Viel Stoff, blau und weiß geringelt: Beim Anbaden im Seebad Binz werden „historische“ Badekostüme getragen. Foto: Kurverwaltung Ostseebad Binz

Rügen, Deutschlands größte Insel, läutet im Seebad Binz die Sommersaison mit einem Blick zurück in alte Zeiten ein. Am 1. Mai wird angebadet- egal bei welchem Wetter.

Binz - Der Sommer im Seebad Binz auf Rügen beginnt mit einer Abkühlung. Am Strand neben der Landungsbrücke versammeln sich alljährlich am 1. Mai ein paar Dutzend Unerschrockene zum „Anbaden“. Bei jedem Wetter warten die mutigsten Binzer inklusive Bürgermeister in nostalgisch-geringelten Badeanzügen auf den Startschuss. Bibbernd und johlend stürzen sie sich dann in die kalten Fluten der Ostsee, die um diese Jahreszeit selten mehr als zehn Grad Wassertemperatur bietet. Unter großem Applaus der warm eingepackten Zuschauer ist damit die offizielle Badesaison eröffnet. Dann kann der Sommer kommen.

Nicht, dass nun wirklich der Ansturm auf den Strand beginnen würde, aber alles ist bereit für die rund 400 000 Gäste, die wegen der feinen Sandstrände der Prorer Wiek und der berühmte Bäderarchitektur nach Binz reisen. Auf der Promenade am Kursaal folgt nach dem kühlen Badespaß das erste Kurkonzert der Saison. Die weißen Bänke sind voll besetzt, denn zur Musik gibt es einen besonderen Augenschmaus: Die „historische Gesellschaft“ gibt sich die Ehre. Damen und Herren jeden Alters flanieren und parlieren in Gewändern aus der Zeit um 1900 vor dem Kurhaus und zeigen sich die nächsten drei Tage bei vielen Gelegenheiten dem begeisterten Publikum, das zum Mitmachen eingeladen ist: auf Spaziergängen zwischen Putbuser Straße und Hauptstraße, beim musikalischen Picknick im Kurpark, beim historischen Tennisturnier am Klünderberg oder bei Ausflügen in die Umgebung.

Bereits 1884 wurde Binz als Badeort offiziell anerkannt

Da rascheln Reifröcke und Schleppen, da wippen Federn an Hüten, und grazile Sonnenschirmchen schützen die Damenhaut vor der Sonne. Die Herren im Gehrock lüften elegant den Zylinder, um andere Honoratioren zu grüßen oder in die unzähligen Kameras zu lächeln. Mit diesem charmanten Rollenspiel in aller Öffentlichkeit nehmen rund 200 Geschäftsleute, Hotelbetreiber, die Kurverwaltung und Einwohner von Binz ihre ersten Sommergäste mit auf eine Zeitreise: Sie führt zurück in die Binzer Sommerfrische der Belle Époque, jener „schönen Epoche“ zwischen 1884 und 1914, in der gut betuchte Reisende die Sehnsucht nach kräftiger Seeluft und einem Bad im Meer an der Ostküste Rügens auslebten. Bereits 1884 wurde Binz als Badeort offiziell anerkannt, und innerhalb von zehn Jahren schnellte die Gästezahl von 1200 auf 16 500 im Jahr empor. Und alle mussten verwöhnt und untergebracht werden.

Die Binzer enttäuschten die Herrschaften nicht und boten ständig etwas Neues. Sie bauten eine feste Landungsbrücke, an der Schiffe die Urlauber direkt entladen konnten. Sie errichteten ein Kurhaus für allerlei Lustbarkeiten, legten die Strandpromenade an, bauten Badeanstalten und immer mehr Logierhäuser. Diese Pensionen im Villenstil der sogenannten Bäderarchitektur stehen heute noch in großer Zahl an der mehr als drei Kilometer langen Promenade sowie in den hinteren Reihen des historischen Ortskerns und bieten einen besonderen Anblick: weiße Fassaden, Fachwerk, Türmchen und Erker, Balkone und Veranden, Bögen und Giebel, Säulen und Ornamente - ein eigenwilliger Stilmix, der sich je nach Gusto des Erbauers bei allen Epochen bediente. Wie die Erfolgsgeschichte vom abgelegenen Fischerort zum eleganten Seebad verlief, erzählt mit viel Humor Gästeführerin Marita Boy bei einer historischen Ortsführung. Ihre „Riemels“, Plattdeutsch für Geschichten, blicken auch hinter die weißen Fassaden, die einmal im Jahr mit Rügener Kreide getüncht wurden.

