Während die Einwohnerzahl in Baden-Württemberg in den kommenden 15 Jahren statistisch gesehen umgerechnet um das Doppelte der Stadt Freiburg wachsen wird, muss sich das Land auch rasch aufs Altern einstellen.
Mehr Rentner, vor allem mehr Hochbetagte, die Menschen werden länger leben und es werden weniger von ihnen arbeiten können: Blicken die Bevölkerungsexperten für Baden-Württemberg in die Glaskugel, sehen sie die Herausforderungen überaus deutlich. Denn während die Einwohnerzahl in Baden-Württemberg in den kommenden 15 Jahren statistisch gesehen umgerechnet um das Doppelte der Stadt Freiburg wachsen wird, muss sich das Land auch rasch aufs Altern einstellen. Vor allem der Versorgungs- und Pflegebedarf für die Älteren wird heftig zulegen. Das Geld dafür können allerdings nicht mehr so viele Menschen verdienen wie heute.
Laut dem am Dienstag vorgestellten „Wegweiser Kommunen“ der Bertelsmann Stiftung wird die Zahl der Menschen in Baden-Württemberg bis 2040 deutlich auf 11,61 Millionen zulegen. Nach den Vorausberechnungen werden dann etwa 510 000 Menschen mehr im Südwesten leben als das noch 2020 der Fall gewesen ist. Das entspricht einem Zuwachs von 4,6 Prozent - deutlich mehr als der Entwicklungstrend auf Bundesebene, der lediglich bei 0,6 Prozent liegt. „Damit ist in Baden-Württemberg zusammen mit Bayern der höchste relative Bevölkerungsanstieg unter allen Flächenländern zu erwarten“, heißt es in der Studie. Allerdings sterben – mit Ausnahme von 2016 – seit 2006 jedes Jahr mehr Menschen in Baden-Württemberg als hier geboren werden. Der Zuwachs liegt daher nach Angaben des Statistischen Bundesamtes an der starken Zuwanderung aus dem Ausland. Mehr als jeder dritte Einwohner Baden-Württembergs hat heute laut Statistik einen Migrationshintergrund.
„Drei Faktoren sind für Vorausberechnungen entscheidend: Geburten, Sterbefälle und Wanderungen. Die Punkte 1 und 2 entwickeln sich relativ stringent, die Wanderungen sind der schwierige Teil“, sagt Studienautorin Petra Klug. „Es gab in den vergangenen Jahren zwei Ereignisse, die Vorausberechnungen erschwert haben. Das war 2015 der Krieg in Syrien und 2022 der Krieg in der Ukraine. Beide hatten und haben extreme Auswirkungen auf die Berechnungen“, sagte die Expertin der Bertelsmann Stiftung.
Nicht überall werden mehr Menschen leben als heute
Und beide Ereignisse haben nach Einschätzung von Klug unterschiedliche Einflüsse mit sich gebracht. „Anders als aus Syrien sind aus der Ukraine zu einem hohen Anteil vor allem Frauen im jüngeren und mittleren Alter zu uns gekommen“, sagt die Wissenschaftlerin. Die extrem hohe Zuwanderung nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine werde sich nach Einschätzung der Experten so nicht fortsetzen.
Nicht überall werden mehr Menschen leben als heute. In den meisten Kreisen des Landes legt die Zahl der Menschen laut Prognose zu, einzelne wie die Region Neckar-Alb, Mannheim und Karlsruhe müssen hingegen Verluste hinnehmen. Am stärksten fällt der Zuwachs im Landkreis Biberach aus mit 11,5 Prozent. Deutliche Zuwächse wird es auch in den Kreisen Schwäbisch Hall (8,6), Tuttlingen (8,5) und Böblingen (8,2,) geben. Beim Wachstum der kreisfreien Städte liegen Pforzheim (7,7) und Heilbronn (8,2) vorne.
Der Zollernalbkreis liegt mit einem Rückgang von 3,0 Prozent am unteren Ende der Skala, auch in Mannheim (minus 0,5 Prozent) und Karlsruhe (minus 0,4 Prozent) wird ein leichter Bevölkerungsrückgang bis 2040 erwartet. Heidelbergs Bevölkerung wächst laut Prognose ebenfalls deutlich unterdurchschnittlich um 0,8 Prozent.
