In einer Sprachschule in der Stadtmitte lernen Geflüchtete aus der Ukraine Deutsch. Foto: M/rta Popowska

Die Nachfrage nach Sprachkursen ist groß, doch in den Amtsstuben kommt man nicht hinterher. Eine Stuttgarter Sprachschule leistet unbürokratische Hilfe und sucht nun Spenden.

Die Ukrainerin Anna legt eine CD ein. Dialoge erklingen, die Stimmen begrüßen und verabschieden sich. Deutsch für Anfänger. Die 18-Jährige steht vor einer Tafel, notiert das Wichtigste mit für ihre Schülerinnen. Sie lässt sich nicht beirren, als zwei Frauen die Übung nochmals auf Ukrainisch erklärt haben möchten. „Nein, wir sprechen Deutsch“, sagt sie bestimmt, langsam, laut und deutlich. Fragen auf Ukrainisch sind aber erlaubt.

Dabei sind die Bitten verständlich, schließlich ist es für die etwa zwei Dutzend Frauen erst die zweite Unterrichtseinheit. Sie sind im März aus vielen Teilen der Ukraine nach Stuttgart geflohen und wollen sobald und so gut wie möglich ein normales Leben führen. Dazu gehöre Deutsch lernen, einen Job finden und sich ablenken, sagt Roland Stricker, der schnell und unbürokratisch helfen wollte. Er leitet mit seinem Bruder die Sprachschule Tricos mit Niederlassung in Stuttgart-Mitte und Heilbronn.

Die Frauen, die einen Platz bekommen haben, hatten Glück, denn die offiziellen Angebote lassen auf sich warten, dabei sind viele Geflüchtete schon mehr als einen Monat hier. Das scheint an schleppender Bürokratie zu liegen. Die Folgen spürt Roland Stricker.

Fiktionsbescheinigungen werden benötigt

„Wir hatten mit bis zu 50 Personen gerechnet, als wir am 2. März alle Verantwortlichen von Bund, Land und Stadt angeschrieben hatten. Das Angebot hat jedoch eine riesengroße Resonanz erfahren, weil es eben noch keine Förderung durch Land und Bund gibt, die Menschen dieser Flüchtlingswelle aus der Ukraine aber viel besser und gezielter wissen, was sie wollen, als jene Geflüchtete von 2015“, erklärt er. Kurzerhand beschlossen er und sein Bruder Robert Stricker, 250 Teilnehmenden einen kostenlosen Kurs anzubieten, den sie vorerst aus eigener Tasche bezahlen. „Das ist ein Wert von 100 000 Euro“, betont er.

Denn um einen Integrationskurs offiziell bewilligt zu bekommen, benötigen die Geflüchteten Bescheinigungen, eine sogenannte Fiktionsbescheinigung oder einen elektronischen Aufenthaltstitel (eAT). Das schaffen die hiesigen Behörden aber nicht zeitnah. „Ich habe den Eindruck, dass das viel schneller gehen kann, dass man aber in der Ausländerbehörde etwas überlastet ist“, sagt Stricker, der nicht nur Schulleiter, sondern auch stellvertretender Bezirksbeirat (CDU) im Stuttgarter Westen und beratendes Mitglied im Internationalen Ausschuss ist.

Er kritisiert noch eine weitere Sache. Denn vor gut einer Woche hat die Verwaltung beschlossen, statt der üblichen Fiktionsbescheinigungen sogenannte Blattfiktionsbescheinigungen auszustellen. „Die bestätigen den Anspruch auf eine Fiktionsbescheinigung“, sagt Roland Stricker und wundert sich über dieses Vorgehen, das ihm noch komplizierter erscheint. „Die Stadt muss bald Klarheit schaffen.“ Ihm stellt sich die Frage, wie zügig die Blattfiktionsbescheinigungen ausgestellt und bearbeitet würden: „Das konnte und wollte mir bisher keiner beantworten.“ Erfahrungsgemäß dauere die Bearbeitung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vier Wochen. Doch dort würden sich die Anträge stauen, und bei der Sprachschule Strickers laufen täglich 30 bis 40 Kursanfragen auf.

Stadt verweist auf „Mama lernt Deutsch“

Andere Kommunen seien da viel schneller. „In Heilbronn haben wir bereits die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Stadtkreis, die mit Fiktionsbescheinigungen bei uns angekommen sind, und wir haben erste Anträge gestellt“, sagt Stricker. In Stuttgart war das bis vor kurzem noch gar nicht möglich.

Auf Anfrage erklärt die Stadt, dass die Blattfiktionsbescheinigung durch die Ausländerbehörde ausgestellt werde und inhaltlich eine Fiktionsbescheinigung sei, „aber nicht auf dem bundeseinheitlichen Trägervordruck mit Etikette, sondern als Bescheinigung auf einem von der Ausländerbehörde selbst erstellten Formular. Zu dieser Bearbeitung haben wir uns aus Gründen der Vereinfachung und Beschleunigung entschieden, da viele Geflüchtete inzwischen dringend auf den Erhalt einer Fiktionsbescheinigung warten“, erklärt Pressesprecher Martin Thronberens und versichert, die Blattbescheinigungen würden vom BAMF als Ersatzdokument akzeptiert.

Bis ein Integrationskurs möglich werde, verweist die Verwaltung auf städtische Angebote, etwa „Mama lernt Deutsch“. Dazu gebe es landesgeförderte Deutschkurse wie „Frauen- und Elternteilzeitkurse“. Die Stadt Stuttgart beabsichtige weitere Landesmittel abzurufen, um dieses Jahr zwischen Mai und September mehr Frauenteilzeitkurse für Geflüchtete zu realisieren. Sehr viele Anfragen laufen zudem im Welcome Center auf. „Bis ein Integrationskursbesuch möglich ist, verweist das Welcome Center an die kostenlosen Sprachkursangebote von den Sprachschulen Tricos und der Volkshochschule“, erklärt Martin Thronberens.

„Wollen wir noch mehr Menschen Kurse kostenlos anbieten, kommen wir aber an unsere finanziellen Grenzen“, betont Stricker. Daher hat er ein Crowdfunding eingerichtet. Etwas mehr als 2000 Euro sind bisher zusammengekommen. Das reicht bislang nicht, doch die Strickers machen weiter. Allein, weil noch 200 Personen auf der Warteliste stehen. Man freut sich über jede Unterstützung, wie den Glücksfall Anna. Sie ist selbst geflohen und hat sich einfach gemeldet, weil sie helfen wollte.

Crowdfunding: https://www.betterplace.me/deutschkurse-fuer-gefluechtete-aus-der-ukraine