Die Gedenkstätte Point Alpha war einst ein Beobachtungsstützpunkt der USA an der innerdeutschen Grenze. Der rekonstruierte Grenzzaun im Vordergrund ist Teil der Anlage. Dahinter liegt das thüringische Dorf Geisa. Foto: Maier

Point Alpha und Grenzmuseum Schifflersgrund heißen die Lehrstätten zwischen Thüringen und Hessen. Dort können nicht nur junge Leute etwas lernen.

Geisa - Als Berthold Dücker am 24. August 1964 aus der DDR flieht, ist er 16 Jahre alt. Es ist ein sonniger Montagmorgen, und Dücker ist mit den drei Kühen seines Vaters unterwegs in Richtung Weide. Als sein Blick auf die Grenze fällt, fragt sich der junge Mann: „Warum nicht heute?“ Der spontanen Eingebung folgend, kehrt er zurück zum elterlichen Hof. Dort nimmt er die neue Kneifzange seines Vaters an sich. Ohne ein Wort gegenüber den Eltern oder den beiden älteren Brüdern zu verlieren, geht Dücker ein weiteres Mal zur Grenzanlage. In einem fast ausgetrockneten Bachlauf robbt der junge Mann zum Stacheldraht.

Er knipst die zwei unteren Reihen auf, dann schiebt er sich langsam durch das Minenfeld. Den Kopf auf den Unterarm gelegt, stochert er mit der Zange nach Sprengkörpern. „Dass ich damit eine Mine hätte auslösen können - daran habe ich nicht gedacht“, erinnert sich der 67-Jährige heute. „Ich muss eine ganze Heerschar von Schutzengeln gehabt haben.“ Nach seiner Flucht beginnt Dücker ein Volontariat bei der „Fuldaer Volkszeitung“. Während dieser Zeit kommt er erstmals in Berührung mit Point Alpha, einem ehemaligen Beobachtungsstützpunkt der US- Armee - dem ersten von insgesamt vier an der hessischen innerdeutschen Grenze. Der Stützpunkt liegt nur wenige Kilometer entfernt von Dückers Geburtsort Geisa. Bis zu 200 Soldaten sind zeitweise dort stationiert. Sie sollen die Grenztruppen der DDR observieren und Westdeutschland im Ernstfall verteidigen. „Die Amerikaner befürchteten, dass hier, im sogenannten Fulda Gap, ein dritter Weltkrieg ausbrechen könnte“, sagt Dücker.

„Point Alpha ist ein einzigartiges Zeugnis unserer Geschichte"

Nach der Wiedervereinigung überließen die Amerikaner Point Alpha 1991 der hessischen Landesregierung. Diese nutzte die petrolblauen Baracken zunächst zur Unterbringung von Asylbewerbern. 1995 sollten die Gebäude dann abgerissen werden. Doch da mischte sich Dücker ein, inzwischen Chefredakteur der „Südthüringer Zeitung“. „Das kann man doch nicht machen“, echauffiert er sich noch heute. „Point Alpha ist ein einzigartiges Zeugnis unserer Geschichte. Das muss erhalten bleiben.“ Dücker erreichte, dass das Areal - sowie der sogenannte Todesstreifen und der Kolonnenweg auf dem vormaligen DDR-Gebiet - unter Denkmalschutz gestellt wurde. Im Juni 1995 gründete er den Verein Grenzmuseum Rhön Point Alpha e. V., der bald darauf mit dem Aufbau der Gedenkstätte begann.

Heute präsentiert Point Alpha sich wieder so, wie die Amerikaner es verließen: Neben den Baracken, einer kleinen Tankstelle sowie einer halboffenen Maschinenhalle sind auch ein gemauerter Barbecue-Grill und ein Hufeisenspiel auf der kleinen Waldlichtung erhalten. Eine Baracke wurde zudem in eine Jugendherberge umgewandelt, die vor allem Schulklassen zum Übernachten nutzen. Neben dem amerikanischen Stützpunkt auf der hessischen Seite umfasst die Gedenkstätte auch die Rekonstruktion einer DDR-Grenzsicherungsanlage sowie eine Begegnungsstätte auf der thüringischen Seite. Um sie herum: grüne Wiesen, Wälder, sanfte Hügel. „Es war eine grausame Zeit und ein grausames Regime“, resümiert Dücker und zeigt sich persönlich enttäuscht davon, dass die DDR und ihre Geschichte noch immer nicht fest in den deutschen Lehrplänen verankert sind. „Viele Schüler kommen zu uns und hören zum ersten Mal, dass es überhaupt einmal eine innerdeutsche Grenze gab“, berichtet er.

„Im Zuge der Wiedervereinigung musste alles abmontiert werden“

„Wir lernen einfach nicht aus unseren Fehlern. Man muss doch vermitteln, dass es so etwas nie mehr geben darf.“ Dieser Ansicht ist auch Wolfgang Ruske: „Der jüngeren Generation muss man das immer wieder erklären. Ich sehe häufig, wie junge Leute den Kopf darüber schütteln, dass es überhaupt so weit kommen konnte.“ Der 74-Jährige ist Vorsitzender des Grenzmuseums Schifflersgrund rund 100 Kilometer nördlich von Point Alpha, nahe Eschwege. Dort sind noch etwa anderthalb Kilometer der Grenzsicherungsanlagen im Original vorhanden. „Einen authentischen Zaun mit 3,20 Meter Höhe - das haben andere nicht mehr“, sagt Ruske. „Im Zuge der Wiedervereinigung musste alles abmontiert werden.“ Das Museum erinnert zudem mit einer Ausstellung an den Aufbau und Ausbau der Grenzanlagen sowie an das Schicksal von Heinz-Josef Große.

