Die Stadt ist ganz offiziell die Sing-City. Das Deutsche Chorfest ist bei Kaiserwetter auf dem Schlossplatz stimmungsvoll gestartet. Oberbürgermeister Fritz Kuhn nennt es „ein gigantisches Festival“.

Stuttgart - Morgens um zehn ist die Stadt noch nicht Chor. Aber sie ist ganz Ohr. Es ist, als ob sie lausche. Auf die ersten Töne, den ersten Gesang. Doch was zu hören ist, sind zunächst alltägliche Klänge. Und Feiertagsklänge. Fronleichnam und der Christus-Tag der Protestanten erfüllen die Kirchen mit Lobpreisungen.

OB stimmt die Stadt ein

Voll des vorauseilenden Lobes ist nur wenige Stunden später Fritz Kuhn. Der Oberbürgermeister eröffnet mit Esprit und klugen Sätzen im Rathaus das Deutsche Chorfest, das er ein „gigantisches Festival“ nennt. Allerdings nicht aus Kostengründen. Denn die Stadt bezuschusst das Chorfest mit 495 000 Euro. Dem Bund ist die Sache nur 90 000 Euro wert. Sei’s drum. Der Freude des Oberbürgermeisters auf die kommenden drei Tage tut das keinen Abbruch. „Ich bin stolz, dass das Chorfest hier stattfindet“, sagt er und lässt andere über die Vorzüge sprechen. Der OB zitiert Dichter, Denker und Heilige. Die Festgesellschaft hört Sprüche wie: „Singen ist die eigentliche Muttersprache des Menschen“ oder „Nur ein Lied färbt die Grau-Seele bunter“. Wie sich das anfühlt, erlebte die Festgesellschaft bei den Gesängen der Mädchenkantorei der Domkirche St. Eberhard, des Vokalensembles des Bundesjazzchores oder des Quintetts Füenf. Inspiriert von diesen Darbietungen meinte Fritz Kuhn: „Bisher waren wir schon die heimliche Chorhauptstadt Deutschlands. Durch das Chorfest wird es nun amtlich: Stuttgart ist ganz Chor.“

Die Landesstimme

Gespannt waren alle Festgäste im Rathaus, darunter auch der Präsident des Deutschen Chorverbandes, Henning Scherf, auf den ersten offiziellen Auftritt der Kultus-Staatssekretärin Petra Olschowski. Fritz Kuhn gab ihr sogar gleich einen heiteren Denkzettel mit auf den Weg: „Gell“, sagte der OB launig, „ohne ein starkes kulturelles Stuttgart ist im Land kein Blumentopf zu gewinnen.“ Olschowski nahm die Botschaft dankend an und profilierte sich anschließend mit ihrer klugen Rede zur Bedeutung des Chorfestes: „Das Schwere beim Chorsingen ist, gleichzeitig bei sich selbst zu bleiben und doch ein Teil des Ganzen zu sein. Es gibt also kein besseres Bild für das gesellschaftliche Zusammenleben als das gemeinschaftliche Singen.“

Wer singt, betet doppelt

Von Kirchenvater Augustinus wissen wir: „Wer singt, betet doppelt.“ Kein Wunder, dass der katholische Stadtdekan Christian Hermes und der evangelische Regionalbischof Ulrich Mack begeistert sind, dass das Chorfest in Stuttgart Station macht. „Es ist sehr gut, dass beide Kirchen stark in das Chorfest einbezogen sind. Inhaltlich und räumlich. Ich gehe sogar noch weiter als der OB. Ich sage, Stuttgart ist Europas Kirchenchor-Hauptstadt.“ Christian Hermes will da nicht widersprechen. Er findet jedoch wichtiger, dass „sich hier weltliche und geistliche Chormusik verbinden“. Und noch wichtiger ist ihm: „Dass alle ganz viel Spaß haben.“

Stell dir vor . . .

Wer sich vom Gefühl, das Gesang auslöst, anstecken lassen will, sollte auf die Internetseite (www.SWR.de/chorfest) des SWR gehen. Dort gibt es bereits über 220 Karaoke-Beiträge für den größten Online-Chor aller Zeiten zu hören. „Imagine“ von John Lennon in allen Klangfarben. Es ist ein Vorgeschmack auf die Uraufführung der Mitsing-Aktion des Südwestrundfunks und Deutschen Chorverbands mit dem SWR-Vokalensemble am Samstag, 15 Uhr. Schon jetzt entsteht Gänsehaut beim Zuhören. Imagine – stell dir vor, du singst auch mit.

Chorfest-Hymne

96 Seiten dick ist das offizielle Liederbuch zum Chorfest. 60 Lieder umfasst das Werk, das am Donnerstag kurzzeitig vergriffen war. Es ist ein Potpourri aus weltlichen und geistlichen Stücken. Das erste Lied ist allerdings die inoffizielle Schwabenhymne der A-cappella-Gruppe Füenf: „Mir im Süden.“ Gut möglich, dass das Stück zur offiziellen Chorfest-Hymne avanciert. Wer mitsingen will, kann schon üben: „Deutschland gib nicht auf, kleines Volk im Süden, das hat’s besser drauf! So sieht’s aus. Und jetzt komm’sch du.“ Widerspruch zwecklos.

Schlossplatz vibriert

Auf dem Schlossplatz zeigte sich dann bei der eigentlichen Eröffnung, worüber vorher viele nur geredet hatten. Der Platz vibrierte. Stuttgart wurde um 15 Uhr zur Sing-City. 10 000 Besucher sangen, hörten zu und freuten sich des Lebens. Auch Helene Reinisch (57) aus Niedernhaus (bei Wiesbaden) mischte sich im Ehrenhof unter die Choristen-Schar. Sie selbst tritt mit dem Gospelchor Gospifo am Samstag um 11 Uhr im Hospitalhof auf. „Singen ist eine wunderschöne Freizeitbeschäftigung“, sagt sie, „es ist einfach schön, gemeinsam zu klingen.“Außerdem sei es total spannend zu erfahren, was man mit seiner Stimme alles machen kann.