines der schönsten Häuser Weimars und seit 1955 Sitz des Museums für Stadtgeschichte.

Darin natürlich auch Zeitzeugen-Berichte von Goethes Ankunft 1775: In der Kluft seines Romanhelden Werther - blauer Frack, gelbe Hosen in Stulpenstiefeln - stolpert der damals 26-Jährige in die Residenzstadt. Ein 6000-Seelen-Nest mit abgebranntem Fürstenpalast und Nachttöpfen, die bis 1793 noch aus den Fenstern in die Gassen entleert werden. Wo heute Kopfsteinpflaster liegt, kommt man damals trockenen Fußes nur per Sänfte ans Ziel. Goethe lässt sich nicht abschrecken, ist zu geschmeichelt von der fürstlichen Einladung. „Herzogin Anna Amalia steckt dahinter, sie lässt ihren Sohn schon seit 1772 vom Dichter Wieland erziehen, erhofft sich zusätzlich positiven Einfluss durch Goethe auf den seit kurzem regierenden 18-jährigen Carl-August“, erzählt Stadtführerin Svea Geske.

Der Markt ist heute ein friedlicher Ort

Doch Dichter und Herzog raufen sich rasch zum Halbstarken-Duo zusammen, das zum Schrecken der Leute morgens stundenlang auf dem Marktplatz die Hetzjagdpeitsche knallen lässt. Wer kann lauter? „Damit nicht genug“, sagt Stadtführerin Geske, „sie ließen Frauen ihre Röcke heben und die Peitsche druntersausen.“ Der Markt ist heute ein friedlicher Ort, eingerahmt vom verwitterten Rathaus und dem berühmten Hotel Elephant, dem Thomas Mann in „Lotte in Weimar“ ein Denkmal setzte. Wer sich von hier ein wenig treiben lässt, landet in der Windischenstraße. Diese verkehrsberuhigte Gasse ist Ende des 18. Jahrhunderts die Rennstrecke von Carl-August. Mit Kutschen brettert er aus dem heute pastellgelb strahlenden Wittumspalais, dem Alterssitz seiner Mutter, ins Grüne. Ein schwerer Unfall ist belegt, die Kutsche überrollt einen vorausreitenden Husaren und kippt um.

Woher wir das alles wissen? Weil Anna Amalia in ebenjenem Palais einen Gelehrten-Zirkel einlädt, einer der Teilnehmer fleißig zuhört und noch fleißiger aufschreibt: Klatsch, Intrigen und - heute würde man sagen - miese Mobbing-Geschichten notiert, Schulrektor Karl August Böttiger, als Altertumsexperte gern gesehen bei Hofe. Deutschlands erster Klatschreporter hält viele Storys zwar aus der Rückschau fest, wird aber durch Zeitzeugen bestätigt: So schreibt der Dichter Johann Heinrich Voß 1776 an seine Frau: „In Weimar geht es erschrecklich zu, der Herzog läuft mit Goethen wie ein wilder Pursche in den Dörfern rum, er besäuft sich und genießet brüderlich einerlei Mädchen mit ihm.“

Goethes FKK-Neigung wird ruchbar

Die aus solchen Orgien entstehenden, sogenannten Kegel-Kinder des Herzogs verteilt Goethe im Auftrag seines Herrn an Förster und Jäger. Im Literatenzirkel sinnieren die triebgesteuerten Machos dann darüber, dass „man in hiesiger Gegend so wenig erträgliche Gesichter unter den Bauernmädeln fände“. Goethe doziert, die Unsitte, Lasten auf dem Rücken zu tragen, bringe platte Physiognomien hervor. Sofern Goethe eine solche zeitweilig selbst hat, dann liegt’s daran, dass er sich auf seinen Landpartien regelmäßig mit dem Kammerherrn von Einsiedeln prügelt, bis Blut fließt, verrät Böttiger. Der Schulrektor mit journalistischer Ader wohnt am heutigen Herderplatz. Goethe - nach seinem Eintreffen zunächst auch am Herderplatz wohnhaft - zieht ins Gartenhaus im Ilmpark, das er kauft - angeblich. In Wahrheit muss der von Goethe drangsalierte Geheime Rat Bertuch die 600 Taler Kaufpreis aus der Schatulle des Herzogs verbuchen.