Er wurde bei einem Fluchtversuch am 29. März 1982 im Schifflersgrund von DDR-Grenzsoldaten erschossen. „Große war das letzte von insgesamt 27 Opfern an der hessischthüringischen Grenze“, weiß Ruske. Er arbeitete 30 Jahre lang als Polizist in Hessen, bevor er ab 1991 die Polizei in Nordthüringen beim Aufbau einer neuen Struktur unterstützte. Spricht er von der DDR, schwingt Ressentiment in seiner Stimme mit: „Entlang der 1400 Kilometer langen Grenze waren etwa 60 000 Selbstschussanlagen angebracht. Sie alle waren nach innen gerichtet - auf die eigene Bevölkerung.“

Aus Gründen wie diesem bezeichnet Berthold Dücker das, was 1989/90 in Deutschland vor sich ging, nicht als Wende, sondern als „friedliche Revolution“: „Wenn ein ganzes Volk aufsteht und seine Verbrecher zum Teufel jagt, dann ist das keine Wende!“

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Infos zu Thüringen

Anreise
Zur Gedenkstätte Point Alpha fährt man ab Stuttgart auf der A 81 und A 7 an Heilbronn und Würzburg vorbei. Man nimmt die Ausfahrt 91 Fulda-Nord und fährt weiter auf der B 27 und B 84 in Richtung Roßdorf. Auf der L 3170 erreicht man das Ziel.

Unterkunft
Für Gruppen bietet die Gedenkstätte Point Alpha eine Übernachtungsmöglichkeit: Eine der ehemaligen Baracken des US-Camps wurde zur Jugendherberge umfunktioniert. Die Unterkunft ist spartanisch, aber gesellig und sauber. Mehrbettzimmer 25 Euro pro Person inkl. Vollverpflegung. Platz der Deutschen Einheit 1, 36419 Geisa. http://pointalpha.com/gedenkstaette/bildungsangebote/uebernachtung

Im Landhotel Zur grünen Kutte kann man nicht nur übernachten, sondern auch sehr gut speisen - zum Beispiel fangfrische Rhönforellenfilets in Butter mit frischen Kräutern und Rosmarin nach Müllerin-Art. DZ/ÜF ab 36 Euro pro Person Hauptstraße 9, 36457 Bernshausen. www.gruene-kutte.de

Rund 20 Minuten vom Grenzmuseum Schifflersgrund entfernt liegt das Schloss Hotel Wolfsbrunnen , ein Vier-Sterne-Boutique-Hotel in Meinhard, DZ/ÜF ab 130 Euro (Zimmer). Das Anfang des 20. Jahrhunderts erbaute Schloss war das Hochzeitsgeschenk eines Industriellen an seine Tochter. www.schlosshotel-wolfsbrunnen.de

Allgemeine Informationen
Informationen zu Thüringen bekommt man an der Tourist-Information am Willy-Brandt-Platz 1 in Erfurt, Tel. 03 61 / 3 74 20, www.thueringen-entdecken.de

Alle Infos zu Hessen erhält man von der Hessen-Agentur in der Konradinerallee 9 in Wiesbaden, Tel. 06 11 / 9 50 17 81 91, www.hessen-agentur.de

Sehenswürdigkeiten/Ausflüge
Die Gedenkstätte Point Alpha zeigt, wie US-Soldaten auf einem ehemaligen Beobachtungsstützpunkt lebten. Das dazugehörige Grenzmuseum dokumentiert den Aufstieg und Niedergang der DDR. Platz der Deutschen Einheit 1, 36419 Geisa. http://pointalpha.com

Mit einem 1,5 Kilometer langen Stück des Originalzauns vermittelt das Grenzmuseum Schifflersgrund einen Eindruck von der innerdeutschen Grenze. Platz der Wiedervereinigung 1, 37318 Asbach-Sickenberg. http://www.grenzmuseum.de/

Seit 1980 dokumentiert die Stockmanufaktur in Lindewerra, wie ein traditioneller Stock in 32 Arbeitsgängen hergestellt wird. Am Rasen 14, 37318 Lindewerra. http://www.stockmacher.de

Was Sie tun und lassen sollten
Auf jeden Fall eine Radtour unternehmen, zum Beispiel auf dem Unstrut-Werra-Radweg oder auf dem „grünen Band“. So kann man die ehemalige Grenzlinie aus einer anderen Perspektive entdecken. http://www.thueringen-tourismus.de/urlaub-hotel-reisen/unstrut-werra-radweg-106265.html http://www.erlebnisgruenesband.de/

Wer Salami mag, sollte unbedingt die Nordhessische Ahle Wurscht oder thüringische Eichsfelder Stracke versuchen.

Möchte man viel von Land und Leuten sehen, sollte man auf keinen Fall mit dem Zug anreisen. Öffentliche Verkehrsmittel sind zwar vorhanden, deutlich flexibler ist man jedoch mit dem Auto. Und nicht den Fehler machen, die Gegend zu unterschätzen! An der ehemaligen innerdeutschen Grenze haben Thüringen und Hessen nicht nur geschichtlich, sondern auch landschaftlich und kulinarisch etwas zu bieten.