Zahl der 65- bis 79-Jährigen wird zwischen 2020 und 2040 stark wachsen
Die Erwartungen für die Altersgruppen spiegeln die demografische Entwicklung deutlich wider. Die Zahl der 65- bis 79-Jährigen wird zwischen den Jahren 2020 und 2040 um 34,8 Prozent auf rund 2,1 Millionen stark wachsen. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung steigt von 13,8 Prozent im Jahr 2020 auf 17,8 Prozent im Jahr 2040. Bei den über 80-Jährigen wird im selben Zeitraum ein Zuwachs von 35,8 Prozent auf rund eine Million erwartet. Lag ihr Anteil im Jahr 2020 noch bei 6,8 Prozent, so werden es 20 Jahre später 2040 2 Prozentpunkte mehr sein. Der Grund: Die Babyboomer, also die geburtenstarken Jahrgänge von 1955 bis 1970, gehen in Rente. Hinzu kommt, dass der Südwesten seit Jahrzehnten regelmäßig die höchste Lebenserwartung in Deutschland aufweist.
Mit zunehmendem Alter steigt natürlich auch der Anteil pflegebedürftiger Menschen. Nach einer Vorausberechnung des Statistischen Landesamtes aus dem vergangenen Jahr dürfte sie bis zum Jahr 2060 deutlich zulegen. Dann werden laut Prognose gut 800 000 Menschen auf Pflege angewiesen sein, 48 Prozent mehr als noch im Jahr 2021. Besonders stark wird der Zuwachs der Pflegebedürftigen im Stadtkreis Heilbronn und im Landkreis Schwäbisch Hall ausfallen. Dort prognostizieren die Statistiker bis zum Jahr 2040 einen Zuwachs um 37 Prozent. Am wenigsten betroffen wird demnach der Stadtkreis Stuttgart sein (9 Prozent).
Wie groß die Unterschiede bei der Altersstruktur in der Bevölkerung sind, zeigt das sogenannte Medianalter, also der Wert, der die Bevölkerung in eine jüngere und eine ältere Hälfte teilt. Mit einem Medianalter von 43,8 Jahren hatte Baden-Württemberg 2022 die jüngste Bevölkerung in einem deutschen Flächenland. Dieses Alter wird laut Studie bis zum Jahr 2040 um fast zwei Jahre auf 46,4 Jahre zunehmen, das ist allerdings fast ein Jahr niedriger liegen als in Deutschland insgesamt (47,1 Jahre). „Jüngste“ Stadt im Südwesten wird die Uni-Metropole Heidelberg sein (im Median 38,8 Jahre), „älteste“ Baden-Baden (Medianalter 50,5 Jahre). Besonders stark legt der Wert im Zollernalbkreis zu mit etwas mehr als 3 Jahren.
Auch der Arbeitsmarkt wird mit der demografischen Dynamik konfrontiert
Nicht nur die Pflege steht vor ernsten Herausforderungen, auch der Arbeitsmarkt wird mit der demografischen Dynamik konfrontiert. Denn laut Studie schrumpft das sogenannte Erwerbspersonenpotenzial - also die Menge der Menschen, die für den Arbeitsmarkt infrage kommt - um 7 Prozent auf etwa 5,62 Millionen im Alter zwischen 25 und 64. Während die Jahrgänge mit Schülerinnen und Schülern stark um zwischen 7,9 und 13,1 Prozent wachsen werden und es auch mehr jüngere Erwachsenen bis 24 Jahre geben wird, geht die Zahl der Kindergartenkinder zurück.
Die Entwicklung verteilt sich sehr unterschiedlich auf die einzelnen Bundesländer. Während das Saarland und die östlichen Bundesländer mit Bevölkerungsrückgängen planen müssen, prognostizieren die Autoren der Studie nicht nur für Baden-Württemberg ein Plus. Laut der Berechnung liegt die Bevölkerungsentwicklung in den 13 Flächenländern zwischen plus 4,6 Prozent für den Südwesten und minus 12,3 Prozent in Sachsen-Anhalt. In den Stadtstaaten Berlin und Hamburg gibt es mit 5,8 und 3,5 Prozent ein deutliches Plus. Bremen legt mit 1,1 Prozent nur moderat zu.
Einen Blick über das Jahr 2040 hinaus hat bereits das Statistische Bundesamt geworfen. Sollten sich Geburtenrate, Lebenserwartung und Zu- sowie Abwanderung moderat entwickeln, würde die Bevölkerungszahl nach dessen Prognose im Jahr 2041 ihren Höhepunkt erreichen, danach geht es demnach langsam zurück. Anders wäre das bei einer hohen Geburtenrate, einer niedrigen Lebenserwartung und einem hohen Wanderungssaldo: dann könnten im Jahr 2070 etwa 12,6 Millionen Menschen in Baden-Württemberg leben.