Wenig später wird Goethes FKK-Neigung ruchbar: Verschreckte Spaziergänger sehen ihn nackt in die Ilm springen. Klatschreporter Böttiger schreibt zu Lebzeiten zwar für drei Journale, veröffentlicht solche Geschichten dort aber nicht, sondern tratscht sie herum. Für Goethe ist er „einer der gründlichsten Schufte, die Gott erschuf“. 1804 wird Böttiger nach Dresden verdrängt. Seine aufgezeichneten Skandale kann er nicht publizieren, sie sind sämtlichen Verlegern zu heikel. Böttigers Sohn bringt das Buch 1838 heraus - unter dem Tarn-Titel „Literarische Zustände und Zeitgenossen“. Die ungekürzte Fassung erscheint erst 1998.

Infos zu Weimar

Anreise
Per Bahn zum Bahnhof Weimar oder mit dem Auto von Süden über die A 4, Abfahrt Weimar. Von Norden über die A 38 und B 85 ins Zentrum.

Erleben
Informative und unterhaltsame Stadtführungen mit Svea Geske - allgemein zu Weimar oder zu bestimmten Themen, per Rad oder auf Inlineskates, www.weimar-stadtfuehrung.de , Tel. 0 36 43 / 4 89 94 02. Das Stadtmuseum im Bertuchhaus bietet einen interessanten Rundgang durch die Geschichte der Stadt von den Anfängen bis heute. Karl-Liebknecht-Straße 5, www. stadtmuseum.weimar.de , Tel. 0 36 43 / 8 26 00.

Unterkunft
Helle Holzwände, geräumige Apartments, kostenlose Waschmaschine und Dachterrasse mit Sandkiste: Das Familienhotel Weimar hält, was sein Name verspricht. Seifengasse 8, Tel. 0 36 43 / 4 57 98 88, www.familienhotel-weimar.de , DZ ab 70 Euro.

Das Hotel Elephant, ein wuchtig-strenges Fünf-Sterne-Palais mit marmorierten Wänden, Kanapee-Sofas und getäfeltem Ballsaal-Frühstücksraum. Markt 19, Tel. 0 36 43 / 80 20, www.hotelelephantweimar.com , DZ ab 130 Euro.

Essen und Trinken
Anno 1900, Wintergarten-Restaurant mit Sofa, Kaffeehaus-Tischen und Jazzmusik. Geleitstraße 12a, Tel. 0 36 43 / 90 35 71, http://anno1900-weimar.de/

„Der weiße Schwan begrüßt dich jederzeit mit offenen Flügeln“, rühmt Goethe 1827 sein Stammlokal am Wohnhaus. Bis heute gibt’s gekochtes Rindfleisch mit grüner Soße, des Dichterfürsten Leibgericht. Frauentorstraße 23, Tel. 0 36 43 / 90 87 51.

Aviv Koriat, Weimars Star-Bäcker, zaubert Käse-Mohn-Limettencreme-Tarte oder Pecanuss-Schokomousse-Kuchen im Imbiss-artigen Laden, Steubenstraße 48, Tel. 0 36 43 / 8 55 28 99, www.koriat.de

Einkaufen
Die Schillerstraße hat 08/15-Läden deutscher Fußgängerzonen, nicht so die Gassen drum herum. Cara Apfelkern bietet drollige Handtaschen aus recycelten DDR-Staubsaugern, Kaufstraße 7, Tel. 0 36 43 / 81 48 96, www.cara-apfelkern.com

Die Bauhaus-Zeit lebt bei Miniata-Design: Marlene, Ida oder Audrey heißen Marianne Ulrichs handgefertigte Filz-Hüte im Look der Zwanziger, Theaterplatz 2a, Tel. 0 36 43 / 51 00 22, www.miniata.de

Seife & Sinne betört mit Düften und Badezusätzen wie „Wilde Hilde“ oder „Lust-Birne“, Windischenstraße 13, Tel. 0 36 43 / 49 69 92, www.seife-sinne.de

Literaturtipp
Karl August Böttiger: Literarische Zustände und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, Aufbau-Verlag Berlin, 12 Euro

Allgemeine Informationen
Tourist-Information Weimar, Friedensstraße 1, Telefon 0 36 43 / 74 50, www.weimar.de