Ein Radfahrer überquert den Rhein-Herne-Kanal beim Gehölzgarten Ripshorst, hinten links ist der Gasometer Oberhausen zu sehen. Foto: Tourismus/Ziese

Eine Radtour auf der Erzbahntrasse kann ihre Tücken haben: Auf Erlebnisfahrt mit kaputten Reifen und Monumenten aus alter Zeit.

Bochum - An der Jahrhunderthalle in Bochum fängt alles an. Wer die langgestreckte, verglaste Fassade der riesigen Halle abfährt, erkennt bald staunend, dass Fotos die enormen Ausmaße der Industrieanlagen im Ruhrgebiet nie wiedergeben können. Gebaut wurde sie für die Gewerbeausstellung 1902 in Düsseldorf und anschließend nach Bochum verfrachtet. Viele Jahrzehnte fauchten darin die Gebläse für die Hochöfen des Konzerns Bochumer Verein. Die Erzbahntrasse ist ein alter, neun Kilometer langer Bahndamm, über den Züge einst Eisenerz vom Rhein-Herne-Kanal hierher transportierten.

In den 60er Jahren fuhr die letzte Bahn

In den 60er Jahren fuhr die letzte Bahn, ab 2002 wurde die Trasse zum Radweg umgebaut. Zu einem, der höher liegt als das Land ringsum: Man steht - nein, man radelt quasi immer über den Dingen. Von Bochum führt er zum Gelsenkirchner Hafen. Von dort soll es heute zum Nordsternpark gehen, am Rhein-Herne-Kanal entlang und zum Ausgangspunkt zurück. Als Auftakt spannt sich die elegante Erzbahnschwinge über die A 40, die erste von 18 Brücken, auf denen die Trasse Straßen, Flüsse und Bahnstrecken überquert. Nach links gleitet der Blick über eine Schrebergartenkolonie. Genau in diesem Moment steigt, als müsse das Ruhrgebiet schon mal protzen mit seinen Klischees, ein Schwarm Tauben hoch. In den Hinterhöfen der Siedlung Carolinenglück wehen die Flaggen von Borussia Dortmund und dem „Laubenpieper Chapter 8“. Aus der Verzinkerei Bochum riecht es nach Schweißdraht und heißem Eisen.

Dann wird es für kurze Zeit sportlich: Der Abstecher zur Zeche Hannover führt über ein Hügelchen. Umgeben von Wäldern und Feldern wartet ein Förderturm. Errichtet wurde er in schöner Backsteinarchitektur, gedacht war er für die Ewigkeit des Industriezeitalters, die nun auch schon wieder vergangen ist. Heute brüten Falken darin. Plötzlich knirscht es im Hinterreifen, ein eieriges Gewackel folgt - der Reifen ist platt, und natürlich hat das Leihrad kein Flickzeug. Ein verwitterter Graumähniger kommt angestrampelt und besieht sich das Desaster: „Manchmal hat man Glück, und die halten ewig“, philosophiert er. „Meiner ist jetzt drei Jahre alt, und es gab noch nie Probleme. Das kommt, weil ich immer einen Ersatzschlauch dabeihabe.“ Spricht’s, nickt dem Schiebenden solidarisch zu - und fährt weiter. Die Siedlung unten zur Rechten, über der die Schalke-Fahne weht, könnte zu Herne gehören. „Wanne-Eickel is et“, sagt ein Müllmann, der gerade sein Salamibrot verzehrt.

Und am Bahnhof, rund zwei Kilometer von hier, könnte es eine Werkstatt geben. Es gibt in der Tat eine „Rad-Station“. Ein freundlicher junger Mann wechselt den ramponierten Schlauch, für gerade mal 8,50 Euro. Wenn schon Panne, dann in Wanne-Eickel, Quell der Labsal für geschundene Radlerseelen! Da strampelt es sich doch mit frischem Mut gelassen zurück zur Trasse. Im Hafen Grimberg türmen sich Schrotthalden. Was da ein paar Meter weiter gleichmütig durchs Gelände hoppelt, ist trotz braunen Fells keines der üblichen Ruhrpott-Kaninchen.

Ein leibhaftiger Bär trottet zur Wasserstelle: Zoom, der Erlebniszoo von Gelsenkirchen, bietet Appetitmacher-Einblicke. Die trösten den Radfahrer nur begrenzt über ein neues Problemchen hinweg: Die Schaltung funktioniert nicht mehr, ab jetzt wird nur noch im ersten Gang geradelt. Nachträglicher Punktabzug für Wanne-Eickel. Nett haben sie es sich am Rhein-Herne-Kanal gemacht. Eine Doppelbogenbrücke wurde zum Nordsternpark hinüber gespannt, ein Amphitheater am Wasser gebaut und eine 400 Meter lange Mauer mit Graffiti verziert. Natürlich war diese Anlage mal, wie könnte es anders sein, eine Zeche, „Nordstern“ mit Namen. 1993 war Schluss, 1997 fand auf dem Gelände die Bundesgartenschau statt.

