Foto: RUHR.2010/TAS EMOTIONAL MARKETING

Deutschland könnte England erneut alt aussehen lassen. Bislang hält Liverpool den Besucherrekord europäischer Kulturhauptstädte. Noch...  

Deutschland könnte England erneut alt aussehen lassen. Diesmal nicht im Fußball, sondern in Sachen Kultur: Bislang nämlich hält Liverpool mit 9,7 Millionen Besuchern einen Rekord in der 25-jährigen Geschichte europäischer Kulturhauptstädte. Zu den Veranstaltungen der Metropole Ruhr strömten aber schon im ersten Halbjahr 4,8 Millionen Menschen.

Man wolle nun den Liverpool-Rekord knacken, kündigte Ruhr.2010-Chef Fritz Pleitgen vergangene Woche an. Und der nächste Besuchermagnet lässt nicht lange auf sich warten: Am 18. Juli sollen sich auf der gesperrten Autobahn A40 statt Autos 20000 Tische aneinanderreihen. Eine 60 Kilometer lange Tafel zwischen Dortmund und Duisburg, an der ganze Vereine, aber auch Einzelpersonen, Familien und Cliquen für sechs Stunden Platz finden. Dabei soll nicht nur Essen und Trinken auf den Tisch kommen.

Jeder Mitesser kann sich mit Gesang, Musik, Tanz, Vorträgen oder Ausstellungen einbringen. Die Straße als Mitmachbühne, es sind noch Plätze frei. Partizipation und Vernetzung sind auch in der zweiten Hälfte des Kulturhauptstadtprogramms wichtige Stichworte: Ob das nun die Reihe "Künstler vor Ort" ist, bei der Kunstschaffende im Gespräch mit dem Publikum ihre Freiluftwerke entlang des Flusses Emscher erläutern (bis 2. September), die Loveparade in Duisburg (24. Juli) oder das Melez Festival (bis Ende Oktober), ein Zug mit verschiedenen Bühnen und Räumen, der im Oktober durch die Städte rollt. Mitmachen und Verbindungen knüpfen sollen nicht nur die Besucher, sondern auch die Bewohner des Potts. Etwa bei der Reihe "Local Heroes", die bis Ende des Jahres läuft.

Jede Woche präsentiert sich eine der 53 Kommunen, die gemeinsam das Jahr gestalten, von Sonsbeck bis Hamm, von Haltern am See bis Breckerfeld. So verschieden die Gemeinden, so unterschiedlich ist das ganze Jahresprogramm mit seinen mehr als 2500 einzelnen Veranstaltungen. Die Bandbreite reicht vom Straßenfest in Hattingen bis zur hochkarätigen Impressionisten-Ausstellung im Herbst im Essener Museum Folkwang. Die Vielfalt ist Schwäche und Stärke zugleich.

So ist mancher potenzielle Besucher abgeschreckt durch die erst mal unüberschaubar und beliebig zusammengerührt wirkende Masse an Möglichkeiten. Aber das Dickicht wird zugänglicher, wenn sich Reisende vorher genau überlegen, welcher Aspekt oder welche Sparte sie interessiert. So lässt sich das Programm nach verschiedenen Kriterien gliedern, etwa nach klassischen Sparten wie Musik, Theater, Literatur oder bildende Kunst. Musikliebhaber werden beim Henze-Projekt fündig, das mit rund 100 Veranstaltungen den Komponisten Hans Werner Henze würdigt.

Höhepunkt ist am 25. September die Uraufführung von "Gisela" in Gladbeck mit Henze als Dirigent. Etwas für Kunstfreunde ist "Mapping the Region", ein gemeinsames Ausstellungsprogramm von 20 Museen, unter anderem mit Werken von Bernd und Hilla Becher oder Olaf Metzel. Und literarisch Interessierte lassen sich vielleicht von Günter Grass anlocken, der im Rahmen des Programms sein neues Buch im Herbst präsentieren soll.

Andere wählen vielleicht das Planungsprinzip Stadt-Land-Fluss: Will man eher Städte wie Essen und Dortmund erleben oder die weitgehend unbekannte grüne Vielfalt des Reviers im Emscher Landschaftspark zu Fuß, per Rad oder Schiff. Eine naheliegender Schwerpunkt sind die alten Industrieanlagen und ihre heutige Verwendung: So lohnt beispielsweise das neu eröffnete und viel gelobte Ruhrmuseum in der alten Zeche Zollverein.

Die Macher von Ruhr.2010 machen unter dem Schlagwort "Grand Tour" Routenvorschläge zu den Themen Bau- und Wohnkultur, Lichtkunst, Kunsträume und Highlights. Ein Besuch bedarf zwar einiger Vorarbeit, lohnt sich aber. Es hat ja auch keiner behauptet, die Engländer zu schlagen wäre immer so einfach wie im Fußball.