Sami Khedira gegen England: einmal Kapitän, bald immer Kapitän? Foto: dpa

Profi, Trainer, Kapitän: Ex-VfB-Spieler Sami Khedira (28) übernimmt im Team des Weltmeisters immer mehr Verantwortung. Bei der EM könnte er vollends die Chefrolle übernehmen.

München - Die Freizeit zwischen den Länderspielen gegen England (2:3) am Samstag und Italien an diesem Dienstag (20.45 Uhr/ARD) in München nutzte Sami Khedira für einen Abstecher zu seiner Familie in Oeffingen. „Ich habe mich wenig von der Couch herunterbewegt“, sagt er, „dafür bin ich jetzt wieder frischer.“ Bereit für neue Taten. Bereit, die Verhältnisse nach der Schlappe gegen die Engländer zurechtzurücken. Doch Vorsicht: Gegen Italien hat Deutschland (ohne Torhüter Manuel Neuer/Magenverstimmung) seit 21 Jahren nicht mehr gewonnen. „Es ist ein Phänomen, dass sie sich gegen Deutschland einfacher tun. Aber diese Regel muss ja irgendwann gebrochen werden, sie sollen sich ruhig mal sicher fühlen“, sagt der Wahl-Italiener Khedira (28).

Der VfB Stuttgart und die Ausbildungsstätte für Löw

Daraus spricht Selbstvertrauen, das gegen die spielfreudigen und technisch versierten Engländer relativiert wurde, nachdem die deutsche Elf nach einer Stunde mal wieder in den Testspielmodus geschaltet und „den Betrieb eingestellt“ hatte. „Wir hatten im Mittelfeld ein zu großes Loch. Wir haben vorne die Bälle leichtsinnig verloren, im Mittelfeld die Zweikämpfe nicht richtig angenommen, hinten zu tief gestanden“, analysiert Khedira im Stile eines Trainers. Kürzlich hatte er schon mehr Konzentration auf die EM gefordert: „In unserer aktuellen Verfassung hätten wir keine Chance.“ Bundestrainer Joachim Löw gefiel das: „Sami liegt sicher nicht ganz verkehrt: Wenn wir unsere Form nicht verbessern, wird es schwer.“

Nun war Sami Khedira schon immer einer, dessen Blick über das Spielfeld hinausging. Anfangs hat er sich womöglich manchen Gedanken zu viel gemacht, in seiner Zeit bei Real Madrid und jetzt bei Juventus Turin hat der Ex-Profi des VfB Stuttgart aber auch Souveränität erlangt. „In Turin habe ich einen neuen Geist in mir entdeckt“, sagt Khedira, „ich spiele wieder regelmäßig, bin fit und fühle mich rundum wohl.“ Er wirkt befreiter, ist nicht allein auf sich fixiert. Rund um das Spiel gegen England hat er mit Mario Götze, dem Bankdrücker des FC Bayern, ein längeres Gespräch geführt: „Die Situation ist nicht einfach für ihn, aber Mario macht einen klaren Eindruck. Er zweifelt nicht an sich, aber er macht sich Gedanken über seine Zukunft.“ So tickt auch Khedira. So sollten alle Spieler ticken, wenn es nach Joachim Löw geht. Khedira ist sein verlängerter Arm, sein Gewissen, sein Mahner und Antreiber – und damit eigentlich sein geborener Kapitän.

So wie im Spiel gegen England.

Und im Sommer auch bei der EM?

Dem offiziellen Kapitän Bastian Schweinsteiger droht EM-Aus

Noch hat Bastian Schweinsteiger das Amt inne, zumindest offiziell. Nach seinem Innenband-Teilabriss droht dem Mittelfeldspieler von Manchester United aber eine Pause von acht Wochen und schlimmstenfalls das EM-Aus. Falls er fit wird, hat Joachim Löw den verletzungsanfälligen Ex-Münchner in Frankreich auch nur als Teilzeitkraft eingeplant – wie bei der WM 2014. Ist Schweinsteiger dann noch der richtige Kapitän? Löws Assistent Thomas Schneider antwortet ausweichend: „Die Entscheidung, dass Sami gegen England die Binde trug, ist nicht in Stein gemeißelt.“

Er habe fast das Gefühl, „dass Bastian schon mit Fußball aufgehört hat“, staunt Khedira: „Aber jeder, der ihn abschreibt, macht einen großen Fehler.“ Im Übrigen habe der Weltmeister „in Manu (Manuel Neuer), Jérôme (Boateng), Mats (Hummels), Toni (Kroos) und Thomas (Müller, d. Red.) viele Spieler, deren Wort Gewicht hat. Dazu zähle ich mich auch.“ Gefallen an der Kapitänsbinde hat er gleichwohl gefunden („Eine Ehre“) – wohl wissend, dass ihm manch einer die Berechtigung abspricht, sie zu tragen, solange er nicht auch die deutsche Hymne mitsingt. Sami Khedira wird weiter darauf verzichten. Er interpretiert seine Führungsrolle anders – nicht zu seinem Nachteil.