„Ich liebe dich, meine Rose“

Auf den weit herausragenden Turm 2 hat Markus Lüpertz Ende 2010 einen 18 Meter hohen Herkules aus Aluminium gesetzt: Von fern erinnert er an ein Manneken Pis. Aber: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht - Industriegeschichte. Hoch zur Schurenbachhalde in Altenessen führt ein Treppenweg. Eine kahle Kuppe aus schwarzem Sand und Geröll empfängt den Besucher, gesäumt von einem Ring grüner Büsche. Mittendrin erhebt sich die „Bramme für das Ruhrgebiet“. Ehrfurchtgebietend ragt die Stahlplatte von Richard Serra auf. 14 Meter hoch, vier Meter breit und 13 Zentimeter dick trotzt sie seit 1998 Wind und Wetter. Man wundert sich, dass sie überhaupt zu stehen vermag. „Ich liebe dich, meine Rose“, hat einer am 5. 8. 05 darauf vermerkt.

Ob die Liebe dem Rost so gut trotzt wie das Monument? Die Bramme war eine der frühen Landmarken des Ruhrgebiets. Und sie ist immer noch ein stählernes Stück Trauerarbeit: Das raueste, wuchtigste und treffendste Denkmal aus jener Zeit, die es nicht mehr gibt - auch wenn rundum Kühltürme, Fabrikhallen und qualmende Schornsteine so tun als ob. Regen setzt ein. Im strömenden Nass leidet die Entdeckerlust: Arbeitersiedlung Hegemannshof, Fatih-Moschee in EssenKaternberg, ja nicht einmal die Taubenklinik des Verbands deutscher Brieftaubenzüchter vermag im triefenden Radfahrer mehr als Sekundeninteresse zu wecken. Adrenalin schießt ihm erst wieder ins Blut, als er zum zweiten Mal an diesem Tag dieses eigenartige, schwammige Schlurfen im Hinterrad spürt. Was ihm durch den Kopf geht, als er absteigt und gegen den platten Reifen tritt - nein, das möchte man wahrlich nicht gedruckt sehen.

Infos zum Ruhrgebiet

Leihräder
Leihräder gibt es sehr billig, etwa bei der gemeinnützigen Radstation in Bochum: http://bit.ly/Wzhu2V (8 Euro pro Tag, 30 Euro die Woche)

Unterkunft
Chillten: Das Hotel in Form einer silbernen Röhre mit poppig ausgestalteten Zimmern ist das Richtige für Leute, die preiswert übernachten wollen. Gungstr. 3, 46240 Bottrop, Tel: 0 20 41 / 37 85 80, www.chillten.de (Übernachtung o. Frühstück im DZ 36 Euro. Im Vier- bis Achtbettzimmer 20 Euro p. P.)

Hotel Up de Schmudde: Gutes Restaurant, saubere Zimmer, anständige Preise, Dorfheide 48, 46244 Bottrop-Kirchhellen, Tel: 0 20 45 / 9 55 20, www.hotel-up-de-schmudde.de (37,50 Euro p. P. im DZ)

Essen und Trinken
Der Overbeckshof gilt als Bottrops feines Speisezimmer: Getrüffelter Weißkohlsalat mit Jakobsmuscheln, Rotbarbe mit Wasserspinat - im Pott gibt es nicht Currywust. Im Stadtgarten 26, 46236 Bottrop, Tel: 0 20 41 / 7 75 69 15, www.overbeckshof.de

Das Gdanska in Oberhausen ist ein Lokal für den großen Hunger und den kleinen Geldbeutel. Alles, was die polnische Küche lecker macht, steht auf der Karte: Bigos für 5,50 Euro, Piroggen für 6 Euro, Eisbein für 13 Euro. Altmarkt 3, 46045 Oberhausen, Tel: 02 08 / 6 20 13 75, www.gdanska.de

Das Café Kaldi widmet sich dem Mythos Schimanski. Rundgänge auf den Spuren des Ruhrpottbullen enden hier. König-Friedrich-Wilhelm-Str. 18, 47119 Duisburg, Tel: 02 03 / 5 18 62 22, www.cafe-kaldi.de

Allgemeines
Ruhr Tourismus, Centroallee 261, 46047 Oberhausen, Tel: 0 18 05 / 18 16 20, www.ruhr-tourismus.de