Logierhäuser hatten in der Regel keine Küchen

So erfahren die Zeitreisenden, dass nur die Schauseiten der Villen aufwendig gestaltet sind, denn sie dienten als Aushängeschild und sollten Gäste anlocken. Die offenen Veranden und Balkone gingen zur Straße und in den Schatten hinaus, um die gepflegte Blässe nicht zu gefährden, aber vor allem zum Sehen und Gesehenwerden. Die Herrschaften wohnten einst in Zimmern ohne Bad, weshalb die Kurdirektion das „Warmbad“ mit Badewannen errichten ließ. Auch die große Zahl an Restaurants, die in Binz von der Sterneküche bis zum rustikalen Räucherfisch jeden Genusslevel ermöglichen, haben Tradition: Weil die Logierhäuser in der Regel keine Küchen hatten, gingen die Gäste auswärts essen.

Bei so viel Ablenkung auf engstem Raum flanierten viele Gäste damals - und noch heute - bevorzugt auf dem „Binzer T“ aus Putbuser und Hauptstraße oder auf der schönen Promenade mit Blick aufs Meer. Dabei verpasst manch einer andere Attraktionen wie den Schmachter See direkt am Ortsrand oder die hügelige Landschaft der Granitz, die bis nach Binz hineinreicht. Hier, im größten Waldgebiet von Rügen, liegt das romantische Jagdschloss von Wilhelm Malte I., Fürst zu Putbus, ein weiteres Ziel der historischen Gesellschaft. Nach einem Spaziergang erklimmen selbst Damen mit langen Röcken die kunstvolle gusseiserne Wendeltreppe mit 154 Stufen. Oben auf der Aussichtsplattform schweift der Blick weit über die Insel mit ihren sattgelben Rapsfeldern.

Der Ausflug in das elegante Schloss der Fürstenfamilie, die hier einst Gäste aus der ganzen Welt empfing, schließt den Kreis der Zeitreise. Fürst Malte war es, der die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Rügens vorantrieb und den Tourismus auf die Insel holte. Das erste Seebad wurde von ihm 1810 in Lauterbach gegründet. Doch die Lage am schlammigen Bodden überzeugte die Gäste nicht, und so landeten sie schließlich dort, wo es am schönsten ist - in Binz!

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Infos zu Rügen

Anreise
Germanwings fliegt dreimal die Woche ab Stuttgart direkt nach Rostock in gut einer Stunde ( www.germanwings.de ). Von dort mit der Linie 127 zum Hauptbahnhof Rostock und weiter in zwei Stunden mit der Bahn nach Binz. Mit der Bahn ab Stuttgart bis Binz-Bahnhof in neun bis zehn Stunden und einem Umstieg in Berlin, www.bahn.de

Unterkunft
Designhotel Nixe in einer renovierten Jugendstil-Villa aus dem Jahr 1903 in der ersten Reihe der Binzer Strandpromenade. Geschmackvoll-kreative Einrichtung, aufwendiges Frühstück und pommersch-asiatische Gourmetküche im öffentlichen Restaurant, DZ 194 Euro. ( www.nixe.de ).

Villa Salve, gediegen-nostalgisch, mit Terrasse und Cocktailbar, DZ ab 70 Euro ( www.ruegen-schewe.de ).

Passend zur Zeitreise auch das Kurhaus Binz, das heute als Luxushotel der Travel-Charme-Gruppe und weißes Wahrzeichen des Seebades wieder in altem Glanze erstrahlt, DZ ab 150 Euro. ( www.travelcharme.com/hotels/kurhaus-binz.html) .

Zeitreise
Vom 1. bis 3. Mai findet die nächste Zeitreise in die Binzer Sommerfrische statt. Teilnehmen können auch Gäste nach Anmeldung, www.ostseebad-binz.de